Design aus Ybbsitz – Wie Emaillegeschirr von Riess zum Kultobjekt wurde

Riess macht vor, wie Handwerk, Nachhaltigkeit und gutes Design idealerweise ineinandergreifen – mit Töpfen aus Emaille, die nicht nur praktisch sind, sondern Geschichte erzählen. Und dabei zeigen, wie langlebiges Alltagsdesign heute aussehen kann.

© Catherine Hazotte

Was in vielen Haushalten als nostalgischer Alltagsgegenstand gilt, ist längst im internationalen Designkanon angekommen: Riess-Töpfe. Weiß mit blauem Rand, himmelblau oder zitronengelb. Lange galten die Produkte des niederösterreichischen Familienbetriebs als unscheinbare Alltagsgegenstände – heute entdecken Designaffine aus aller Welt ihre Qualitäten neu. Seit 1922 produziert man in Ybbsitz in Niederösterreich Kochgeschirr aus Emaille. Dahinter steckt ein Unternehmen, das von Haltung geprägt ist. Gestaltung wird hier immer als integraler Bestandteil des Gesamtprodukts verstanden: funktional, langlebig, zeitlos – und dabei durchaus mit dem Anspruch, im Alltag Freude zu stiften. Dieser Zugang bringt Erfolg. Und er macht Riess zu einem Paradebeispiel für die Potenziale österreichischer Kreativindustrien abseits der Ballungsräume.

Creative Economy, lokal verankert

Die Geschichte von Riess ist auch eine Geschichte von Wandel und Weiterentwicklung. 1550 gegründet, ist der Betrieb seit 1690 in Familienhand, ab dem frühen 20. Jahrhundert spezialisierte man sich auf Emaille. Emaille, das klingt nach Tradition – und ist doch hochmodern. Bereits vor Jahrhunderten wurde das Material für Schmuck verwendet. Es entsteht durch das Aufschmelzen von Glas auf Metall und kombiniert die Härte von Eisen mit den pflegeleichten Eigenschaften von Glas. Das Ergebnis ist schnitt- und kratzfest, leicht zu reinigen und langlebig. Bei Riess wird Emaille seit Generationen verfeinert: Die Rezepturen sind hauseigen, die Oberflächenveredelung erfolgt in mehreren Schritten. Die Farbpalette ist dabei nicht nur dekorativ, sondern folgt auch funktionalen Überlegungen, etwa in Bezug auf Sichtbarkeit beim Kochen oder Hitzebeständigkeit.

Heute umfasst das Sortiment über 500 Produkte – gefertigt in Handarbeit mit eigenem Ökostrom aus Wasserkraft. Das Unternehmen ist tief in der Region verwurzelt, gleichzeitig international gefragt. Rund ein Viertel der Produktion wird exportiert, die Nachfrage steigt, auch weil sich das Bewusstsein für ressourcenschonende Produktionsweisen verändert hat. Während viele Herstellbetriebe ihre Standorte verlagerten, blieb Riess in Ybbsitz. Qualität, so das Selbstverständnis, braucht Nähe – zu den Produkten, zu den Menschen und zum Prozess.

Handwerkliche Unikate

Hier, am Rande des Mostviertels, entsteht keine museale Handwerksromantik, sondern gelebte, marktfähige Kreativität: ein Betrieb, der mit Design Geld verdient, Arbeitsplätze schafft – und dabei zeigt, welche Chancen in regionaler Produktion liegen. Dabei war dieser Weg keineswegs selbstverständlich. In den 1990er-Jahren stand das Unternehmen wirtschaftlich unter Druck, die Globalisierung machte vielen Produzent*innen zu schaffen. Wie Geschäftsführungsmitglied Julian Riess 2018 gegenüber der Initiative Lobby der Mitte bestätigte, waren damals »schmerzliche Anpassungen notwendig«. Der Fokus auf Qualität, Regionalität und zeitgemäßes Design wurde dann allerdings zum entscheidenden Wendepunkt.

Wer die Produktion von Riess besucht, betritt eine Welt, in der Handarbeit und Technik ineinandergreifen. Die Arbeitsprozesse sind klar strukturiert, viele Handgriffe jahrzehntelang eingeübt. Die Wärme der Öfen hängt in der Luft, Tiefziehmaschinen arbeiten rhythmisch vor sich hin, während Werkstücke durch die Hände erfahrener Mitarbeiter*innen gehen. Diese 130 Menschen prägen nicht nur das Produkt, sondern auch ein Betriebsklima, das auf langjähriger Zusammenarbeit und großem Fachwissen beruht. Bei aller Effizienz bleibt Raum für handwerkliche Intuition – etwa beim Tauchen der Töpfe in die Emaille, wo ein Zehntelmillimeter über die spätere Optik entscheidet. So wird jedes Stück zum Unikat.

Riess vereint Nostalgie, Funktionalität und Design. (Bild: Catherine Hazotte)

Übrigens: Auch die berühmten blauen Wiener Straßenschilder stammen aus Ybbsitz – ein kaum bekanntes, aber charmantes Detail der Firmengeschichte. Auf Anfrage werden die Schilder bis heute produziert. Zu erkennen sind die Originale in der ganzen Hauptstadt an der betriebseigenen Farbe »Wiener Blau«.

