Die angesagteste Muschel am Ohr

Mit dem zweiten Album „Underneath the Pine“ verabschiedet sich Gallionsfigur Toro Y Moi von seinem gefeierten Genre Chillwave. Das glorreiche Ende eines rauschenden Sommermärchens.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Im Sommer 2009 war es wieder soweit, Urknallstimmung im Popkulturuniversum. Chillwave? Ja, Chillwave! Wer war zuerst da, Hype oder Blog-Eintrag? Den überlieferten Schöpfungsmythen zufolge war es ein Blogger namens Carles (hipsterrunoff.com), der als erster Bands wie Neon Indian, Washed Out, Memory Tapes, Small Black oder Toro Y Moi unter dem Genrenamen Chillwave zusammenfasste und damit das Phänomen begründete. Der Begriff meint einen psychedelisch rauschenden Sound, der sich aus effektlastigem (Loops, Reverbs, Microsampling, Filter) 80er Synth-Pop, HipHop, Ambient, Shoegaze und sanften Disco-Anleihen zusammensetzt. Doch abseits der Blogosphäre gab es keinen wirklichen regionalen Knotenpunkt einer Szene, keine gemeinsame Geisteshaltung und zum Teil bildeten nur einzelne Songs gemeinsame Nenner. Vereinzelte Künstler fühlten sich falsch etikettiert, doch mit zunehmender Aufmerksamkeit und gestiegenen Bookings ging die Kritik jedoch bald im eigenen Rauschen unter.

Etwas verspätet erreichten die neuen Lo-Fi-Laptop-Melancholiker mit ihren Ausdifferenzierungen Richtung Club oder Gitarrensounds dann auch Europa. So versuchte etwa das Berliner Label !K7 im vergangenen Winter eine Auswahl populärer Chillwaver auf »F*>k Dance, Let’s Art« nachträglich zusammenzufassen. Mit »Sounds From A New American Underground« verzichtete die Compilation gleich auf ambivalente Begriffsklärungen. Schließlich waren in der Zwischenzeit bereits düstere Subgenres wie Witch House an den Rändern von Chillwave entstanden, die ähnliche Wellen schlugen und ebenso auf den Sampler mussten. Während sich das Phänomen Chillwave also seinem internationalen Höhepunkt näherte, fiel in der breiten Rezeption vor allem ein Name immer wieder positiv auf: Toro Y Moi. Besonders tanzbare Pop-Harmonien verschafften Vorsprung und Massentauglichkeit.

Jenseits des Wellenbrechens

Chaz Bundick aus South Carolina ist Anfang 20, studierter Grafiker und als Toro Y Moi die Speerspitze des verblassenden Phänomens Chillwave. Seine Karriere begann damit, Songs an Blogs zu verschicken, kurz darauf wurde sein Album »Causers Of This« schon vom britischen NME als »Masterpiece« gefeiert. Bald fand sich Chaz auf Festivalbühnen und auf gemeinsamer Tour mit Caribou wieder. Dank sachter Disco-House-Verweise blieben die Melodien seines smarten Debüts dauerhaft in Erinnerung. Besonders mit seinem verträumten und splittrigem R’n’B-Rauschen klang Toro Yo Moi bis zuletzt wie die sprichwörtliche Muschel am Ohr. Seine Tanzbodenaffinität gliederte er indes auf das Projekt Les Sins aus, wo er mit mit Dance-Pop, Italo Disco und House experimentiert. Album zwei von Toro Y Moi ist der nächste Schritt zur Ausdifferenzierung seiner Musik und seines Genres Chillwave. Im Vorfeld meinte Chaz, dass sein Songwriting hier viel geradliniger ausfallen würde und das hört bei dem von Horror-Soundtracks inspiriertem »Underneath The Pine« auch wirklich: Das schwammige Rauschen ist einem klaren Brodeln gewichen, fragile Disco-Anleihen wurden von psychedelischen Funk-Harmonien und handfester Space Disco ersetzt, aus Tracks wurden Songs. Selbstbewusst mit Instrumenten im Rücken, singt Toro Y Moi nun kleine Dream-Pop-Hymnen, die immer noch verspielt, jedoch deutlich unterscheidbarer und ausgereifter sein wollen. Toro Y Moi klingt damit immer noch außergewöhnlich, hat aber kaum mehr was mit echtem Chillwave zu tun. Aber das ist 2011 – Stichwort: Post-Chillwave – ohnehin schon Schall von vorgestern.

»Underneath The Pine« erscheint am 22 Februar via Carpark Records. Die 12“ »Lina« von Les Sins ist dort bereits erschienen.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...