Weibliche Privatmystik wider die Gagaisierung des Pop.
Holly Miranda bespielt das Grenzland zwischen Wachsein und Schlaf. Scout Niblett stellt ihre Befindlichkeit offen ins gleißende Licht. Weibliche Musik-Positionen.
Holly Miranda und Scout Niblett sind zwei Frauen deren Musik unterschiedlicher nicht sein könnte. Eines haben sie gemeinsam: Sie legen eindrucksvolle Beweise vor, dass Frauen schon gar nicht männliche Musik in Frauenkleidern machen und schon gar nicht gaga sein müssen, um bedeutsam zu sein. Miranda: 27-jährige Sängerin, die seit ihrem 16. Lebensjahr an ihrer Karriere werkt und dafür von Detroit nach New York übersiedelt ist. Einer breiteren Öffentlichkeit ist sie als Duett-Partnerin von Scott Matthew aufgefallen. Jetzt hat sie mit David Sitek von TV on the Radio zehn Stücke aus ihrem umfangreichen Repertoire für ihren Erstling in Album-Form gebracht. Geschichten aus dem Grenzland zwischen Wachsein und Schlaf, von wolkengefüllten Köpfen und brennenden Betten. Eine Mädchenstimme, der man die Sicherheit einer routinierten Sängerin anmerkt, gebettet in flirrend-luftige Arrangements mit Bläsern, verspielten Glöckchen und verschleppten Beats. Sprich: Das Sound-Konzept von TV On The Radio zurückhaltend angewandt auf an sich schon tragfähige Songs.
Ganz anders Scout Niblett: Bei ihrem Duett "Kiss" mit Bonnie ‚Prince‘ Billy hatte man schon fast den Eindruck, sie würde sich ein Stück weit Richtung Pop bewegen. Nichts da! Auf ihrem fünften Album klingt ihre Musik sperriger den je. Sie stellt ihre Gefühle in einen leeren Raum, liefert sich schutzlos gleißendem Licht aus. Die Töne, die sie der Stromgitarre entlockt und über Effektgeräte schickt, verdienen kaum die Bezeichnung Akkorde. Ab und zu sind Drums zu hören. Rhythmus bringen sie aber keinen. Die Stille dazwischen tut manchmal richtig weh. Für manche mag das nach der Konstruktion eines Images als "schwierige" Künstlerin klingen. Wer die Kalzinierung – also die Austreibung der flüchtigen Substanzen – zum Programm macht hat anderes vor. Maximale Reduktion bei Niblett, verspielte Ästhetik bei Miranda – beides hat mehr Relevanz als Lady Gaga.