Küche statt Galerie

Die Gestaltung der Riess-Produkte orientiert sich an einem klaren Prinzip: Form folgt Funktion. Die Linien sind reduziert, die Oberflächen glänzend, die Farben präzise gewählt. Dabei geht es nicht um dekorative Spielereien, sondern um Klarheit im Gebrauch. Gutes Design wird hier nicht als Selbstzweck verstanden, sondern als Einladung zur Nutzung – schlicht, robust und ästhetisch zugleich. Diese Eigenschaften sollen nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich gegenseitig bedingen. Die Form dient stets der Funktion – sie erleichtert das Kochen, macht das Stapeln effizienter oder sorgt für ein angenehmes Griffgefühl. Diese konsequente Umsetzung verleiht den Produkten nicht nur Zeitlosigkeit, sondern auch emotionale Langlebigkeit: Wer einmal mit einem gut ausbalancierten Schöpflöffel hantiert hat oder bemerkt, wie präzise ein Deckel sitzt, will selten zu etwas anderem zurück. Hier wird nicht für eine Galerie gestaltet, sondern für die Küche: einen Ort, an dem sich gutes Design bewähren muss.

Dass Emaille heute wieder gefragt ist, liegt auch an einem anhaltenden Retrotrend: Schlichter Look, sichtbares Material und die Erinnerung an Großmutters Küche treffen den Nerv einer Generation, die sich nach Beständigkeit sehnt. Auf Social Media tauchen die Töpfe in durchgestylten Küchenfeeds auf. Stilvoll arrangiert auf offenen Regalen und flankiert von fermentierten Karotten sowie drapierten Leinentüchern. Riess reagierte darauf mit einer behutsamen Öffnung: Limited Editions, Sonderfarben, Designkooperationen.

Dabei bleibt die gestalterische DNA des Unternehmens stets klar erkennbar. Jedes neue Produkt soll das Bestehende verbessern, nicht ersetzen. In den letzten Jahren hat Riess verstärkt mit externen Designerinnen, Gestalterinnen und Akteurinnen aus der Kulinarik kooperiert. Eine besondere Zusammenarbeit entstand mit dem Designstudio Dottings, mit dem unter anderem der universell einsetzbare Aromapot entwickelt wurde – ein Stück mit vielen Funktionen: Topf, Kasserolle, Pfanne und der umgedrehte Deckel kann als Untersetzer oder während des Kochens als temporäre Schlüssel verwendet werden.

Der Aromapot (hier in Weiß) wurde in Kooperation mit dem Designstudio Dottings entwickelt. (Bild: Catherine Hazotte)

Branche im Wandel

Längst hat Riess die Grenzen Österreichs hinter sich gelassen. Auch renommierte Magazine wie Architectural Digest haben das Emaille aus Ybbsitz entdeckt. Trotz des Erfolgs ist der Manufakturbetrieb aber nicht frei von Herausforderungen. Steigende Energiepreise, globale Lieferkettenprobleme und der zunehmende Fachkräftemangel stellen auch Riess vor neue strategische Herausforderungen. Emaille verlangt hohe Temperaturen, hat dadurch einen hohen Energiebedarf. Die Produktion kann also nicht wie ein Haushalt im Winter sagen: Heute wird weniger geheizt. Gerade deshalb setzt man in Ybbsitz konsequent auf erneuerbare Energien: »Wir haben vier Wasserkraftwerke und können überschüssigen Strom ins Netz einspeisen«, so Geschäftsführer Friedrich Riess gegenüber der Tageszeitung Der Standard.

Auch der Aufbau junger Fachkräfte ist Teil der Zukunftsstrategie. Riess kümmere sich um Sonderschulungen für Lehrlinge, kooperiere mit lokalen Bildungseinrichtungen und schaffe langfristige Perspektiven in der Region, so der Chef des Unternehmens weiter. Zugleich gebe es mittlerweile aber für den Werkstoff Emaille weder einen offiziellen Lehrberuf noch Fächer an technischen Schulen. Das Mostviertler Unternehmen ist daher eine der letzten Stützen dieser resilienten Produktionsweise.

Design, das bleibt?

Ihre Resilienz zeigt sich unter anderem darin, dass viele Kund*innen ihre Töpfe über Jahrzehnte nutzen. Viele Stücke werden vererbt und sorgen so auch für eine emotionale Langlebigkeit. Das klassische Emaillegeschirr spricht unterschiedlichste Generationen gleichermaßen an, ohne sich zu verstellen. In der Küche ist Riess kein Star, sondern ein stiller Begleiter. Und gerade deshalb funktioniert das Produkt – als Designobjekt, als nachhaltige Alternative, als wirtschaftlich tragfähiges Modell. Wer also wissen will, wie man kreative Arbeit marktwirtschaftlich verwertbar macht, muss nicht ins Silicon Valley schauen. Ein Blick ins Mostviertel genügt. Dort zeigt ein Familienbetrieb, wie viel Potenzial in einem Topf stecken kann.

Weitere Informationen zu Riess gibt es unter www.riess.at. Die Manufaktur kann nach Voranmeldung besichtigt werden.

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