Der Einfluss der Zukunft
Die Spuren der Postpunk-Heroen Wire finden sich im britischen Pop ebenso wie im Hardcore. Sie selbst orientieren sich nur an der Zukunft. Immer noch.
Colin Newman meinte einmal in einem Interview, die Zukunft habe den größten Einfluss auf das Musikverständnis von Wire. Das gilt auch für das neue Album. Noch immer und mehr den je. 1977, als sich Punk als pures Dagegensein zu wenig wurde, veröffentlichten Wire ihr erstes Album „Pink Flag“. Ihre damalige Haltung, dem Rock’n’Roll radikal alle Schnörkel abzuschlagen, hat deutliche Spuren in diversen Musikrichtungen hinterlassen. Legionen von Bands berufen sich auf Wire oder haben ihre Songs gecovert. Die Bandbreite reicht von Hardcore-Schwergewichten wie Black Flag oder Minor Threat über Konsensrocker wie R.E.M. bis zu gefeierten Postpunk-Erneuerern der dritten Generation wie Bloc Party oder Franz Ferdinand. Wire selbst haben es auch heute noch nicht nötig, sich an anderen zu orientieren. Und sie treten schon gar nicht auf der Stelle. Für ihr aktuelles Album haben sie sich auf ihren Nukleus besonnen und ohne Gastmusiker gearbeitet. In der Dreier-Kombination aus Sänger und Gitarrist Colin Newman, dem zweiten Sänger und Bassisten Graham Lewis und dem Drummer Robert Grey sind sie ganz bei sich selbst und klingen wie Wire, obwohl es – wie sie selbst sagen – keine Definition dessen gibt, wie Wire zu klingen haben. Sie spielen gekonnt mit melodischen Elementen, repetitiven Rhythmen, geschickt eingesetzten Tempi-Wechseln, reduzieren auf das Wesentliche und packen das in ein spitzes, aber dennoch voluminöses Soundkleid. Wire repräsentieren damit nach wie vor die denkbar kürzeste Verbindung zwischen tanzbarem Pop und radikal harschem Minimalismus. Die Lyrics auf »Red Barked Tree« sind wie der Sound eine Klasse für sich. »Please take your knife/ out of my back/ and when you do/ please don’t twist it!" lautet der erste Satz. Bis zum letzten Track gibt es noch viele von dieser Art.