Für ihre Dokumentation über Kurt Waldheim hat Filmemacherin Ruth Beckermann in vielen Archiven gekramt – auch in ihrem eigenen. Dabei ist ein Film entstanden, der sowohl dokumentiert als auch demonstriert.
Wer dokumentiert, hält etwas fest. Meistens aber nicht deshalb, um sich anschließend am Dokumentierten festzuhalten, sondern um es aus der Hand zu geben und herzuzeigen, um Zu-, Um- oder Aufstände jenen Generationen zu demonstrieren, die diese nicht selbst erlebt haben.
Um Hände geht es in Ruth Beckermanns Dokumentation »Waldheims Walzer« mitunter auch. Um die großen, langgliedrigen Hände des ehemaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, mit denen er beim Sprechen andauernd zu ausufernden Gesten ansetzte. Aber auch darum, nicht genug Hände zu haben, um gleichzeitig dokumentieren und demonstrieren zu können. Beckermann: »Es gelingt zum Beispiel nicht das Transparent und gleichzeitig auch die Kamera zu halten – das ist schlichtweg ein physisches Problem. Sonst stimmt es natürlich, dass im Dokumentieren auch das Demonstrieren schon drinsteckt. Trotzdem bleibt es in erster Linie immer ein Festhalten. Das war aber damals sehr wichtig, sonst wäre das Ereignis nicht dokumentiert gewesen – zumindest nicht aus unserer Sicht. Rückblickend tut es mir sogar leid, dass ich nicht mehr gedreht habe, denn dass ist es, was bleibt. Ich wollte einfach auch mitreden, aber alles geht sich dann einfach nicht aus.«
Aus den Reihen der Demonstrierenden waren es sonst nur Michael Palm und Gabriele Mathes, die das Geschehen dokumentierten. »Das Material, das am Schluss des Films in Schwarzweiß zu sehen ist, stammt von ihnen. Sonst gab es niemanden, die Videokunst und die Videokameras waren auch noch sehr jung. Handys gab es noch keine. Damals gab es die ausländischen Sender, den ORF und mich.«
»Unsere Seite zeigen«
Es war damals das erste Mal, dass Ruth Beckermann selbst zur Kamera gegriffen hat, und sie führt es auf die Dringlichkeit des Ereignisses zurück, die sie letztlich dazu getrieben habe. »Das Ganze ist aus dem Gefühl heraus entstanden, dass ich es gerne von unserer Seite zeigen möchte. Ich hatte damals nicht vor, aus dem Material tatsächlich auch etwas zu machen. Es gab damals nur den ORF, die Information war sehr gleichgeschaltet in den audiovisuellen Medien. Dieses Bedürfnis war einfach da: Es für uns festzuhalten«
Dabei ist ein Film entstanden, der profund recherchiertem Archivmaterial Ruth Beckermanns Stimme gegenüberstellt. »Am besten erinnere ich mich an die Szenen, die ich selbst gedreht habe. Das war im Mai 1986«, heißt es gleich zu Beginn. Damit wird sofort Stellung bezogen, den ZuseherInnen die Perspektive, mit der sie in den kommenden 93 Minuten auf das zusammengestückelte Archivmaterial blicken, sofort klar gemacht.
Die Transparenz der Perspektive ist Beckermann wichtig, genauso wie die Tatsache, dass es damals definitiv eine Zäsur gab. »Es war ein Moment, in dem sich viel geändert hat, in dem endlich infrage gestellt wurde, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen ist. Deswegen habe ich heute auch nicht mehr so eine Wut, sondern finde es schön, dabei gewesen zu sein. Es war gut, dass das passiert ist. Es hätte viel früher passieren müssen, aber es war gut, dass es passiert ist«, resümiert sie.
Welche Dringlichkeit und Aktualität der Film bei seinem Erscheinen haben würde, konnte sie zu Beginn ihrer Arbeit an der Dokumentation noch nicht abschätzen. Die Arbeit daran begann nämlich schon vor ihrer Zusammenarbeit mit Anja Plaschg und Laurence Rupp für den Essay-Film »Die Geträumten« und damit auch vor Trump, dem Erstarken der AfD und der Angelobung der türkis-blauen Regierung. »Dass der Film so wichtig werden wird, ist natürlich gut für den Film, andererseits natürlich schlecht«, fügt sie hinzu.
»Die Österreicher lieben berühmte Menschen«
Natürlich lassen sich die Bezüge zur gegenwärtigen Situation genauso wenig ignorieren wie die langgliedrigen Finger Waldheims, mit denen er seinen perfekt durchgetakteten Lügen eine passende Choreografie verlieh. »Waldheim behauptete damals stur, nichts gewusst zu haben, und hat das so lange durchgezogen, wie es ging. Das passiert heute ja auch ständig. Er hat teilweise einfach geleugnet, teilweise aber auch aktiv falsche News produziert und gesagt, dass er nach dem Krieg in Wien war und studiert hat. Es war kontraproduktiv für ihn selbst, aber er konnte einfach nicht raus aus seiner eigenen Lüge«, so die Regisseurin.
Es freue sie außerdem sehr, dass der Film auch bei jener Generation gut ankomme, bei einer Generation, die Waldheim höchstens aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern kannte. Durch Donald Trump, Fake News und das Erstarken rechter Bewegungen geht diese Generation zwar mit einem anderen Netz aus Assoziationen an den Film heran – doch lässt es sich so einfach über Beckermanns Film stülpen, dass hier eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten möglich wird. Eine »moderne« Sicht auf diese Zeit und ihre ProtagonistInnen war der Filmemacherin aber ohnehin sehr wichtig.
Als nur wenig modern charakterisiert sie allerdings Waldheim selbst. Während Autor Robert Menasse Waldheim in einem Essay nämlich als ersten postmodernen Bundespräsidenten bezeichnet hat, sieht Beckermann das Moderne an Waldheim ganz und gar nicht. »Für mich hat er damals schon veraltet gewirkt. Nicht nur einfach alt, sondern auch wirklich veraltet. Wir konnten mit den christlichen Werten, die er zu verkörpern versuchte, nichts anfangen, empfanden das als altmodisch. Aber genau das hat viele Leute wohl auch zu ihm getrieben. Außerdem war er berühmt, und die Österreicher lieben berühmte Menschen.«
Dass es wieder ein solch fast kathartisches Erlebnis bräuchte, um ein Umdenken und eine Wende herbeizuführen, möchte sie nicht uneingeschränkt bestätigen. »Allerdings braucht es eine neue Haltung zur Gegenwart – eine kritischere und auch kämpferischere. Wenn Wut, Regung und Leidenschaft dagegen nicht groß genug sind, wird sich auch nichts verändern.«
Ruth Beckermanns Dokumentation »Waldheims Walzer« läuft seit 5. Oktober 2018 in den österreichischen Kinos.