Der 28-jährige Umut Dag gehört zu einer jungen Generation österreichischer Filmemacher mit Migrationshintergrund, die sich erfolgreich dagegen wehren, etikettiert oder ghettoisiert zu werden.
„Mein Ziel ist es nicht, Migrantenfilme zu machen. Mein Ziel ist es, Filme zu machen.“ – Dabei geht es dem gebürtigen Brigittenauer mit der Außenwahrnehmung ähnlich wie der Wiener HipHop-Formation Sua Kaan, die trotz langjähriger Arbeit um Aufmerksamkeit kämpft. Für sie hat er neben der Doku »Aus eigener Kraft« auch zahlreiche Musikvideos gemacht, die in ihrer professionellen Erscheinung außergewöhnlich sind.
Sein Handwerk erlernte der Regisseur an der Wiener Filmakademie und auf zahllosen Filmsets. Als Bachelor-Arbeit drehte er »Papa«, der bei der diesjährigen Diagonale den Kurzfilmpreis gewann und ab Juni im Wiener Votivkino zu sehen sein wird. In 40 berührenden Minuten erzählt Dag von einem rappenden Vater, der erst Verantwortung für seine Söhne übernimmt, als ihn seine Frau verlässt und der letztlich an seinem stolzen Rollenverständnis scheitert.
Im Moment steht Umut Dag kurz vor dem Drehbeginn seines Kinodebüts. »Aufbruch« lautet der Arbeitstitel, produziert wird von Wega Film (»Das weiße Band«, »Caché«) mit einem Budget von über einer Million Euro. Das gemeinsam mit Petra Ladinigg geschriebene Kammerstück handelt vom Schicksal einer türkischen Mutter mit sechs Kindern, die mit ihrer Familie in Wien lebt. Weil bei ihr eine Krebserkrankung diagnostiziert wird, fürchtet sie zu sterben. Um ihre Familie nicht allein zu lassen, holt sie für ihren Mann eine Ersatzfrau aus der Türkei. Die ist so jung wie eine ihrer Töchter und wird mit dem Sohn verheiratet, weil sie sonst nicht legal einwandern könnte. Dag: »Die Ironie an der Sache ist, dass alle begeistert sind von Film und Drehbuch. Die einzige Förderstelle, die uns nicht gefördert hat, ist der Wiener Filmfonds.«
Ein Gespräch mit dem Regisseur über die Herausforderungen junger Filmemacher, Ressentiments und Migrantenfilme, die keine sind.
Woher stammt die Inspiration für diese Geschichte?
Mich interessieren diese Mütter um die 50, die für ihre Familie und ihre Kinder leben, nichts anderes haben im Leben. Mit welchen Wertvorstellungen sie versuchen, ihre Familien zusammenzuhalten, welche Werte sie ihren Kindern vermitteln wollen und in welchem Horizont sie leben. Wieso sie da nicht rauskommen, mit welchen Traditionen sie aufgewachsen sind und die überhaupt nicht verlieren, an ihnen festhalten als Qualitätsmerkmal. Dieses generelle Hausfrauenproblem – was macht so eine Frau? Wem gegenüber kann sie sich öffnen in einer Gesellschaft wie der türkischen, wo alles über den Schein nach außen hin funktioniert?
Ist der Kontakt zu Wega Film über die Filmakademie, wo auch Haneke unterrichtet, zustande gekommen?
Nein, ich bin stolz darauf, dass es nicht über die Akademie gelaufen ist. Noch bevor ich an der Akademie war, hab ich lange Zeit bei österreichischen Filmproduktionen als Kaffeeholer, Set-Assi, Fahrer usw. gearbeitet – unter anderem auch für Wega. Die haben einfach gesehen, wie ich reinhackle am Set.
Warum wird der Film nicht vom Wiener Filmfonds gefördert?
Der Chef des Wiener Filmfonds, Dr. Peter Zawrel, stand irrsinnig hinter diesem Film, hat alles getan, damit dieser Film passiert. Aber es entscheiden ja immer Beiräte, Jurymitglieder und da gab es – ich gehe sogar soweit – rassistische Ressentiments gegenüber Menschen mit Kopftüchern. Dann hieß es, wen interessiert das? Besonders ein Jurymitglied, das nicht einmal in Österreich lebt, geschweige denn in Wien, hat dann gemeint, wen interessiert denn eine Geschichte über Türken?
