The Rocky Sorrow Picture Show
Popmusik ist eine Symbiose populärer musikalischer Versatzstücke. The Decemberists haben diese Versatzstücke analysiert, nun zelebrieren sie ihre Erkenntnis: Popmusik ist Drama.
Schon der Titel der neuen Platte ist eine eindeutige Referenz. Laut Decemberists-Gründer und Chef-Komponist Colin Meloy bezieht sich „The Hazards Of Love“ auf eine gleichnamige EP der Britin Anne Briggs. Sie und andere Künstler des Folk-Revivals der 60er Jahre seien eine wichtige Inspirationsquelle für die neuen düster-romantischen Songs gewesen. Ursächlich würde das neue Opus ohnehin mehr auf einer Folk-Tradition aufbauen und weit weniger mit Rock zu tun haben, als man vermuten könnte. Selbst wenn die vielen kleine Experimente in Richtung Blues-, Country-, Stoner-, Metal-, Noise- und Prog-Rock vordergründig überraschen. „The Hazards Of Love“ könne eben nur als geschlossenes Ganzes und nicht in seinen Einzelteilen allein verstanden werden.
Text und Musik erzählen ein fantasievolles Drama rund um eine Frau namens Margaret, die von einem Tier heimgesucht wird, das seine Gestalt verändern kann. Daneben treten außerdem ihr Liebhaber William, der verzweifelt versucht sich mit Margaret wieder zu vereinen, eine Königin des Waldes und ein boshafter Schurke auf. Die Handlung wurde mit den oben genannten Genre-Grenzüberschreitungen vertont und verflochten. So kommt es auch, dass neben den üblichen Mitgliedern der Band Shara Worden (My Brightest Diamond) und Becky Stark (Lavender Diamond) musikalisch in die Rollenverteilung eingebunden wurden und die weiblichen Figuren gesanglich repräsentieren.
Die Frage, ob es sich hierbei nun um ein „Fake Musical“ oder eine „Folk Opera“ handelt, lassen Meloy & Co letzlich offen. Der Narration zu folgen, fällt dabei nicht wirklich schwer, denn den Decemberists ist etwas gelungen, woran viele andere Konzeptarbeiten scheitern: Ein durchgängig unterhaltsames, spannendes, abwechslungsreiches und anspruchsvolles Drama, dass auch über sein großes Finale hinaus eine emotionale Bindung zu seinem Publikum aufbaut. Ohne dabei zu überschwänglich oder gar aufdringlich zu wirken. Vielmehr handelt es sich um eine Geschichte, die auch bei wiederholtem Erzählen interessant bleibt. In dieser Art reiht sich „The Hazards Of Love“ mühelos in die folkloristische Tradition seiner Vorbilder ein. Gleichzeitig wird es zu einem eindrucksvollen Medium eines progressiven Popmusik-Begriffs. Applaus ist zwar vergänglich, doch dieses poetische Ereignis wird weitererzählt werden.