Sie war dringend und kurzweilig, ist nun aber schon wieder 20 Jahre her: die geschlechtsbewusste Punk-Strömung Riot Grrrl. Artemis Linhart hat drei der Organisatorinnen des »Girls Rock Camp Niederösterreich« getroffen, um mit ihnen über das Erbe dieser Subkultur zu sprechen.
Mittlerweile sind die 90er-Pionierinnen von Bikini Kill und Bratmobile Flaggschiffe feministischer Musik. Aus der US-amerikanischen DIY-Punk- Szene formierte sich um sie eine Bewegung geschlechtlicher Selbstbestimmung: Riot Grrrl. Sie forderten Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung. Auftritte wurden genutzt, um männliche Dominanz aufzubrechen. Sie wollten eine Atmosphäre, in der sich auch Frauen sicher fühlen konnten – girls to the front. Bands, Fanzines und Netzwerke folgten. Männliche, weibliche und Transgender-Personen spielten innerhalb der queer geprägten Bewegung eine gleichbedeutende Rolle.
Das Wiener Duo Plaided wurde von Riot Grrrl stark geprägt. So organisiert Veronika Eberhart (Plaided) gemeinsam mit Ulli Mayer und Sara Paloni nun unter anderem das »Girls Rock Camp NÖ«. Im Interview erzählen sie, wie sie seither und überhaupt das Erbe von Riot Grrrl in Österreich verwalten.
Inwieweit hat die Bewegung Riot Grrrl euer Leben verändert?
V.E.: Ich habe den Begriff bzw. die Bewegung relativ spät mit 22 im Kontext des ersten Ladyfests in Wien bewusst kennengelernt. Es gab für mich zwei prägende Schlüsselmomente. Ich ging regelmäßig auf Konzerte diverser Indie-Clubs. Damit einher ging auch die regelmäßige Abwehr von Anmachen, Begrabschungen bis hin zu Belästigungen. Vor allem der Konzertbesuch alleine war eine totale Überwindung. Ich war an der Musik und nicht an einer blöden Anmache von irgendeinem besoffenen Typen interessiert. 2002 auf einem Le Tigre-Konzert in der Szene war ein Typ, der mich blöd angemacht hat. Aber wie aus dem Nichts standen zwei Frauen vor ihm, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und haben ihn zurechtgewiesen. Ich hatte eine solche Form von Solidarisierung zuvor auf Konzerten noch nicht erlebt. Plötzlich macht es »klick« und du merkst, du bist nicht alleine. Hier geht es mehr als um Musik. Und vor allem: Du musst dir nicht jeden Scheiß gefallen lassen.
Die zweite starke Erfahrung war der Besuch von Workshops und Konzerten während des ersten Ladyfests 2004. Es war eine neue Erfahrung von gemeinsamen Lernen und Musikwahrnehmen, die definitiv etwas in mir verändert hat. Damals hab ich dann auch immer mehr Musikerinnen kennengelernt. So waren z.B. First Fatal Kiss für Julia und mich ein wichtiger Grund, selbst Musik zu machen.
U.M.: Meine erste theoretische Berührung mit Riot Grrrl hatte ich als Redakteurin bei der Zeitschrift "Fiber – Werkstoff zu Feminismus und Popkultur, meine erste praktische Auseinandersetzung später als Teil des Organisationskollektivs des ersten Ladyfests in Wien. Beides hatte entscheidenden Einfluss auf meine Sozialisation und meine weiteren Projekte. Das inspiriert mich nach wie vor.
Ist Riot Grrrl überhaupt noch aktuell für euch oder schwingt nur noch das Vermächtnis der damaligen Bewegung mit?
U.M.: Ich verstehe Riot Grrrl vielmehr als Werkzeug, als Anleitung zur Selbstermächtigung einer subkulturellen feministischen Bewegung, die sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, junge Frauen als selbstbestimmte Akteurinnen und Kulturproduzentinnen wahrzunehmen, sie zu Kreativität, Eigeninitiative, zum Musikmachen anzuregen. Diese Inspiration ist bis heute geblieben. Sie zeigt sich in unterschiedlichen Projekten und Netzwerken, von weltweiten Girls Rock Camps, Riot Grrrl-Samplern, Büchern oder Blogs.
V.E.: Ich finde die ganze Geschichte, wenn wir eine solche überhaupt eingrenzen wollen, unglaublich inspirierend und stärkend. Die Riot Grrrl-Bewegung hat gezeigt, dass Performance, Musik und auf der Bühne stehen sehr viel mehr Bedeutungen haben kann als nur ein Publikum zu unterhalten. Natürlich haben das andere Bewegungen wie Punk auch schon gemacht, aber diese waren meist männlich dominiert. Es bedarf auch Mut, die Wut über die Scheiße, die einer passiert, vor einem Publikum zu katalysieren. Und diesen Mut bewundere ich. Aber Riot Grrrl vereint sehr viel in sich, nicht nur eine Musikrichtung. Es ist eine feministische Strömung, die den kapitalistischen Zugang der Musikindustrie kritisiert, naturalisierte Normen wie Körper und Gender hinterfragt, den DIY-Gedanken lebt und unterschiedliche Ausdrucksmedien wie Zines und Punk verwendet. Riot Grrrl ist für mich auch eine bewusste Solidarisierung gegenüber sexistischen Mechanismen. Die verlieren leider nicht an Aktualität.