Das ist, was dir zu Ohren gekommen ist?
Nein, das hat mir dieser Juror ins Gesicht gesagt: »Eine Geschichte über Türken interessiert niemanden außer die Türken«. Es kamen auch solche Sachen wie, »auch die USA haben ja Probleme mit so Menschen, mit dem Islam, mit Fundamentalisten«. Aber in meinem Film wird kein Wort über den Islam gesprochen! Die Frauen haben Kopftücher um, weil es halt zu ihrer Tradition gehört. Das war’s, es geht um eine Geschichte zwischen zwei Frauen.
Ich war bis jetzt nie mit Rassismus konfrontiert, das war das erste Mal. Es hat mich irrsinnig mitgenommen und sehr enttäuscht. Aber es ist egal, denn letzten Endes hab ich eine Produktionsfirma hinter mir, der ORF steht hinter mir, das österreichische Filminstitut steht hinter mir. Jetzt liegt es an mir, diesem Vorschussvertrauen gerecht zu werden.
Im österreichischen Kino-Mainstream sind Filme, die von Menschen mit Migrationshintergrund handeln, nicht sehr präsent. Geht es dir in deiner Arbeit um Repräsentanz?
Nein, überhaupt nicht. Ohne zu sehr polarisieren zu wollen: Ich hab das Gefühl gehabt, dass wenn ich eine Chance haben will, meinen ersten Langfilm zu machen, dann müssen Tschuschen drin vorkommen, sonst habe ich keine Berechtigung und keine Argumentation, wieso ich gerade diesen Film mache.
Wie meinst du das?
So ist die Argumentation ein bisschen einfacher. Es geht um Türken, auch wenn ich Kurde bin, ich kenne das Milieu, ich kann daraus erzählen. Was nur bedingt stimmt. Ich erzähle von einer Familie, die ich so noch nicht erlebt habe.
Also geht es um Glaubwürdigkeit?
Man sieht einen Namen, eine Herkunft und abstrahiert automatisch. Wenn man dann aus einer anderen Kultur erzählt, aus deren Wurzeln man kommt, ist das eine authentischere Kraft. Ich muss nicht so viel recherchieren wie jemand anders. Das ist mehr ein Gefühl, auch für die Sprache. Der Film ist wahrscheinlich zu 70% auf Türkisch. Die Geschwister reden untereinander Deutsch, weil sie hier aufgewachsen sind. Mit den Eltern spricht halt Türkisch. Ist halt so. Natürlich hab ich da einen besseren Zugang.
Wie heikel ist es, nicht in eine Migranten-Schublade gesteckt zu werden, wenn man dann erst recht sagt, mein erster Langfilm muss einer mit Tschuschen sein?
Ich hab mir gedacht, ich hab da die besten Chancen. Natürlich muss die Geschichte stimmen.
Warum hast du da die besseren Chancen?
Weil ich besser argumentieren kann. Weil es auch eine Geschichte ist, die in Österreich so noch nicht erzählt wurde. Weißt du, auch bei »Papa« – ich wurde bei der Diagonale gefragt, was hat das für eine Bedeutung, dass der Hauptdarsteller Türke ist? Wo ich mir gedacht habe, Oida, was willst du jetzt von mir!? Du würdest mich das nie fragen, wenn das jetzt ein Mundart-Rapper wäre, der diese Geschichte genauso hätte erzählen können. Ich finde diese Fragen immer sehr zwiespältig.
Jetzt bei meinem Langfilm kann man sagen, okay. Also erstens geht es für mich da nicht um Polygamie. Es geht um Frauen, um verschiedene Generationen, die mit einem anderen Wissen, einer anderen Erziehung hierhergekommen sind und um eine neue Generation, die sich dann hier ändert, und – ich will nicht sagen integriert – das eher aufnimmt, was hier ist. (Pause) Eines der Argumente beim Wiener Filmfonds, das mich so irrsinnig aufgeregt hat, war, wieso mein Film nicht so ein Brückenschlag ist, wie die Filme von Fatih Akin. Ja, geht’s zu ihm! Das ist jetzt nicht meine Aufgabe.
Die Erwartungshaltung, jemand mit Migrationshintergrund müsse Brückenschläge fabrizieren.
