Leider hat nicht jeder reiche Eltern – die meisten Menschen, die sich noch in Ausbildung befinden, nutzen also die Sommermonate, um die Haushaltskasse ein bisschen aufzubessern. Dabei ist man gerade in jungen Jahre bereit, „Erfahrungen zu sammeln“, was soviel bedeutet wie: „Dinge tun, die man eigentlich nicht tun will“. Haben wir auch gemacht. Das ist uns dabei passiert. Und so haben wir dabei ausgesehen.
Gabriel Roland – Postbote
In einem Jahr, das zum Beispiel 2006 gewesen sein könnte, habe ich beinahe einen Monat lang im Zustelldienst der Österreichischen Post als Sommeraushilfe gearbeitet. Das intensive Drängen meines Vaters, in den Schulferien erwerbstätig zu werden, und das Gerücht, dass die Post auch Leute einstelle, die von ihrer eigenen Inkompetenz überzeugt sind, und gleichzeitig gut zahle, trieben mich in die Arme dieser würdigen Institution.
An meinem ersten Tag wurde mir der Postler vorgestellt, dessen Rayon ich zu übernehmen hatte: Herr Coach. Den Namen stellte ich wegen des unablässig getragenen Kapperls und der Fußballbegeisterung nicht in Frage. Erst viel später und lange nachdem mir erzählt wurde, dass er nun bald seine Familie in der Türkei besuchen würde, schloss ich, dass er wohl doch eher Herr Koç hieß.
Herr Koç war eine durch und durch bemerkenswerte Person. Seine rechte Hand bestand, wohl von Kindesbeinen an, nur aus einem Stummel. Trotzdem übte er den Beruf des Briefträgers mit einer unwahrscheinlichen Geschicklichkeit und einem beinahe heiligen Eifer aus. Außerdem beklagte er sich im Gegensatz zu seinen Kollegen nie. Angeblich war der Urlaub, während dessen ich ihn vertreten sollte, der erste seiner Karriere.
Obwohl ich nie eine wirkliche Gesprächsbasis mit Herrn Koç fand (wohl durch mein mangelndes Fußballwissen), arbeiteten wir sehr effizient zusammen. Innerhalb einer Woche brachte er mir mit unaufdringlicher und kollegialer Pädagogik das Handwerk des Briefträgers bei. Als er schließlich abreiste, war ich in der Lage meinen Job mit großer Geschwindigkeit zu verrichten – das war das Wichtigste.
Mein Zustellbereich erstreckte sich auf zwei große Gemeindebauten an der Quellenstraße mit je um die 20 Stiegen. Trotzdem war ich mit dem Sortieren, dem Austragen bei einem Arbeitsbeginn um 5 Uhr oft schon zu Mittag fertig. Danach wurde noch abgerechnet und es wurden die Werbezettel für den nächsten Tag zusammengelegt. Es gab aber auch Herausforderungen: Pensionszahltag (Raubüberfälle), Auslieferung der Otto-Versandkataloge (tonnenschwere Last) und das Verschwindenlassen überzähliger Postwurfsendungen.
Mit der Wiederkehr des Herrn Koç war die glanzvolle Zeit meiner Briefträgerkarriere vorbei – und zwar am vorletzten Tag meines Dienstverhältnisses. Schnellerdings wurde ich einem anderen Rayon zugeteilt, in den ich nicht nur nicht eingearbeitet war, sondern der normalerweise per Auto erledigt wurde. An diesem Tag arbeitete ich über zwölf Stunden lang ohne Pause. Das war zu viel für meine junge Existenz und so reichte ich am nächsten Tag – anstatt meinen letzten Arbeitstag anzutreten – mit rechtschaffenem Zorn meine Kündigung ein.