Inwiefern wird Riot Grrrl als Konzept am Girls Rock Camp NÖ vermittelt?
U.M.: Riot Grrrl bildet einen wichtigen Kontext für das Camp, der über viele unterschiedliche Weisen hergestellt wird: So wurde z.B. Le Tigres »Keep on Livin’« zur Hymne der Instrumentenworkshops.
V.E.: Ich weiß nicht, was Weiblichkeit ist oder sein soll, aber ich finde, es geht mehr darum, jungen Menschen zu zeigen, dass sie aktiv und gemeinsam unglaublich viel schaffen können. Dabei geht es zum Teil um ein gewisses Genre, da E-Gitarren und Schlagzeuge noch immer kaum im Lehrplan von Mädchen vorkommen. Es geht vor allem um Empowerment und darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem junge Menschen gemeinsam etwas kreieren und in dem versucht wird, Formen von Konkurrenzen und Kategorisierungen von »Gut« oder »Schlecht« möglichst außen vor zu lassen.
Ihr plant einen Film über das Girls Rock Camp NÖ. Wie weit seid ihr mit diesem Projekt?
U.M.: Wir sind dabei das Filmmaterial zu sichten und planen, bis zum Frühjahr 2013 eine Art Trailer oder Kurzfilm fertigzustellen. Eine Kamera, ein beobachtender Blick von außen, macht natürlich auch etwas mit der Dynamik am Camp, wobei zu unterscheiden ist, wer zu welchen Zwecken filmt, also ob wir selbst mitfilmen oder Presse präsent ist. Die Reaktionen der Teilnehmerinnen sind ganz unterschiedlich, wichtig aber ist uns, dabei aufkommende Fragen etwa von Präsentation und Repräsentation, den eigenen, selbstbestimmten Umgang mit Medien, gemeinsam zu diskutieren sowie den Rahmen geschützter Freiräume beizubehalten.
Wieviel Freiraum wird den Mädchen am Camp gelassen?
S.P.: Geschützte Freiräume, um sich abseits gesellschaftlich normierter Erwartungen und Zuschreibungen auszuprobieren und frei entfalten zu können, sind die Basis aller Aktivitäten dort. Regeln, wie in diesen Räumen miteinander umgegangen werden soll, werden gemeinsam ausgemacht und gehen stark von den Wünschen und Bedürfnissen der Teilnehmerinnen aus. Aus meiner Sicht wird dieser Freiraum v.a. in den Bandprobe-Einheiten gelebt, weil da keine Inhalte vorgegeben werden, sondern die Teilnehmerinnen ihre Musik selbst bestimmen, Ideen mitbringen und ausarbeiten, eigene Texte schreiben, das Zusammenarbeiten lernen und selbst definieren, was ihnen gefällt. Die Band-Coaches begleiten sie dabei.
Wie seht ihr die Unterschiede der Riot Grrrl-Bewegung im Vergleich zwischen Österreich und den USA?
U.M.: Naja, die USA waren Ausgangspunkt von Riot Grrrl und können somit bereits auf eine eigene, langjährige Geschichte dieser feministischen, subkulturellen Bewegung zurückblicken, die es so in Österreich nicht gegeben hat. Hier waren es dann vielleicht die ersten Frauenbanden-Feste und Ladyfeste, wo sich zehn Jahre später DIY- und Riot Grrrl-Gedanken in selbstorganisierte Veranstaltungen in Musik, Film und Kunst übersetzten und sich so etwas wie eine Szene, eine Bewegung herausbilden konnte.
V.E.: Ein großes Thema in den USA sind All-Ages-Veranstaltungen. Da Unter-21-Jährige keinen Alkohol trinken dürfen, darf man meist unter 21 auch kein Konzert in Clubs besuchen, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Daher gibt es neben Club-Konzerten eine stark vernetzte DIY-Musikszene, die Houseshows und All-Ages-Konzerte selbst organisieren. Für gewisse Musikschaffende war und ist es auch eine Agenda, keine Clubshows zu spielen, weil Konzerte als Teil einer Jugendkultur verstanden werden und nicht als Teil einer von Clubs und Alkohol geleiteten Industrie.
Daher ist es auch möglich, in den USA abseits von Booking-Agenturen zu touren und trotzdem vor relativ vielen Leuten zu spielen, indem man sich in diesem Netzwerk bewegt und sich gegenseitig hilft. Auch die Organisation unserer US-Tour war nur durch die Hilfe dieses Netzwerk möglich. Bands wie Japanther, Grass Widow und Pink Slime haben uns sehr geholfen. Aber auch in Österreich tut sich einiges, so gründen sich immer mehr feministische Labels wie etwa Unrecords, Comfortzone oder Fettkakao. Es gab Ladyfeste, es gibt Girls Rock Camps und es gibt einen regen Austausch zwischen Musikschaffenden in Wien. Aber ich hoffe noch immer auf mehr Keller- und Wohnzimmerkonzerte!
Artemis Linhart kuratiert den filmischen Rückblick zu 20 Jahre Riot Grrrl im Rahmen des diesjährigen This Human World – Internationales Filmfestival der Menschenrechte (29. November bis 9. Dezember). Nähere Infos unter: www.thishumanworld.com