Samples und Stravinsky

Wüste. Irgendwo. Ein gestrandeter Mann mit Schischuhen. Das sieht man im neuen Video der kanadischen Band Doldrums. Deren Mastermind Airick Woodhead liebt Falsett-Gesang und sonstige Spielereien.

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Doldrums, das sagt Google, sind nach dem äquatorialen Kalmengürtel benannt, ein Bereich wo laut Seefahrerwissen kaum Winde wehen. Doldrums kann auch Depression, Flaute und Niedergeschlagenheit bedeuten. Von all dem hört man in Airick Woodheads Musik-Projekt, das diesen Namen trägt, wenig. The Gap befragte ihn unter anderem zu Videobändern, aber nicht zu seiner Bekannten Claire Boucher, aka Grimes.

The Gap: Bitte erklär mir deine Live-Set-Energie. Man sieht deinen Ansporn.

Airick Woodhead: Wann hast du meine Live-Show gesehen?

Nur im Internet. Wie fühlt es sich für dich an live zu spielen?

Das hängt davon ab, wieviel ich vorher getrunken habe.

Aber eigentlich fühlt es sich gut an? Bist du eine Bühnen-Person?

Ja. Ich spielte oft solo und ich arbeitete mit allen möglichen Sachen, die ich gerade zur Hand hatte, ob das nun ein abgewrackter Sampler war oder etwas anderes. Und nun, Jahre später, habe ich eine großartige Band und ein anachronistisches Ding am Laufen. Ich bin viel glücklicher mit dem Jetzt. Und ich habe einen Plattenspieler.

Ist es wichtig für dich Visuelles mit der Musik-Erfahrung auf der Bühne zu verweben? Wie wichtig ist ein alle-Sinne-aktivierender Eindruck? Oder zählt das überhaupt nicht für dich?

Ja, das ist wichtig. Ich sehe Doldrums als audio-visuelles Projekt. Als ich angefangen habe, habe ich Collagen mit VHS-Kassetten, die ich als Kind hatte, gemacht. Ich arbeitete damit genauso wie ich mit Samples arbeite. Jetzt habe ich einen Projektor mit auf Tour. Ich glaube, dass es eine traditionelle psychedelische Erfahrung ist.

Du warst bei einer Kurzdokumentation von Pitchfork über Psychedelika und Musik vertreten.

Ja. Ich glaube, dass Psychedelia alles sein kann, was dich durch eine Vielzahl von Perspektiven hievt und du verstehst jede einzelne davon. Gleichzeitig versteht man, dass sie verschieden sind, und alle sind auf ihre Weise wahr. In Bezug auf das Pitchfork-Interview, das habe ich gegeben als ich vom Burning Man aus der Wüste zurück kam. Ich war also ein bisschen fertig und müde. Ich glaube, dass in derselben Art wie psychedelische Drogen deine Perspektive verändern können, das auch jede andere Erfahrung kann. Die Idee ist doch, dass man ein Artefakt schafft, und jemand anderer sollte es auch fühlen und nicht nur verstehen können. Das ist die beste Art der Kommunikation zwischen Menschen, viel besser als Worte. Und Musik zollt dieser Kommunikation Tribut.

Samples sind sehr wichtig für dich. Hast du als Kind Hip Hop gehört?

Nein, nicht wirklich. Das kam erst später, als Teenager, mit Wu Tang und Run DMC. Meine erste Musikkassette war Run DMCs "Raising Hell". Ich bin in einem Folk-Umfeld aufgewachsen, mit sehr netten Menschen. Ich denke nicht, dass Hip Hop und meine Musik viel miteinander zu tun haben. Das, was ich mache ist mehr wie eine Collage. Ich denke, dass Menschen schon viel früher, noch bevor sie die Technologie für Sampling besaßen, eine Idee davon hatten. Zum Beispiel erfuhr ich, dass Stravinsky in "Sacre Du Printemps" 21 volkstümliche Melodien aus seiner russischen Heimatstadt benutzte und diese unter anderem einfach zerstückelt und zusammenmontiert hat. Das war für mich ein Aha-Erlebnis: Stravinsky hat gesampelt!

Bitte erzähl mir mehr von deinen Wurzeln im Folk! Du machst mehrere Projekte gleichzeitig und du bist in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen, beeinflusst das deine Arbeit?

Ja, ich fühle mich inspiriert von dem Ganzen, aber es gibt mir auch eine eigene Sprache um mich auszudrücken. Ich glaube aber, dass meine eigenen Erfahrungen, wie zum Beispiel meine Reisen, mich mehr beeinflusst haben. Ich sah das künstlerische Umfeld nie so richtig als das, was es war. Als Kind interessiert es einen nur wenig, ob alle um dich herum Gitarre spielen oder nicht.

Um noch einmal auf deine Tape-Experimente zurück zu kommen: Was ist dein persönlcher Zugang zu analogem Material, wie z.B. Bänder und Vinyl?

Ich war immer daran interessiert zu täuschen, zu mogeln und etwas abzukürzen, aber es sollte dabei immer einfach und natürlich wirken. Am liebsten sind mir aber digitale Medien. Ich arbeitete viel mit Kassetten und ich liebte den Klang von analogen Bändern und von analogen Drum-Maschinen.

Du warst sehr viel unterwegs, du bist durch Europa gereist und hast in Berlin gelebt. Was kommt als nächstes? Hast du Zukunftspläne?

Ich habe jetzt eine Katze, jetzt ist es wohl vorbei damit! Aber, ja, ich fahre zu Weihnachten nach Las Vegas.

Das neue Doldrums Album "Lesser Evil" erscheint auf Souterrain Transmissions am 25. Februar 2013.

twitter.com/Doldrum5

facebook.com/Doldrums

Bild(er) © Kate Ray Struthers, Will Deitz und Doldrums
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