Die Modestudierenden der Angewandten zeigen ihren Sommer: Er ist kränklich, blass, leidend, aufregend und schön.
Am frühen Abend eines klebrig-heißen Junitags füllt eine kleine Menschenmenge den Vorplatz dessen, was früher Ankerbrotfabrik hieß und man jetzt Expedithalle nennen soll. Ein Foodtruck, in Anzügen steckende Securitys – man ist gekommen, um die Show der Modeklasse der Angewandten zu sehen.
Zuerst: das Gezerre
Das Foyer der Halle ist ganz im Griff der Kräfte, die heutzutage stetig an gestalterischen Ausbildungen zerren: auf der einen Seite Sisley-Promotorinnen, die mit gnadenlosen Probespritzern aus ihren Parfumflakons Sponsorenpräsenz zur sensorischen Faust machen, auf der anderen gleich zwei Bildschirme, von denen sich Rektor Gerald Bast mit einer bürokratisch-wohlwollenden Ansprache an die Massen richtet. Er trägt dabei einen Mantel von Jennifer Milleder, der ihn wie einen vom Latexfetisch gepackten Postkutschenfahrer aus »Lucky Luke« aussehen lässt.
Auf diesem Spielfeld der repräsentativen Begehrlichkeiten versuchen zwei besorgte Elternteile auf die jungen Frauen am Ticketschalter einzuwirken. Ob sie nicht doch vielleicht ihre Tochter nochmals sprechen könnten? Sie habe so ein Gewand an … Nein, das geht jetzt nicht mehr. Viel zu nah steht eine Show bevor, die anders sein soll als die davor. Längst sind alle Beteiligten am hektischen Werken hinter den Kulissen und dürfen nicht mehr abgelenkt werden. Hussein Chalayan, der Professor der Modeklasse, wendet sich an eine Kollegin. »The crowd will make it another show when they fill up the space«, sagt er vorfreudig.
Live-Soundscapes by Ana Threat
Das passiert dann auch wirklich. Vier inselartige Podeste mit Spiegelwänden und eine lange aber schmale Bühne an der Längsseite gliedern die von Neonlicht durchdrungene Halle. Dazwischen kreuzen mit Vlies gekennzeichnete Catwalks den Boden. Im restlichen Raum darf sich das Publikum ohne den Luxus von Sitzgelegenheiten Plätze suchen. Wer sich aber damit zu lange aufhielt, war wenig empfindsam. Bühne und Podeste sind nämlich keineswegs leer: Von Anfang an posieren hier Models oder gehen unablässig im Kreis. In einer Ecke hat sich Ana Threat positioniert und leistet mit Schlagzeug, Computer und Stimme ihren Beitrag zur außergewöhnlichen Stimmung.
Den ersten Teil der Show machten, wie gewohnt, die Arbeiten der unteren Jahrgänge. Als dicht gepackte Gesamtheit trat Schwadron nach kleiner Schwadron an Models auf um dann für einige Minuten die Halle mit pro Kollektion programmierten Pfaden und Verhaltensweisen zu bevölkern. Die Vorgänge übten die Faszination einer Wachablöse oder auch einer geschäftigen Fußgängerzone aus. Ohne wirkliche Zuweisungen zu individuellen Studierenden konnte man sich auf Details, die elaborierte Choreografie und die von der Livemusik getriebene Atmosphäre konzentrieren. Nur Milleders Kutschermantel kannte man schon und fand ihn am Laufsteg um einiges ansprechender. (Die Designerin zeigte auch einen eng geschnittenen Overall, dessen transparentes Material eine falbe Hautfarbe hatte.)
Die Schönheit der sommerlichen Maladie
Erst als die Reihe an den fünf Diplomandinnen war, begann Ana Threat deren Namen auszurufen, bevor die Models in die Halle schwärmten. Herta Bernane überzeugte mit einem quasi-sakralen Mantel, auf dem obszön aufgeblähte Edelsteine wie auf einem Reliquiar prangten und mit einem rückenfreien Flauschpullover in Blassrosa. Nora Kreparts Kollektion bot von der Weite einen freudigen Sixties-Warenhaus-Look um dann aus der Nähe dessen Dynamik blässlich zu unterwandern. Die Teile von Alissia-Lara Mayerhofer stellten in diesem Reigen die drückende Nacht dar mit labyrinthischen Schnitten und sich im Schwarz versteckenden Mustern. Die Kollektion von Patricia Narbon war in gleißender Sonne unter steifem Brokat leidend sich langweilender spanisch-habsburgischer Hofzeremoniell. Einem Model waren Schmetterlinge ins Gesicht geklebt. Oder waren es doch Motten? Frizzi Langes Models schienen nach dem endgültigen Zerfall der kränklich schönen Dekadenz der anderen Kollektionen die Reste aufgesammelt zu haben. Stark waren Details wie zerfetzte Klassikmuster über Siebdruck, lang herabhängende Träger aus durchsichtigem Plastik, eine gespaltene Kapuze und ein irisierender Kunstfellrock mit Monogramm am elastischen Bund.
Der dröhnende Soundtrack, die rücksichtslose Ausleuchtung und das Casting von Szenemenschen von ungeahnter Fertigkeit unterstrichen die Stimmung kränklicher Sommerlichkeit und eitler Schwachheit, die viele Teile der Show verband. (Nur einige Kollektionen entzogen sich dem beinahe ganz, so etwa Dalia Hassan mit ihrem ikonoklastischen Mix aus (pop-)kulturellen Signifikatoren und Streetwear.) Die Modelle wirkten wie aus schattigen Verstecken herausgezerrt und in das harte Licht eines Labors gestoßen, um einer fragilen Schönheit wegen betrachtet zu werden, derer sie selbst schon längst überdrüssig sind – ein aufregendes Schauspiel. Auch das Setup – viel weniger als ein monolithischer Laufsteg in eine Richtung gepolt – unterstütze diesen Eindruck und verdient weiter entwickelt zu werden, wie es etwa die Herbststraße mit ihrem Ausstellungsformat im letzten Jahr versucht hat.
Nach dem Defilee der Diplomkollektionen fällt der Zauber des Moments nur unwillig ab. Während sich allerseits Bekannte begrüßen und die Schlange vor dem Foodtruck länger wird, passiert ein Moment echten Sommers: Auf dem hinter Bauzäunen in Wiese auslaufenden Parkplatz tollen für ein paar kurze Minuten einige Models in voller Montur im hohen Gras umher – aber nicht allzu lang, schließlich gilt es für den zweiten Durchgang der Show in Kürze wieder in die Rolle der unter der bleichen Schwüle Leidenden zu schlüpfen.