Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal schwärmt er von Martin McDonaghs »The Banshees of Inisherin« und den beiden beefenden Buddys Colin Farrell und Brendan Gleeson.
Ein einleitendes Eingeständnis: Hier wird zugegebenermaßen ganz gern mal ein ziemlich weiter Bogen aufgespannt, um darunter dann zumeist wohlgesonnene Worte über einen Film oder eine Serie platzieren zu können. Hier und heute soll das anders sein, soll sofort mit der Tür ins Haus gefallen werden. Hier und heute will gleich von Beginn weg nur über – Stand Anfang November – einen der größten Filme der Spielzeit 2022 geschwärmt werden. Und dafür wird nun einmal jedes verfügbare Zeichen benötigt.
Groß ist »The Banshees of Inisherin« (Kinostart: 5. Jänner; Österreich-Premiere bei der Viennale 2022) freilich nur, was seine Qualität anbelangt; die Welt hingegen, in der die neue Arbeit von Martin McDonagh (Drehbuch-Oscar für den Konsens-Hit »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«) angesiedelt ist, könnte überschaubarer kaum sein. Und doch ereignet sich auf der so abgelegenen wie ausgedachten Insel Inisherin vorm irischen Festland eines Tages im Jahre 1923 etwas von ungeheurer Tragweite – jedenfalls für den Milchbauern Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell). Ein einziger Satz ist es, der sein gesamtes beschauliches bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellt: »I just don’t like you no more« – entsprungen dem Munde seines Herzensmenschen, des Pub- und sowieso best Buddys Colm Doherty (Brendan Gleeson). Der stämmige, selten fidele Fiedler hat nämlich genug von seinem Kumpel mit dem eher schlichten Gemüt und der gemeinsamen Gesprächsroutine bei zwei, drei, vier Bieren. Einfach so.
Wenig scharfsinnig
Anstatt sich Pádraics wenig scharfsinniges Geschnatter – etwa über die Ausscheidungen seiner Viecher – zu geben, will sich der von einer Sinnkrise heimgesuchte Colm lieber seiner Kompositionskunst widmen. Womöglich kann er seiner Nachwelt ja so noch etwas von Gewicht und Wert hinterlassen. Man kann schließlich nie wissen, wann die letzte Stund auf dem Erdenrund schlagen wird.
Nicht nur aus der heimischen Popkultur wissen wir gleichwohl: Auseinandergehen ist schwer. Besonders, wenn man sich nach der Aufkündigung der Beziehung immer noch tagtäglich über den Weg laufen muss. Und der eine Sturschädel eben partout nicht billigen mag, was sich der andere Sturschädel in ebenjenen gesetzt hat. Selbstredend steht da die Eskalation stets im dürftig beleuchteten Raum – und so es ist keine Frage, ob, sondern wann und vor allem wie dieser Zeitlupenzerfall der Freundschaft in einem größeren Unglück kulminieren wird. Weil auf jede Aktion des einen zwangsläufig die Reaktion des anderen folgen muss.
Aus dem Ruder laufend
Wenn Colm etwa droht, sich für jede weitere von Pádraics versuchten Kontaktaufnahmen selbst einen seiner Finger abzuschneiden, sollte man besser davon ausgehen, dass er das fucking genauso meint. Und so beobachtet man mit Staunen, wie die Situation in schicksalhafter wie unbedingt auch hochkomischer Weise immer mehr aus dem Ruder läuft – nicht nur für die beiden sich beefenden Buddys, sondern gleich für das halbe Dorf, von Pádraics vernunftbegabterer Schwester Siobhán (Kerry Condon) über den bedauernswerten Polizistensohn Dominic (Barry Keoghan) bis hin zur Unheil verheißenden Dorfältesten, die einer jener mythischen Banshee-Geisterfrauen aus dem Titel am nächsten kommt. Und da haben wir noch gar kein Wort über das Los des süßen Zwergesels der Súilleabháins verloren …
Wie schon in ihrer ersten und bisher einzigen, mit einigem Recht unvermindert kultisch verehrten Zusammenarbeit »Brügge sehen … und sterben« versteht es die kongeniale Dreierbande McDonagh, Farrell und Gleeson, eine zunächst aufs Allerwesentlichste reduzierte Prämisse mit fortwährendem, konzentriertem Anziehen der Stellschrauben so subtil wie schonungslos auf die Spitze zu treiben, dass man so wie die zentralen Streithansln bald nicht mehr so recht weiß, wie es so weit kommen konnte. Warum plötzlich die eigene kleine Welt bis zum Horizont in Flammen steht.
Pointiert und pointenreich führen uns McDonagh und Co vor Augen, wie jedes weitere, sofort auf die Waagschale gelegte Wort unvermeidbar weitere Wellen der Missgunst zeitigt – nicht von ungefähr spielt sich das Geschehen vor dem Hintergrund des sich zeitgleich drüben auf dem irischen Festland zutragenden Bürgerkriegs ab, der langjährig Befreundete über Nacht zu erbitterten Gegenübern werden ließ.
Auch abseits der passgenauen politischen Allegorie hat diese wunderliche wie wundervolle, Herzen wärmende wie brechende Tragikomödie noch viel und vor allem viel von Belang zu sagen – über Männlichkeit und Melancholie, Stolz und Starrsinn, das unwägbare Wesen des Menschen im Allgemeinen und den unschätzbaren Wert von Freundschaft im Speziellen. Über den Trost, der sich aus dem Zusammenhalt und die Angst, die sich aus der Ungewissheit nährt. Mehr zu sagen sogar, als einem während oder direkt nach dem Schauen bewusst ist. »The Banshees of Inisherin« ist ein Film, der es nicht bloß anregt, sondern nachgerade einfordert: das retrospektive Reflektieren, Räsonieren, Diskutieren. Am besten mit den eigenen Herzensmenschen – im Beisl, bei zwei, drei, vier Bieren.
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen bzw. auf Twitter unter @prennero zu finden.