Krise und Revolution treiben Kunst und Kino um. Wie rebellisch kann Kino heute überhaupt sein? Kann es mobilisieren und soll es das? Diesen Fragen geht das Spezialprogramm "Strange Days" des heurigen VIS Kurzfilmfestivals nach.
Dem gegenüber steht ein massentaugliches Blockbuster-Kino, wie es etwa Kathryn Bigelow auf die Leinwand bringt. Bigelow, die mit "Strange Days" auch einen Beitrag zur technokritischen Cyberpunk-Bewegung der 80er und 90er beigetragen hat, gilt als eine der wenigen politisch denkenden Filmemacher mit Publikum. "The Hurt Locker" oder "Zero Dark Thirty" erreichen mehr als eine ohnehin schon kritische Minderheit, wie man es bei Schlingensief oder von Trier erwarten kann. Die Darstellung der Kriegseinsätze im Nahen Osten als aufputschende Droge für junge US-Soldaten oder das Thematisieren der Waterboarding-Praktiken haben das Potenzial, auf globaler Ebene aufzurütteln.
Letzte Station: (gescheiterte) Revolution
Das Medium Kino revolutioniert sich selbst immer wieder aufs Neue. Aber kann es sein Publikum mobilisieren? Möglicherweise ist dieser Anspruch bereits viel zu weit gegriffen. Michael Moore etwa ist einer, der offensiv versucht, mit seinen Filmen die Welt, oder zumindest Amerika, zu verändern. Wenn auch in seinen Praktiken umstritten, sorgt er dennoch für Kontroversen auf breiter Front. Welche realpolitischen Auswirkungen aber haben seine Filme? "Fahrenheit 9/11" gilt als erfolgreichster Dokumentarfilm aller Zeiten.
Trotzdem war er unterm Strich ein Misserfolg. Denn das gesetzte Ziel Moores, eine Wiederwahl von George W. Bush zu verhindern, wurde nicht erreicht. Bei den Wahlen 2004 wurde Bush abermals ins Amt gewählt. Sind es am Ende die leisen Töne, die sich durchsetzen? Nicht immer muss der konfrontative Weg mit dem Zeigefinger oder der Brechstange gewählt werden. Die US-Serie "Will & Grace" soll, so sind sich selbst Politiker weitgehend einig, langfristig für eine breitere Toleranz gegenüber Homosexualität gesorgt haben. Eine friedliche, auf Humor basierte Revolution, die ins Herz des TV-Publikums vorgedrungen ist. Fernsehen als erste Begegnungszone, um das Fremde und Ungewohnte zu überwinden. Denn für gewöhnlich sprießt die Intoleranz besonders dort, wo nie ein direkter Kontakt zum Angefeindeten bestanden hat. Gerade jetzt, wo in Europa für mehr Toleranz für die Homo-Ehe entschlossen gekämpft wird, ist die Frage nicht fern, was Kino und Fernsehen hier zur Debatte beitragen könnten.
Der Wunsch nach Emanzipation, nach ihren lebendigen Geschichten, scheint ein fruchtbarer Boden für Film zu sein. Ein Beispiel dafür findet sich in der dokumentarischen Co-Produktion "Feminin Masculin" (Iran/SA 2007), die eine Busfahrerin im Iran verfolgt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Sitzordung Männer vorne, Frauen hinten umzuwerfen. Der Film zeigt nicht nur alltägliche Diskriminierung, sondern gleichzeitig einen radikalen Gegenentwurf. Ein einzelner Mensch, auch eine einfache Busfahrerin, kann die gewohnte Ordnung umdrehen. Das allein wirkt radikal, im Iran, aber auch in Mitteleuropa. Nicht immer ist es so einfach. Kino kann Emotionen schüren und Handlungsspielräume aufzeigen, oft nicht viel mehr. Solange diese nicht hinein in den Alltag und in die oft mühsame Politik getragen werden, bleibt Kino oft nur hervorragende Unterhaltung.
Vienna Independent Shorts, 28. Mai bis 10. Juni
The Gap präsentiert das Spezialprogramm »Strange Days – Krise, Aufstand, Revolution« mit Filmen von Roman Polanski, Christoph Schlingensief, Dalí, Andrew Kavanagh u.a.