Julia Melcher textet über das kulturelle Leben in Graz, vorwiegend das kulturelle Nachtleben. Diesmal: Wide Open Eyes Shut.
Graz hat ein Künstlerforum, das befindet sich mitten im Park unter uralten Kastanienbäumen, gleich neben dem historischen Brunnen. Doch, wer meint, es folgt nun ein Artikel über schnöselige und avantgardistische Vernissagen, ausschweifende Ausstellungsrundgänge oder tiefsinnige Gespräche mit dem steirischen Kulturlandesrat, der irrt. Wide Open Eyes Shut vertritt einen ganz anderen Blickwinkel.
Das Forum Stadtpark ist ein Verein mit Geschichte. Er beherbergt neben nationalen und internationalen Künstlern, die den Schauraum mit ihren Werken zeitgenössischer Kunst seit vier Jahrzehnten in einen Treffpunkt des kontemporären Kulturaustauschs verwandeln, auch einige der bekanntesten österreichischen Schriftsteller, die bei Lesungen dem Publikum ihre wortgewaltig-kritischen Versionen des jeweiligen Zeitgeists um die Ohren schmettern, unisono mit den regelmäßig stattfindenden Konzerten oder Theateraufführungen. Bemüht ist man hier auch um einen feministischen Zugang zu Kunst und Kultur und so gibt es seit heuer eine Präsidentin im Forum Stadtpark. Passend dazu und grammatikalisch korrekt: DIE Sommerfest mit DIE Grill. Den Kinderschuhen der frühen Sechziger entwachsen, hat sich die Kulturszene im Forum also kontinuierlich erweitert.
Das Gebäude, dessen parkseitige Stufen vor allem in den warmen Jahreszeiten den örtlichen Taugenichtsen oder dem Medienklischee entsprechenden Jugendlichen als Lagerstatt des gemeinschaftlichen Trinkens dienen, hat auch denjenigen, die konformistisch oder alt genug sind, um in die Clubs mit der coolen Musik hineinzukommen, einiges zu bieten. Wer nicht mehr heimlich im Park saufen muss, weil der gefälschte Ausweis zu sehr nach „Basteln im Fotoshop-Workshop mit Tante Irmi“ aussieht darf nämlich in den Forum Keller hinein, oder an einem der noch viel cooleren Workshops teilnehmen, die eine Veranstaltungsreihe anbietet, die vielseitiger nicht sein kann: Wide Open Eyes Shut ist immer anders. Und wer gerne einmal heimische Musiker oder die von ganz wo anders her, aus den verschiedensten Ecken des Genre-Gemüsebeets hören möchte, ist hier genau richtig. Ob das jetzt Postrock, Indie oder Techno ist, spielt keine große Rolle, denn Offenheit bedeutet, die Augen weit geschlossen zu halten, um zu sehen, was kommt.
Klingt irgendwie psychedelisch? Naja, nicht so ganz. Das war wohl mehr die Zeit von Peter Handke damals, als er gemeinsam mit Alfred Kolleritsch und Wolfgang Bauer, den bösen Buben der damaligen Gegenwartsliteratur, die gemeinschaftlichen „manuskripte“ verrauchte, um den Geist der Zeit einzufangen. Die Zeit vor dem Postrock also. Heute kommen Musiker von weit her und von Nahe, um vor einem kleinen aber interessierten Publikum zu spielen und bedanken sich für die Einladung in den manchmal leider nur spärlich gefüllten Keller. Dieser geht nämlich meistens erst gegen zwei Uhr nachts, wenn die Teenies von der Wiese nebenan ihren Magen im Brunnen entleert haben und den adoleszenten Rausch brav daheim ausschlafen, vor Leuten über. Das ist dann die Zeit in der die DJs, die am Nachmittag davor Workshops zu Producing oder DJing abgehalten haben, die Bässe so richtig losbrettern lassen.
Meistens. Vorigen Freitag war ja auch wieder alles ganz anders. Zu aller erst sagte nämlich „I Am The Architect“ ab, weshalb der rockige Teil des Abends ausfiel und gleich am Anfang schon zum elektronischen Teil des Programms gewechselt wurde. Dessen Highlights waren Simon/off und Mark Henning. Simon/off gehört im Forum Stadtpark quasi zum Inventar. Eigentlich in der Grazer DJ Szene generell. So wie Klippan zu Ikea und wie sein Kollege Cheever auch. Der einzige Exot auf dieser Party war Mark Henning, der nicht aus Skandinavien angereist kam, sondern nur aus Deutschland. Langweilig war es trotzdem nicht. Im Gegenteil, die Nacht verging wie ein flüchtiges Augenzwinkern, verschwommen irgendwo im nebulösen Rückblick, weit offen im geschlossenen Raum.