Shoegaze in Winterstiefeln: Tamaryn orchestrieren auf ihrem zweiten Album “Tender New Signs“ die Lust am Leiden.
Menschen scheitern – an sich selbst, an der Liebe, am sozialen Handeln, am System ihrer subjektiven Realität. Klar wird das oft erst kurz vor oder nach dem Zusammenbruch jener Grundlagen, die zuvor wie Säulen das persönliche Leben als Fundament zu stützen schienen. Trotzdem liegt in der Kunst des Scheiterns auch etwas Hymnenhaftes verborgen. Es sind diese vagen Wahrheiten, die aus einer Variation von Leid entstanden und die in einer anderen Variation von Leid münden: Wie süße Träume, deren bitterer Nachgeschmack einen durch den Tag begleitet. Vom Leid und der dazugehörigen Sehnsucht kann auch die New Yorker Band Tamaryn wunderschöne Lieder singen. Die neun Songs auf ihrem zweiten Album “Tender New Signs“ klingen nach zuckersüßem Teenager-Geburtstag und existentieller Endzwanziger-Melancholie. Eindringliche, längst zerbrochene Märchen verwandeln sich in Phantasmagorien aus Eros und Thanatos.
Sängerin Tamaryn Brown hat nicht nur ihren Vornamen zum Bandnamen erklärt. Schon im ersten Track “I‘m Gone“ gibt ihre ätherisch-laszive Stimme die strikte Trennlinie vor, innerhalb derer sich die Gruppe bewegt. Musik und Worte wirken wie zwei parallel zueinander ablaufende Klangkörper. Das Spiel mit der Dissonanz funktioniert nicht immer – aber dort, wo es funktioniert, kommt überlebensgroßer Glanz zum Vorschein: Tracks wie “Heavenly Bodies“, “Prizma“ und “Violet‘s In A Pool“ sind wie sterbende Sterne, die monolithisch am Nachthimmel leuchten. Während die Band einen eiskalten Shoegaze in Winterstiefeln spielt, der in großen Momenten an My Bloody Valentine, Mazzy Star oder die Coctau Twins erinnert, ist die Dramaturgie von Tamaryn Browns Vocals einer brüchigen, sehr femininen Gespaltenheit behaftet, die in ihrer traumdeuterischen Transzendenz irgendwo zwischen den hochhackigen Schuhen von Kate Bush und Nico wandelt. “Tender New Signs“ lebt davon, das Scheitern zur schlafwandelnden Kunst zu verklären. Es ist eine Platte wie der Gemütszustand, der nach dem Niedergang kommt: Die Vielzahl der verronnenen Möglichkeiten als musikalische Noten, die Variation der unfertigen Geschichten als betörende Stimme. Ein Treibsand, in dem man sich wohl wissend untergehen lässt.