König der Zwischenwelt
Ostgut Ton-Geheimwaffe Shed bringt sein visionäres Soundkonzept mit »The Traveller« endlich auf den Boden. Das ist Future-Autoren-Techno
Der Legende nach ist Shed einer, der bei Gigs nie lächelt oder seine Miene verzieht. Aber genau das braucht seine Musik wohl auch. Sie ist roh, vielschichtig und druckvoll. Aktuell schraubt er an einem Hybrid aus hartem Techno und sagen wir mal im weitesten Sinne Dubstep. Diese Mischung so präzise und homogen klingen zu lassen, schaffte nicht einmal Scuba, der mit seinem letzten Album »Triangulation« in eine ähnliche Richtung schielte. Sheds (aka René Pawlowitzs) Werdegang wirkt wie einem stereotypen Berlin-Techno-Streifen entnommen: geboren im Osten, nach dem Fall der Berliner Mauer begeisterte er sich für Techno und war später Mitarbeiter im legendären Plattenladen Hardwax. So klassisch das klingt – soundseitig wollte René Pawlowitz nie das gleiche Süppchen wie seine Kollegen kochen. 90er Jahre Techno begeisterte ihn genauso wie Breakbeat, sägebezahnter Acid House und der ganze Stuff aus Detroit – zumindest darf man das vermuten, denn in seinen Tracks blitzt immer wieder das gesamte Spektrum der Geschichte orthodoxer Clubmusik auf. Auch Dubstep und IDM scheinen einen großen Eindruck hinterlassen zu haben. Typisch Beat-Forscher eben: gängige Ästhetiken zu wiederholen reizt ihn nicht, organischer Maschinenfunk gehört zum guten Ton. Selbst bei den mitunter manchmal nur drei Minuten langen Tracks des neuen Albums schafft es Shed, diese Klang-Geschichte wundervoll auf den Punkt zu bringen und jedem Sound, jedem Beat und jeder Fläche mächtig Raum und Charakter mit auf den Weg zu geben. Aus den verschiedensten Genre-Bausteinen zimmert der Berliner auf »The Traveller« anspruchsvolle und innovative Bass-Musik, für die der Club nur als weit entfernte Koordinate wichtig scheint. Seine Tracks klingen trotz der Referenzschwere zugleich locker und majestätisch. Shed schafft eine extrem stimmige Fusion von Techno und Dubstep. Es ist gut vorstellbar, dass unter Auskennern ab nun von der Zeit vor und der Zeit nach »The Traveller« die Rede ist, so hoch hat der Berliner die Latte wohl für Nachfolger gelegt. Nicht geschmäcklerisch, sondern unprätentiös direkt und erhaben ist der Autoren-Hybrid des Berliners. Er hat mit links so viel Mehrwert für die Techno- und Dubstep-Heads wie seinerzeit »Kid A« für die Indie-Gemeinde. An dieser Platte kommt man 2010 nicht vorbei. Die Zukunft im Hier und Jetzt.