Saturnalia

Klagelieder aus der Gosse
Den Grunge-Überlebenden Mark Lanegan und Greg Dulli gelingt als The Gutter Twins ein schmerzlich schönes Album.

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Diese Stimmen. Jede für sich ergreifend, unverkennbar. Stimmen, die gemeinsam noch eindringlicher wirken. Das raue, tiefe Organ von Mark Lanegan und die bald verführerische, bald gequälte Stimme von Greg Dulli. Es sind große, dramatische Momente, wenn sie wie beim Eröffnungsstück „The Staions“ aufeinander treffen. „Saturnalia“ heißt das Album, das die Brüder im Geiste als The Gutter Twins eingespielt haben: eine Großtat, dunkel und intensiv. Das ist die Musik der beiden Charakterköpfe seit jeher. In der Grunge-Ära waren sie mit ihren Bands stilistische Ausreißer: Statt schweren, schwermütigen Gitarren dominierten bei Lanegans Screaming Trees Einflüsse aus Punk und Psycheldic. Dullis Afghan Whigs waren von Soul und R&B beeinflusst und trugen Anzüge, als alle anderen noch in Holzfällerhemden steckten. Dass die beiden heute die einzigen künstlerisch relevanten Grunge-Überlebenden sind, hat mit ihrem steten Blick nach vorne zu tun. Statt wie viele Weggefährten in Reunionen künstlerische Zuflucht und Altersvorsorge zu suchen, dominiert die Lust am Neuen. Bei Lanegan manifestiert sich diese in Kollaborationen mit den Queens Of The Stone Age, Isobel Campell (Belle & Sebastian) und den britischen Soulsavers genauso wie in seinen ausgezeichneten Soloalben. Dulli wiederum experimentierte in den Nullerjahren mit seinem neuen Projekt The Twillight Singers zunächst mit elektronischen Klängen und spielte ein Cover-Album ein, bei dem Lanegan bereits mitwirkte. The Gutter Twins nähren sich aus alldem – und mehr: Blues, Gospel, Folk. Kanalisiert in einem sinisteren Rock-Entwurf. Oft sind es regelrechte Klagelieder, betörend und verstörend zugleich. Benannt nach dem römischen Fest, bei dem Sklaven und Herren Rollen tauschen und Wein in Mengen fließt, kreist „Saturnalia“ um die ewigen Themen Tod, Verlust, Religion, Sünde, Erlösung. Bedrohliche Gitarrenriffs und energische Streicher lassen „Idle Hands“ abheben, beinahe hymnisch erklingen. Der Hinterhof-Folk von „Who Will Lead Us“ hingegen klebt regelrecht am Boden. Die Spannung steigt zusehends, doch die Erlösung, die Explosion – sie bleibt aus. In „Each to Each“ umgarnen sich Lanegans Bariton und Dullis sanfter Tenor zu einem geheimnisvoll pulsierenden Beat, in „Seven Stories Underground“ hallt der dunkle Gospel-TripHop nach, den Lanegan mit den Soulsavers zur Meisterschaft brachte. „I tell you my story, so that you might save me“, beschließen die beiden das aufwühlende „All Misery / Flowers“. Diesen geschundenen Seelen auf der Suche nach Erlösung zu folgen, geht unter die Haut. Ein schmerzlich schönes Album.

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