Ist Mode ein Werkzeug die Realität zu bewältigen? Die Modestudierenden der Angewandten haben sich in Hussein Chalayans letztem Jahr als Professor an Antworten versucht.
Rotes Licht pulsiert, elektronische Laufstegmusik beginnt zu pochen, die Wand des neuen Multifunktionsatriums der Angewandten öffnet sich wie zwei Herzklappen und heraus fließen die Arbeiten der nächsten Generation an Wiener Modeschaffenden. Hatte man den lähmenden Teil der Reden und Preisverleihungen überlebt, dessen sonst immer beschworene Unabwendbarkeit durch die Show der Modeklasse im letzten Jahr eigentlich bereits als widerlegt erschienen war, stellte dieser theatralische Höhepunkt des Abends die wirkliche Begrüßung dar.
Gegenwart hacken, Zukunft bekommen
Was folgte, bediente sich dann aber umso weniger der großen Geste. Statt Paukenschläge oder Provokationen zu wagen, die heute ohnehin meistens ins Wasser schlagen oder offene Türen einrennen, suchten die überzeugenden der gezeigten Kollektionen ihre Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien allesamt im Kleinen. Statt uns utopisch eine Zukunft des radikal Neuen hinzuknallen, arbeiten die Studierenden die Reste des Bestehenden auf, ordnen sie neu an, hacken sie und trotzen ihnen so mit Hilfe innovativer Allianzen Wege des Überlebens ab.
Anna Hambira etwa sammelte, was die Expertise einer Legion an strickenden Großeltern sein muss, und destillierte aus diesem Myzel des Wissens eine wie gewachsen erscheinende Formensprache der Maschen. Ihre Sturmhauben sind nicht nur warm genug für den nuklearen Winter, sie strahlen auch die Heimeligkeit von Kannenwärmern aus. Ivan Iveljić zeigt ebenso Häuslichkeit in Form einer Tasche als Faksimile eines Klopapier-Multipacks und träumwandlerisch verwirrter Outfits, könnte aber durchaus noch verschlafener sein. Valentine Déhan schließt sich mit einer Schürze und einer rüschigen Polstertasche an.
Spleenige Gartenparty der Häuslichkeiten
Biedermeierliche Krisenbewältigung in Österreich blickt gern nach England – so auch Georgia Ferguson, deren Kollektion wie eine jahrhundertelange Reise durch die Kleiderkästen eines außerordentlich alten und unaufgeregt stilvollen adligen Hauses daherkommt, die nur so schnell abgespult wird, dass sie zu einer Handvoll Outfits verschwimmt. Anna Sedlmayr geht genauso nur ganz anders vor und stürzt uns mitten in die Gartenparty einer bürgerlichen Familie, deren Exzentrizität und Spleen bereits derartige Ausmaße angenommen haben, dass alle in verständnisloser Bewunderung zurückbleiben müssen.
Ganz direkt der Bewältigung eines widrigen Alltags verschreiben sich Dalia Hassans mit dem Birkhäuser Award ausgezeichnete Designs: symbolisch und konkret mit Tamponbandolieren, militärischen Gurten, Bundesadlern aus Strasssteinen und Schnitten, die den Körper hier schützen und da durch ovale Ausschnitte sichtbar machen. Resultat ist eine Kollektion, die für Apokalypse und Normalität gleichermaßen gemacht ist oder eigentlich für eine Welt, in der Apokalypse und Normalität überhaupt das Gleiche sind. Motunrayo Olaogun hat währenddessen aus Superrüschen, Zotteln und durchsichtigem Plastik etwas wie das modische Identifikationssystem eines Postmodern Tribe entworfen.
Von Louise Streissler, der Empfängerin diverser Preise (Adlmüller-Stipendium, Rondo-Modepreis), erhofft man sich ohnehin auch eine Trachtenkollektion – in a good way! Sie flieht in die Sommerfrische und legt Klassiker wie den Regenponcho zum Wandern neu auf. Im Programm zwischen den Diplomen fallen von den Studierenden im dritten Jahr zum Beispiel Fritz Haßler (Gewand zum Wohnen), Ilija Miličić (Stricher oder Bohemiens?) und Vanessa Schreiner (Zersetzung von Bekanntem, Hüfthose neu!) auf. Die Kollektionen des zweiten Jahrgangs schließlich fügen sich zu einem unterhaltsamen Reigen freundlich konkurrierender High School-Cliquen zusammen.
Die Show der Modeklasse 19 an der Universität für Angewandte Kunst Wien fand am 6. Juni statt. Dem weiteren Schaffen der Modeklasse könnt ihr auf Instagram folgen.