Im Baltikum tanzt man den Europop. Vocoder-Vocals und Furz-Sampels begegnen lettischer Folklore und Electro-Bläsern: Ein Jux, der System hat.
Marx schrieb, das Kapital würde nie an einem Ort verweilen, sondern sich spätestens dann, wenn alle Ressourcen aufgebraucht sind, auf die Suche nach einem neuen Wirt begeben. Ähnlich scheint es sich auch mit Electro-Pop zu verhalten: Das von Grundauf westeuropäische Phänomen lutschte sich in den letzten Jahren dermaßen ab, das fast all jene, die 2011 noch Electronica-Rythmiken mit Popsounds kreuzen wollen, mittlerweile durch kontinuierliches Ecstasy-Gefeiere dumm wie Flusskrabben geworden oder aber in die Konformität der Biederkeit rübergerutscht sind. Euro-Pop ist aber trotzdem nicht tot – er ist bloß in den Osten übersiedelt, wo der Nährboden für freakige, verrückte Klangamalgame noch frisch und unverbraucht ist.
Das wohl interessanteste East meets West-Gespann dieser Tage nennt sich Instrumenti und stammt aus dem lettischen Riga. Die zwei Mann-Combo versucht sich an einer Mixtur aus Indie-Pop und experimentellen Electro-Sounds. Dabei ist den beiden jungen Männern mit den Namen Shipsi und Reynsi wirklich nichts zu blöd: Der Jux hat System, und das System besteht aus Vocoder-Vocals und Streichern, Michael Jackson Beats und Furz-Samples, aus Beatbox-Vocals und Falsetto-Stimme. Aufgenommen in den Greenhouse Studios in Reykjavík, sorgen die vierzehn Songs ihres Debütalbums “Tru“ erstmal für Unverständnis. Wenn man sich allerdings auf den Wahnsinn einlässt, gibt es auf Instrumentis Erstling einiges zu entdecken: “Medicine“ klingt nach Justin Timberlake und Russendisco, “Born To Die“ nach den Bee Gees, so sie mit einem C64-Audioprogramm aufgenommen hätten. In “Lie Down“ entleeren die Synthies erstmal ihre Eingeweide, ehe sie zu stampfen anfangen. Wunderhübsch ist “Kvikmyndir“: Sanfte Electronic-Bläser und verhallter Gesang lassen isländische Atmosphäre aufkommen. “Freaked Out“ ist eine gelungene Mothers Of Invention Vocoder-Hommage, an der auch der gute alte Zappa seinen Spaß gehabt hätte. “Life Jacket Under Your Seat“ und „Back Of Your Drawer“ stechen im Albumkontext als fast exotisch anmutende, einfache Popnummern heraus. Danach wird es regional – und spektakulär: Das letzte Viertel des Albums besteht aus mit lettischer Folklore unterlegter Akustik-Poesie . Auf den Tracks “Pieture Mani Sev Klat“, „Zemeslodes“, “Apest Tevi“ und “Pilnigi Viens“ klingen Instrumenti auf einmal wie eine völlig andere Band. Hymnisch und zurückhaltend, verzaubernd und unironisch, wirken die Songs wie eine 180 Grad Drehung zum bisherigen Liedgut und erinnern mehr an Sigur Ros oder Beirut als an Euro-Dance. Auch wenn das alles so gar nicht zusammenpasst, es funktioniert. Was für eine seltsame Platte.