Sex and the Lugner City: Ketamin ins Trinkwasser

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal überlegt er, ob man dem Weltschmerz­vibe mit Micro­dosing bei­kommen kann.

© Ari Yehudit Richter

Seit einiger Zeit bin ich nicht so gut drauf. Ein Freund fragte neulich nach dem Grund. Ich antwortete: »Weißt du, die größten Comedians der Welt sind depressiv.« Doch er zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Ja, ich weiß, aber warum bist du depressiv?« Dann mussten wir beide lachen.

Wir wussten natürlich, dass eine einfache Traurigkeit nichts mit einer Depression zu tun hat. Für Letztere muss laut ICD-10 mindestens ein Haupt­symptom über zwei Wochen praktisch durchgehend vorhanden sein: anhaltende gedrückte Stimmung, Verlust von Interessen und Freude oder geringe Energie. »Halb­lustige Witze vor spärlichem Publikum erzählen gehört noch nicht dazu«, setzte er nach, »da ist sich die WHO noch nicht ganz einig.« Dann signalisierte ich ihm, dass es nun aber gut sei.

Mit meiner Nieder­geschlagen­heit bin ich nicht alleine. Gefühlt jede zweite Person berichtet von Schwer­mut, als gehe sie gerade um wie eine Grippe. Ein Zeichen der Zeit im Jahr 2025. Manchmal frage ich mich deshalb: Ist das noch ein normaler Weltschmerz­vibe im Co-Working-Space oder sollte man beginnen, den Trinkwasser­vorkommen flächen­deckend kleine Mengen Ketamin beizugeben?

Eat, Sleep, Cardio, Repeat

Hier spitze ich natürlich ein bisschen zu – was allerdings nicht unüblich ist für Personen, die gerade eine schwere Zeit durch­machen. Drogen im Trink­wasser sind selbst­verständlich auch keine Lösung. In manchen Fällen ist Micro­dosing von Ketamin oder Psilocybin aber das Einzige, das hilft.

Zumindest wird mir das von Menschen erzählt, die sich damit auskennen. Die Wirkung von Anti­depressiva ist hingegen umstritten. Niemand wisse wirklich, ob an der Serotonin­hypothese etwas dran sei, erklärte mir vor Kurzem sogar eine Pharma­zeutin. Auch sie hatte einen harten Tag hinter sich und tröstete sich mit etwas Spritzwein. Serotonin-Wieder­aufnahme­hemmer wären nichts anderes als Placebos. Dann schon lieber Alkohol, auch wenn der Spritzer mittlerweile bald fünf Euro kostet, seufzte sie resignierend.

Fragt man hingegen klinisch Depressive, was ihnen guttut, lautet die Antwort eher selten Ketamin. Die meisten schwören – neben fach­ärztlich begleiteter, medika­mentöser Behandlung – auf gesundes Essen, frühes Schlafen­gehen und regel­mäßiges Cardio-Workout. Struktur! Auch ich habe begonnen, mir auf einer Jogging­runde regelmäßig ein paar Endorphine abzuholen. Immer öfter stellt sich mir aber die Frage, ob ich den Lauf der Welt noch weg­joggen kann.

Weniger Arte-Dokus

Denn an äußeren Anlässen für Gefühle von Schwere mangelt es nicht. Manchmal zieht mich schon das »Morgen­journal« runter, obwohl Ö1-Redakteur*innen die Realität immer ein bisschen sugar­coaten, indem es jeden zweiten Tag eine halbe Stunde um einen Streit in der Ärzte­kammer geht. Die verbleibende Sendezeit reicht jedoch völlig aus, um mir meine mangelnde Wirksamkeit in der Welt vor Augen zu führen. Eine Runde auf Instagram tut dann das Übrige.

»Vielleicht wärst du glücklicher, wenn du weniger Zeit auf Insta verbringst«, riet mir unlängst ein Freund. Er habe in einer Arte-Doku gesehen, dass die starke Nutzung von sozialen Medien nur unglücklich macht. »Vielleicht wärst du glücklicher, wenn du weniger Arte-Dokus anschauen würdest«, gab ich ihm etwas trotzig zurück. Wer mit Personen spricht, die gerade Krise haben, muss auf etwas Gegen­wind gefasst sein. Denn nichts verteidigen Traurige so vehement wie ihre eigene Misere. Haus­backene Vorschläge nerven, egal wie vernünftig sie sind, wenn man eigentlich nur sudern will.

Vor ein paar Jahren war alles noch einfacher. Steckte jemand in der Krise, konnte man mit zwei Wörtern einen Plottwist herbeiführen. Man sagte, »Mach’ Bildungs­karenz!« – und das Gegenüber sah ein neues Leben am Ende eines Regen­bogens. Wie wir alle wissen, ist diese Maßnahme mittlerweile dem Rotstift zum Opfer gefallen. Meine Meinung: Der Mangel an Spanisch sprechenden Yoga­lehrer*innen wird sich in naher Zukunft rächen.

Zurück auf Werkseinstellung

Noch ein paar Jahre früher, in den Nuller­jahren, redete kein einziger Comedian von Traurigkeit. Damals redeten überhaupt nur Emos davon. Die dafür aber ziemlich oft. Viele Depressive übten sich in Tapfer­keit, weil der Ausdruck von Nieder­geschlagen­heit, Ängsten oder der schlichten Unzufrieden­heit mit den Verhältnissen verpönt war. Noch heute werden wir dazu gedrängt, Traurig­keit schnell zu überwinden, uns rasch zu erholen und auf Werks­einstellungen zurück­zusetzen.

Das ist aber nicht, was ich in so einer Situation brauche. Viel lieber wäre mir, wenn ein Freund einfach nur da ist und auf Empfehlungen zum Lebens­stil verzichtet. So hilft er, die traurige Energie zu absorbieren, bis sie für einen Moment verschwindet und ich ein bisschen fröhlich bin. Um dann vielleicht zu sagen: »Dein Leben ist doch gar nicht so schön, Josef. Solltest du nicht eigentlich Depressionen haben?«                

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...