Rochade von Rechts

Der glatzköpfige Neonazi-Skin stirbt langsam aus. Rechtsextreme vergreifen sich stattdessen an jüngeren Subkulturen und Styles. Linke Symbole und Slogans jetzt auch ganz rechts: Unzufriedenheit über Globalisierung, Kapitalismus und Netzkultur bereiten den Boden dafür auf.

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Die Braunen werben wieder offensiv um Nachwuchs. Eine gewisse Engstirnigkeit bei der Wahl der Waffen ist längst Geschichte. Aufgrund des durchschlagenden Erfolgs stellt man die Berührungsängste mit den Strategien der autonomen Linken hintan, obwohl die älteren Kader die neuen Methoden anfangs noch als »undeutsch« abgelehnt hatten. Auch die Aktionsformen werden immer niederschwelliger, kaum eine Protestform, die nicht kopiert, adaptiert oder erfolgreich umgedeutet wird. »Autonome Nationalisten« sind optisch kaum von linken Autonomen zu unterscheiden. Selbst die Fahne wird frech kopiert und dabei nur Schwarz und Rot vertauscht. Die Ursprünge der autonomen Rechten gehen bis in die 90er zurück, vor etwa zehn Jahren begann man, die Klamotten und Lieder auszutauschen. Bei Demos treten sie als »Schwarzer Block« auf, aus den Lautsprechern tönen Wir sind Helden oder Die Ärzte, auch Che Guevara-Fahnen und Palästinenser-Tücher – klassische Symbole der Linken – sind keine Seltenheit. Diese symbolischen Aneignungen waren eigentlich einmal Strategien der Linken gegen Rechte. Diese Taktik hat aber nicht nur das Ziel, die Polizei und die Gegner zu verwirren. Politisch gibt es Überschneidungen mit den Themen der autonomen Linken, wie etwa das Feindbild Amerika, Kapitalismus oder Euro. Einzig an den xenophoben, antisemitischen und nationalistischen Transparenten sind die rechtsradikalen Absichten erkennbar.

Wer sich durch Ausländer bedroht fühlt, bei dem steigt die Bereitschaft, zumindest mal vorbeizuschauen. In urbanen Zentren stilisiert man sich bewusst als progressiv, will vom Lederhosen- und Springerstiefel-Mief der alten Generation weg, positioniert sich gegen den politischen Mainstream und versucht, die Demokratie- und Wirtschaftskrise bestmöglich auszunutzen. Auf der Webseite der Autonomen Nationalisten Wiens findet sich ein abgewandeltes Zitat der linksradikalen RAF-Terroristin Gudrun Ensslin: »Wir wissen, dass Reden ohne zu Handeln, Unrecht ist«.

Anonymous für Netznazis

Ein weiteres Beispiel für die neue Flexibilität der Szene sind die »Spreelichter«: Rechte Gruppen in und um Berlin haben einen neuen Weg in die Schlagzeilen gefunden: Im Netz organisieren sie Flashmobs, bei denen sie mit Fackeln und weißen Masken durch die Straßen und um die Blocks ziehen, fast wie normale Wutbürger, aber mit Plakaten wie »Die Demokraten bringen uns den Volkstod!« oder »Gegen die Ausbeutung aller unterdrückten Völker« bewaffnet. Sie streunen quer durch die Stadt, so schnell, dass weder Antifaschisten noch Polizei rechtzeitig eingreifen können. »Die Unsterblichen«, wie sie sich nennen, haben nicht nur die strategischen Vorteile von aktionistischen Bewegungen wie Anonymous erkannt, sondern auch die Social Networks für sich entdeckt. Aktionen werden gefilmt, nachproduziert und auf Youtube gestellt. Auch die Klicks der Schaulustigen zählen. Links werden dann in Anonymous-Gruppen oder gerne auch auf Anti-Acta-Plattformen gepostet.

»Junge Neonazis suchen nach kulturellen Abgrenzungsmöglichkeiten gegen ihre als altbackenen und klischeebeladenen Vorgänger. Und Zugang zu den Jugendszenen – das geht nur mit frischer, unverbrauchter Verpackung«, weiß auch der deutsche Politikwissenschaftler Christoph Schulze. Das gilt besonders für Szenekleidung. »Wer will, bekommt brachiale Bekenntnisse zum Nationalsozialismus, für Zögernde gibt es zweideutige Marken.« Die braunen Klamotten sind auch ein enormes Geschäft, das die Kassen bei rechten Unternehmern wie auch der NPD klingeln lässt.

HC Hardcore und andere Neutöner

Das Anfixen funktioniert auch heute noch oft mit Musik. Rechts-Rock und rechtsradikale Liedermacher gibt es zwar nach wie vor, Gitarre ist aber heute in allen Schattierungen vertreten. Besonders NS-Hardcore oder Hatecore bildeten schon früh einen Kernbereich rechtsextremer Subkulturen. Hatecore bietet für die Verbindung von Szenen perfekte Voraussetzungen: Wo vor allem Provokation zählt, sind auch Hemmungen, NS-Symbolik und Parolen zu verwenden, leichter zu überwinden. Nazi-Sein ist eine der wenigen Möglichkeiten, noch zu provozieren – »We play NS-Hardcore!« Für viele unkritische Fans ist der eigentliche Zweck der Musik unklar oder auch zweitrangig. Das wird bewusst ausgenutzt. Der Sänger der Hatecore-Band Eternal Bleeding spricht das in einem Interview mit einem Szene-Fanzine offen aus: »Bei mir gibt es in der Musik sowieso keine Toleranzgrenze, von mir aus kann gehört und gemacht werden, was will! Musik ist Musik, nur der Inhalt und die Botschaft zählen, das ist meine Überzeugung!« Nationalsozialistischer Black Metal agiert mit ähnlichen Beschwichtigungen. Auch im Hardcore Techno gab es immer wieder Diskussionen um die Rolle von Neonazis in der Szene. Bis die ersten rassistischen Brostep-Mixe auftauchen, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, mit der hoch-technischen Überwältigungsästhetik scheint der Stil das logische, nächste Ziel der Radikalen. Sie brauchen nur meistens ein bisschen länger als alle anderen, um das zu kapieren.


