Mehr als 30 Jahre nach seinem Top-Ten-Hit »Amore mio« erscheint das Best-of von Richie Bravo. Also in der Theorie.
Steile Thesen sind wie Halbstarke, am stärksten in der Gruppe. Also: Wer noch nie etwas von Richie Bravo gehört hat, hat die 80er nicht erlebt. Wer seinen 1989er-Hit »Amore mio« nicht auswendig nach durchtanzten Nächten in den Sternenhimmel von Rimini geträllert hat, nicht geliebt. Wer nicht vor einem alten Röhrengerät auf jeden Auftritt von Richie Bravo bei Dieter Thomas Heck oder Uwe Hübner hingefiebert hat, gebannt wartend auf die nächste große Nummer, hat nie verstanden, was wunderbare Schlagermusik in einem auslösen kann. Und: Wessen Herz nicht gebrochen war, als es auf einmal aus war mit den Hits, mit dem Erfolg, mit einer Welt, in der Richie Bravo das sein kann, was er am besten kann, nämlich ein Schlagerstar sein, der sucht seine Emotionen immer noch vergeblich am Abgrund seiner Seele. Denn: Wer zu viel vom süßen Nektar des Schlagers kostet, hat irgendwann einmal eine Durststrecke.
Neunkirchner Charmeur
Jetzt aber: Neue Chance, weil Best-of-Album, produziert und geschrieben von Hit-Fabrikant Fuzzman und »FM4 Im Sumpf«-Perlentaucher Fritz Ostermayer, ein Zuckerl für die alten Fans, die Einstiegsdroge für alle neuen, die der Neunkirchner Charmeur im Handumdrehen um den Finger wickeln dürfte. Die Hitdichte gibt es zumindest definitiv her: Sei es das sehr schnulzige »Amore mio«, damals ja Top Ten in Italien und in der Verlosung für die AustroTOP-Liste von The Gap, das picksüße »Insieme con te«, das großartig-zuckerwattige »SOS«, das atmosphärische »Schnaps«, das an Roger Whittaker erinnert, oder das sehnsuchtsvolle »Träume«. Alle zehn Stücke dieses Lebens können zu Stücken deines Lebens werden.
Weil auf jede steile These – bitte an den Anfang dieses Textes zurückblicken, dann spannt sich der Bogen quasi automatisch … Also: Weil auf jede steile These zwangsläufig ein tiefer Absturz folgen muss, kommt hier die Enttäuschung: Natürlich ist das alles Quatsch! Die CD ist echt, aber Richie Bravo ist Fiktion, ihn hat es nie gegeben, ausgedacht von Ulrich Seidl und Schauspieler Michael Thomas für »Rimini«, den Film, den du als Nächstes schauen und vermutlich ziemlich gut finden wirst. Aber: Ist nicht gerade die Fiktion das Schöne? Ist die heile Welt nicht gerade die einzig geile Welt? Schreib’s in die Kommentare.
»Best of – Lieder meines Lebens« von Richie Bravo ist heute, also am 8. April 2022, bei San Tropez Records erschienen, zufälligerweise gleichzeitig mit dem Kinostart von »Rimini«, dem neuen Film von Ulrich Seidl.