Screen Lights: »Rebel Moon« für Lateinprofs

Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal hat ihn »Megalopolis« nicht gleichgültig gelassen.

© Lionsgate

Alles schien angerichtet, der Weg, den dieser kleine Text einschlagen sollte, leuchtete in bestechend scharfen Konturen. Nach der gewohnt gewissenhaften Themensuche – siehe letzte Kolumne – tauchte erneut in letzter Minute ein Objekt der filmischen Begierde auf, über das es sich doch bestimmt lohnen würde, ausführlich und angeregt zu fabulieren: »Megalopolis« von Francis Ford Coppola. Genau: DER legendäre Coppola, der in den 70er-Jahren mit den ersten zwei »Der Pate«-Teilen, »Apocalypse Now« und »Der Dialog« unverrückbare Meilensteine des Weltkinos setzte, hat sich mit Mitte 80 tatsächlich noch einmal aus seinem Schaukelstuhl im kalifornischen Sonoma County aufgeschwungen. Für ein Alterswerk, ein Herzensanliegen.

Seit Dekaden schwirrte die Idee zu »Megalopolis« im Kopf des Seniors des vielköpfigen Hollywood-Clans (Tochter: Sofia Coppola, Neffe: Nicolas Cage) herum, konnte aber nie auf Zelluloid gebannt werden. Um den Film nun doch noch zu realisieren, trennte sich Coppola schließlich sogar von einem Teil seiner lukrativen Weingüter. Ja, wenn einer der Größten seiner Zunft 120 Millionen Dollar aus der eigenen Schatulle in seinen wohl letzten Leinwandtrip steckt, sein eigenes Bonmot »Es bedarf keiner Fantasie, um im Rahmen seiner Mittel zu leben« nochmals mit Leben füllt, dann muss das doch Eins-a-Euphoriefutter für diese Kolumne hergeben, oder?

Trübungen im Vorfeld

Einige bedauerliche Begleitumstände haben die Vorfreude in den letzten Monaten allerdings schon frühzeitig etwas getrübt. Die heuer zur Weltpremiere von »Megalopolis« in Cannes verbreiteten Schilderungen vom Set etwa, in denen dem Regisseur von unprofessionellen Drehbedingungen bis hin zu unangemessenem Verhalten alles Mögliche vorgeworfen wurde. Oder auch der schwer verhunzte Trailer zum Film, der uns Coppola mit frei erfundenen Kritikzitaten als ein von der Presse seit jeher missverstandenes Genie verkaufen wollte. Problematisch, as they say.

Aber gut, sehen wir uns das Ganze erst einmal selbst an. Die Stimme von Laurence Fishburne signalisiert gleich zu Beginn, dass es nicht an Gegenwartsbezug mangelt: »Unsere amerikanische Republik unterscheidet sich gar nicht so sehr vom alten Rom. Werden wir auch dem unersättlichen Machthunger einiger weniger zum Opfer fallen?« Coppola führt uns sodann durch die Tore von New Rome, einem Hybrid aus Comic-Kino-Moloch (mehr DC als Marvel), »Caligula« und »Metropolis«.

Um das Schicksal der von Dekadenz und Tristesse gezeichneten Megacity ist ein Kampf zwischen dem genialischen Architekten Cesar Catilina (Adam Driver) und dem populistischen Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) entbrannt. Letzterer will den Status quo bewahren, wohingegen Cesar seine nachhaltige Utopie einer Stadt verwirklichen will, die organisch mit ihren Bewohner*innen wächst. Ausgerechnet Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) ist davon angetan und wird bald zu Cesars Vertrauter. Der Bürgermeister ist naturgemäß wenig erfreut über diese Verbindung – und auch andere Feinde des Vordenkers bringen sich mit Intrigen in Stellung … Wird sich das Neue gegen das Alte, das Schöne gegen das Nützliche, das Morgen gegen das Heute durchsetzen können?

In der »Megalopolis« New Rome spitzt sich ein Konflikt zwischen Status Quo und träumerischen Idealen zu. (Bild: Lionsgate)

Megalomanische Visionen

Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, auf welcher Seite Coppola in diesem Duell der Ideale steht: natürlich auf der des Träumers, der seinen Gestaltungswillen gegen jede vermeintliche Vernunft stellt. »Wenn wir uns ins Unbekannte stürzen, beweisen wir, dass wir frei sind«, heißt es dazu einmal im Film. Und was könnte ein wagemutigerer Sprung ins Ungewisse sein, als sein Vermögen auf eine Vision zu setzen, die in der Infragestellung des Zustands dieser Welt die einzige Möglichkeit sieht, ihren Untergang zu verhindern? Was wäre das Kino schließlich ohne seine Megalomanen, die es mit Hybris in neue Welten katapultieren, indem sie die Vorstellungen davon, was Unterhaltung sein kann, mit filmischen Fieberträumen gezielt unterlaufen?

Wie aus den obigen Zeilen deutlich geworden sein sollte, hätte ich »Megalopolis« also theoretisch sehr gerne genossen. Dass ein Film, der so viel zu erzählen hat, mitunter holprig, stellenweise unübersichtlich und in seiner Dialoglastigkeit auf Dauer ermüdend sein kann, war dabei durchaus eingepreist. Und ja: In der Tat geht es zweieinviertel Stunden lang entschieden schwatzhaft zu. Coppola zitiert ausschweifend Marc Aurel, Ovid und Shakespeare, lässt sein Ensemble (in dem speziell Aubrey Plaza sardonisch brilliert) in verquasten Monologen hochfliegende Reflexionen über Zeit und Macht deklamieren, die kaum je ohne Verweise auf Literatur, Philosophie und Geschichte auskommen.

Verblüffend betörend

Die inhaltliche Überfrachtung dieses wilden Paarlaufs aus Politdrama, Science-Fiction, Noir und Satire findet ihr Pendant in einer ebenso intensiven visuellen Reizüberflutung. So schillernd und prachtvoll Coppolas digitale Bilderwelten auch sein wollen, sie wirken nicht selten auf jene kostspielige Weise billig, wie man es aus zahllosen ästhetisch verunglückten Netflix-Blockbustern kennt. Dennoch gelingt es dem Altmeister immer wieder – kurz bevor man genervt so etwas wie »Rebel Moon für Lateinprofs« in seinen Notizblock kritzeln wollte – mit nicht mehr erwarteten betörenden Sequenzen voll kühner Erfindungsgabe zu verblüffen.

Auch wenn es »Megalopolis« inhaltlich an Schärfe und ästhetisch an Finesse mangelt, bleibt man angesichts dieser ephemeren Geistesblitze immer neugierig, was Coppola als Nächstes noch aus dem Köcher zaubern wird. Das macht den unerklärlichen Reiz dieses letztlich unerklärlichen Werkes aus, das einem viel abverlangt – einen dabei aber auch nie gleichgültig lässt. Und das ist sicher mehr, als man dieser Tage von den meisten Produktionen mit neunstelligem Preisschild behaupten kann.

»Megalopolis« läuft seit 26 September in den österreichischen Kinos.

Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Serien­­geschehen. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen bzw. auf X (vormals Twitter) unter @prennero zu finden.

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