»I‘m not anti-system, system is anti-me«

Eternal Bleeding starteten vor zwei Jahren ein HipHop-Nebenprojekt: Sprachgesang zum Untergang (SZU). »National Sozialist HipHop« oder »patriotischer Rap« nennen sie ihre Tracks, auch hier wird die Musik als Vehikel für die Hetze missbraucht. Entsprechend schlecht hört sich das dann auch an. Es scheint vor allem darum zu gehen, die Modernisierung und Verbreiterung weiter voranzutreiben. Dem verhassten »Kanacken Rap« von Bushido und Konsorten möchte man eine Alternative entgegenstellen. Speziell was NS-HipHop angeht, ist das Netz von großer Bedeutung. Man setzt auf gratis Downloads. Die Möglichkeiten digitaler Verbreitung sprechen sich auch bei NS-Rappern herum.

Momentaner Star der braunen HipHop-Fans ist die Berlinerin Dee Ex. In ihren Texten drückt sich ihre schwülstige Heimatliebe aus und gibt sich pseudokritisch und politisch inkorrekt, scheint aber nicht offensiv rechtsextrem. Auf Facebook gibt sie allerdings mit Slogans wie »Mit freien Völkern gegen Feindbilder, Kriege & Korruption!« eindeutige Zeichen an die Szene, die »dissidenten Linken« seien aber ebenso willkommen, schreibt sie auf ihrer Pinnwand. Occupy-Plakate à la »I‘m not anti-system, system is anti-me« gibt’s obendrauf. Dee Ex geht weiter als andere, die tarnen und täuschen. Sie kokettiert, benutzt einschlägige Codes, ist »dagegen«, wo man schnell mal zustimmen kann, und »dafür«, wo auf den ersten Blick eigentlich auch nichts dagegen spricht.

Es geht längst nicht mehr darum, sich klar von den politischen Gegnern abzuheben und traditionsbewusstes Image zu pflegen. Man weiß genau: Die Grenzen zwischen rechtsextrem, Verschwörungstheorie, Globalisierungs- und Kapitalismuskritik sind in Auflösung begriffen. Das Zeitgeist-Movement unterwanderte da wie dort die Occupy-Bewegungen. Es muss sich was ändern, da sind sich viele einig. Fragt sich nur, wer für den Kampf um die Köpfe, der sich abzeichnet, besser aufgestellt ist.

Geschichtsstunde

In Österreich tauchten die ersten Skins erst in den 80ern auf, der Kult kam schon als eine rein rechtsextreme Szene im deutschsprachigen Raum an. Hooligans wechselten rasch ihre Jeanskutten gegen den Bomberjackenstil mit Glatze. Musikalisch entwickelte sich aus dem in den 70ern entstandenen Oi! Punk eine dreckige, meist miserabel performte Mischung aus Punk und Metal mit rassistischen und nationalistischen Texten, Skrewdriver mit dem »Blood and Honour«-Gründer Ian Stuart Donaldson waren die ersten, die offen ihre nationalsozialistische Ideologie besungen. »Deutschrock« dominierte in den 90ern die Szene. Und während in Deutschland nach der Wiedervereinigung rechtsextreme Gewalt rasant zunahm, trainierten hierzulande die braunen Kader der Vapo bei Wehrsportübungen und »paintballerten« im Wald. Nachdem Polizei und Justiz dem Treiben ein Ende bereiteten und die Kameradschaften verboten, schien die Zeit reif für einen Taktik- und Imagewechsel.

Zwei zentrale Entwicklungen erleichterten die Entwicklung dieser gegenwärtigen, tückischen Form von Rechtsextremismus ganz wesentlich: Einerseits stieg nach der massiven Gewalt gegen Ausländer und Asyl-Suchenden in den 90ern der öffentliche und mediale Druck auf Nazis, es kam zu einer Sensibilisierung gegenüber dem Problem Neonazismus und dessen klassischen Arbeitsweisen. Neonazis mussten reagieren. Andererseits eröffneten Globalisierung, aufkommender Antiamerikanismus und die politischen Entwicklungen nach dem 11. September auch für die Rechten neue Themenbereiche. Hinzu kommen jeweils länderspezifische Probleme wie Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Spannungen durch Migration. Die aktuelle Krisensituation macht die Entwicklung noch brisanter. Europaweit ist Rechtspopulismus erfolgreich und öffnet heute ganz besonders den Positionen der radikalen Rechten das Terrain, macht Ausländerfeindlichkeit und offenen Rassismus salonfähig, artikuliert Ängste vor »Überfremdung« und »Islamisierung«. Die Strategie geht in beide Richtungen: Die populistische Rechte kokettiert mit dem extremen Rand, und umgekehrt ist man bereit, sich in den demokratisch legitimierten Parteien und Bewegungen zu engagieren.

Über 20 Prozent der gewaltbereiten Nazis sind inzwischen bei den Autonomen Nationalisten organisiert. Sogar in Österreich, dort, wo jeder Modernisierungstrend ein wenig hinten nach ist, dominieren Skins nur noch in Vorarlberg die rechte Szene. »In der Hochburg Oberösterreich nimmt die Anzahl der schlägernden Skins ab«, sagt der lokale Nazi-Experte über die dortige Szene, Thomas Rammerstorfer vom Infoladen Wels.

Bild: Christian Jäger

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