Ja. Ich hab von Anfang an gewusst, ich will keine Geschichte erzählen, wo es um Integration geht, wo es um Ehrenmord oder irgendwas geht. Was eh schon zum Kotzen ist, irgendwelche Klischees bedienen. Ich will jetzt etwas erzählen aus einer Perspektive, die wir so noch nicht kennen. Ich kenne keinen Film, in der die Hauptfigur eine Mutter um die 50 mit Kopftuch ist. Eine, die wir jeden Tag auf der Straße, in der Straßenbahn sehen. An denen wir vorbeigehen, die zum Stadtbild, zum Alltag gehören und wir nicht wissen, wie die leben. Ich will deren Geschichte mal zeigen.
Die Unsichtbaren sichtbar machen.
Natürlich, und eine ungewöhnliche Geschichte erzählen, die mich berührt. Es geht um das Band zwischen diesen beiden Frauen. Ich finde es einfach absurd, Männern im Film so eine große Dominanz zu geben und überhaupt in der ganzen Gesellschaft, wo wir unsere Mütter, unsere Schwestern, unsere Frauen einfach so neben uns lassen. Das ist lächerlich.
Dir ist es bei »Papa« also auch nicht darum gegangen, mit dem Klischee dominanter türkischer Väter zu brechen?
Nein, um Gottes willen.
Themawechsel: Wie geht es dir mit deiner Karriere als aufstrebender Regisseur?
Ich hoffe noch gut. Dieser Film entscheidet über alles, über sein oder nicht sein.
Was wäre ein Erfolg für dich?
Ein A-Festival. Auf denen muss man eine internationale Weltpremiere haben, erst dann darf man auf andere Festivals. Eine Zuschaueranzahl, die im Durchschnitt des österreichischen Films ist, wenn man alle Komödien weglässt. Man kann nur versuchen einen Film zu machen, der berührt.
Wie kommt’s, dass du mit »101010« einen – nennen wir es beim Namen – Propagandafilm für den SPÖ-Gemeinderatswahlkampf 2010 in Wien gemacht hast?
Das war Riefenstahl in Reinkultur. Wirklich, ich steh auch dazu. Es gab nicht viel Geld.
Es war also nicht wegen dem Geld.
Nein. Ich muss ehrlich sagen, ich bin noch in der Phase, wo ich nicht zu vielem nein sagen darf, weil ich es mir nicht leisten kann. Nicht wegen der Kohle, sondern einfach wegen dem, was ich da rausholen kann.
Was konntest du da für dich rausholen?
Bilder, die ich für mich verwerten kann. Kontakte, die ich knüpfen kann. Übung. Szenen zu finden, die ich so noch nicht gedreht habe. Jede Erfahrung die ich mache, hilft mir bei etwas, was dann entscheidender sein könnte, wie z.B. jetzt bei meinem Spielfilm. Jede Schwierigkeit mit der ich konfrontiert wurde, ist eine Schwierigkeit, mit der ich schon konfrontiert war. Jede Erfahrung ist Gold wert.
Aber ist es nicht gerade für einen jungen Filmemacher bedenklich, parteipolitisch konnotiert zu sein?
Ich weiß, ja. Aber wenn man das in Österreich macht, wo außer Rot und Grün nichts mehr in Frage kommt, hab ich jetzt nicht so ein Problem damit gehabt.
Keine Scheu vor einem politischen Schatten?
Nein. Dass ich ein SPÖ-Propagandavideo gemacht habe, hat mir letztendlich auch nicht dabei geholfen, Gelder des Wiener Filmfonds zu bekommen, obwohl er im Kulturressort von den Roten ist. Es ist egal. Ich hoffe, wenn die nächsten Nationalratswahlen da sind, kommen sie mit den großen SPÖ-Videos zu mir.
Da bin ich auch ehrlich, ich will auch Werbung machen irgendwann. Ich hoffe und ich weiß, dass der Kinofilm gut sein wird, weil ich alles dafür tun werde, aber ich weiß nicht, ob der so erfolgreich sein wird, dass ich eine zweite und eine dritte Chance bekomme. Dementsprechend muss ich mich absichern, weil ich nichts anderes habe.
Wann wirst du dein Studium an der Filmakademie beendet haben?
»Papa« war mein Bachelor-Abschlussfilm, aber mir fehlt noch die Bachelor-Arbeit. Ich dreh halt lieber meinen ersten Langspielfilm, als meine Abschlussarbeit zu schreiben.
Ab dem 2. Juni wird »Papa« von Umut Dag im Wiener Votivkino zu sehen sein.