Sex and the Lugner City: Un-frack my brain

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal zum Thema Achtsamkeit und wie sich damit eine sexuelle Trockenperiode überwinden lässt.

© Ari Yehudit Richter

Ein Typ mit stechend blauen Augen und sonorer Stimme bat mich, mir eine Tür vorzustellen. Durch die sollte jeden Moment eine Person treten, die mich liebt, und mir sagen, dass ich gut wäre, so wie ich bin. Nichts leichter als das. Danach schaute ich noch ein paar amerikanische Rezeptvideos für Handfetischist*innen, bevor ich mein Handy endgültig weglegte und versuchte einzuschlafen.

Wahrscheinlich war es kontraproduktiv, ausgerechnet auf Tiktok nach Entspannungstechniken zu suchen. Tiktok ist schließlich wie Fracking für den präfrontalen Cortex. Es wird einfach so tief gegrindet, bis weite Areale deines Gehirns komplett vergiftet sind. Dennoch verwies mich der Hashtag »Mindfulness« auf ein paar alltagstaugliche Tipps für tiefere Entspannung. Ich begann, auf meinen Atem zu fokussieren, meine Sinne zu schärfen, beendete das permanente Multitasking und zündete immer mal wieder eine Kerze an.

Letzteres hatte ich, im übertragenen Sinn, schon länger nicht mehr gemacht. Die vergangenen Monate hatte ich eine sexuelle Trockenperiode durchlaufen. Drei volle Monate hatte ich keine Action gehabt, was sich zwar nicht besonders lange anhört. In Hetero-Monaten sprechen wir hier aber immerhin von 21. Ich war mir sicher: Wollte ich meinen dry spell lüften, musste ich mein Achtsamkeitsgame steigern.

Take my breath away

In Sachen Dating hatte ich zuletzt in der Vergangenheit gelebt und dabei das Hier und Jetzt aus den Augen verloren. Auch mein Alltag fühlte sich zunehmend stressig an: morgens aufstehen, zwei Liter Kaffee saufen, dann mehrere Stunden auf verschiedene Endgeräte starren, dazwischen in schwuler Geschwindigkeit durch die Stadt hirschen. Es war einfach kein Platz für magische Momente.

Für eine Atemübung setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden. Ich atmete vier Sekunden durch die Nase ein, hielt den Atem für weitere sieben Sekunden und ließ die Luft dann durch die Lippenbremse langsam entweichen, bevor ich das Ganze fünfmal wiederholte. Dann lud ich mir Tinder runter.

Ein Re-Download von Tinder fühlt sich immer an wie der Besuch in einer Kneipe, in der man länger nicht mehr war. Man kennt sich ganz gut aus und entdeckt vielleicht ein paar vertraute Gesichter. Allerdings fällt einem auch sofort wieder ein, warum man nicht öfter hingeht. Daran konnten ein paar Atemübungen nichts ändern.

Free your mind and the rest will follow

Viel zu oft versteift man sich beim Dating ja auf eine App, einen gewissen Typ oder eine gewisse Person. Dabei bedeutet Achtsamkeit eigentlich, auf Weitwinkel zu stellen. Am nächsten Abend wollte ich deshalb eine echte Kneipe besuchen, um dort meine Wahrnehmung zu öffnen. Als ich am Tresen saß, fiel mein Blick immer wieder auf die kleinen Dinge des Lebens: winzige Cocktailschirmchen, liebevoll aufgeschnittene Zitronenscheiben, die Verschlüsse von Jägermeister-Fläschchen, die man sich nach dem Saufen auf die Nase steckt, und Typen unter 170 Zentimeter, die unaufhörlich von ihren Kunstprojekten sprachen. Achtsamkeit ist eben immer auch ein bisschen anstrengend.

Ich verließ die Bar und schwor mir, künftig nicht mehr in der Nähe von Kunstuniversitäten achtsam zu sein. Außerdem war ich wenige Tage später auf eine größere Homeparty eingeladen. Eine gute Gelegenheit, alle Register der Mindfulness zu ziehen.

Relax, when you want to come

Dort angekommen, entledigte ich mich meiner Schuhe und begann sofort, die Gegenwart als Geschenk und Möglichkeit zu betrachten. Jedes Stück Knabbergebäck leckte ich von beiden Seiten, während ich mit »Was machst du so?«-Dialogen auf eine kleine Klangreise ging. Irgendwann sorgte die Kohlensäure der sieben Biere, die ich ausgetrunken hatte, für kleine Sensationen in meinem Mundinnenraum, bis meine Entspannungstechniken endlich die volle Wirkung entfalteten. Maximal relaxed begann ich, mit irgendeinem Typen zu schmusen. Noch vor Mitternacht sollten wir vor allen anderen Gästen auf der Couch dryhumpen, bevor wir zu ihm nach Hause gingen. Der Bann war gebrochen!

Am nächsten Morgen rieben wir uns die vorangegangene Nacht aus den Augen und taten kurz so, als würden wir wir uns wiedersehen wollen. Normalerweise deprimieren mich One-Night-Stands, diesmal aber war ich ganz gechillt.

Es gibt Menschen, die sprechen das Wort »Achtsamkeit« immer mit einem gewissen Unterton, als wäre es besonders witzig. Genauso machen sie es mit »Self Care« oder »Body Positivity«. Meistens tun das Leute, die von alledem noch nie zu wenig hatten. Zu denen gehöre ich nicht. Ich hatte mir vorgenommen, mich auch zukünftig weniger zu stressen und zumindest zu versuchen, achtsamer zu leben. Vielleicht steht ja irgendwann tatsächlich jemand in der Tür, der mir sagt, dass ich gut wäre, so wie ich bin.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Aktuelle Termine sind auf seiner Website www.knosef.at zu finden. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at, auf Twitter unter @knosef4lyfe zu erreichen.

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