Nach dem Weltkrieg ist vor der Aufarbeitung des Faschismus: »Lore« ist ein packendes Jugend-Drama um einen desillusionierten Teenager anno 1945.
Was tun, wenn Papa ein Massenmörder aus Überzeugung und Mama seine Steigbügelhalterin ist? Erwachsen zu werden ist in Zeiten nationalsozialistischer Kriegsherrschaft eine Herausforderung. Es wird auch dann nicht einfacher, wenn dem Terror ein offizielles Ende gesetzt wird. Im Jahr 1945 hinterlässt Nazideutschland neben den Millionen von Opfern eine Gesellschaft der desillusionierten Täter und Mitläufer. Genau hier setzt die australische Regisseurin Cate Shortland ihr Coming-of-Age-Drama »Lore« an.
Die titelgebende Hauptfigur ist ein schwer indoktriniertes Mädchen, das vor den ideologischen Trümmern steht, die ihr ihre Eltern hinterlassen haben. Die beiden sind ranghohe Nazipersönlichkeiten, die ihre älteste Tochter mit ihren drei Geschwistern zurücklassen. Sie sollen nun hunderte Kilometer quer durch das aufgelöste Land zu ihrer Oma im Norden flüchten. Auf ihrem Weg begegnen die Nazikinder dem jungen Juden Thomas. Abseits vom Wohlstand und dem ideologischen Korsett wartet auf Lore aber nur eine abscheuliche, misstrauische und tödliche Realität, die mit ihrem Traum vom »Endsieg« nichts gemein hat.
Konsequent lehnt sich »Lore« gegen nostalgische Verklärung auf. Von Beginn an bricht der Film mit romantischen Sinnbildern. Einer faschistisch idealisierten Natürlichkeit hält Cate Shortland den Verfall von Mensch und Umwelt entgegen. Gnadenlos exerziert sie das am jugendlichen Körper ihrer Protagonisten durch. Die allgemeine Verlorenheit drückt sich zwar dadurch in einer eigenen, schemenhaften Ästhetik des Schrecklichen aus, wird aber von den verrohten Figuren wieder abgerissen. Im unheimlichen Rascheln der Bäume, in der bannenden Mise-en-scène von Shortland warten nur zivilisatorische Abgründe.
Saskia Rosendahl spielt den von Lügen zerfressenen Teenager atemberaubend gut. Genauso begeistert Ursina Lardi (»Das weiße Band«) als verzweifelte, dem Regime treue Mutter. Sie verkommt zum geschundenen Leib, welcher der eigenen Tochter nur mehr Ernüchterung und Gewalt vermitteln kann, nachdem die Fassaden einstürzen. Die Kinder müssen in den Trümmern laufen lernen und werden unmittelbar mit der eigenen Mittäterschaft konfrontiert. »Lore« verheddert sich dabei aber nicht in Schuldfragen. Die Regisseurin konzentriert sich auf die verhinderte Selbstfindung einer Pubertierenden mit gewöhnlichen menschlichen Bedürfnissen. So schafft sie einen außergewöhnlichen, Unruhe stiftenden Jugendfilm, der bis zum Finale nicht in großen Gesten verharren will.