Das Quartett The XX nimmt den Noise und das Stimmengewusel und die Soundschichttürme aus der Musik der Gegenwart heraus. Übrig bleiben Songs wie kaltes, klares, Wasser.
Was The XX wirklich bemerkenswert macht, ist die musikalische Großwetterlage, in die sie so gar nicht zu passen scheinen: Im Jahr 2009 wären da nicht nur die anhaltenden Nachwehen von New Rave, sondern auch eine Legion von zappeligen Gitarrenbands, die vom coolen, großen Leben träumen. Ein kleines Shoegaze-Revival sucht seine Fans ebenso, wie eine ganzes Zeltlager voll mit bärtigen, ungewaschenen, wildwüchsigen Bands in Holzfällerhemden, die Krach mit allerlei Perkussion zu Song-artigen Gebilden zusammen werfen. Explosionen, Implosionen überall. Doch The XX machen etwas fundamental anders. Sie fallen ganz und gar aus dem Raster typischer Hype-Acts heraus. Sie sind dunkel und intim, und extrem zurückgenommen. Sie räumen den Raum in ihren Songs radikal frei. Sie machen Platz für die zwei Stimmen von Romy Madley Croft und Oliver Sim, die sich immer wieder umspielen, dann wieder nur wie für sich selbst singen. Alle Songs handeln von Sex, Beziehungen, Liebe; sie sind aber so voller hörbarer Zwischentöne, dass man sich nicht nur wundern muss, wie man mit 19 Jahren so etwas schreibt, sondern auch wie es kommen konnte, dass dieses Album plötzlich auf so vielen Kanälen läuft. Denn es kommt ohne ausgeklügeltes Marketingpaket, die Musik taugt nicht fürs Fernsehen oder die Open Air-Bühne, sie taugt gerade mal, um darüber zu bloggen oder für ein Status-Update. The XX machen Musik für den Kopfhörer. Ihr Date am Laptop.
Es gibt sie, die Vorbilder für The XX. Trotz früherer Coverversionen von Aaliyah und Womack & Womack sind sie nicht im R’n’B zu finden. Die Geisterhaftigkeit von Bat For Lashes ohne ihre Expressivität, die von Hall-Gitarren verhangene Sehnsucht von Chris Isaac ohne seinen Pathos, die Skelettiertheit von Portishead ohne deren Klaustrophobie – The XX sind derzeit trotzdem in ihrer Konsequenz ein einmaliges Phänomen. Sie haben die Gegenwart radikal entschlackt und lassen Lösungswege, Fluchttunnel fast, in die Zukunft aufflackern. Und auch wenn das Debüt des Quartetts aus dem Süden Londons so bald nicht zum Modellsound werden wird, eines der schlüssigsten Alben dieses Jahrgangs ist es allemal.