Graz will City of Design werden. Graz will das Jakominiviertel entschandeln. Was Graz alles so will, davon sind die Bürger oft ahnungslos. Nach langem Schweigen wird nun Julia Melcher zur herannahenden Stillen Zeit wieder etwas lauter und sieht sich die Kultur mal etwas näher an.
Graz ist eine kleine, strebsame und aufstrebende Stadt. Zumindest möchte sie sich gerne so nach außen hin päsentieren. Und weil wir angeblich so eine weltoffene Metropole an der Mur geworden sind, gibt es hier jetzt auch Stimmen auf Englisch in der Straßenbahn, die in beherztem steirischen Akzent den internationalen Gästen verkünden, an welcher Haltestelle sie aus dem Straßenbahnwagen hüpfen müssen. Sofern diese dann auch ausmachen können, ob es sich bei dem komischen "S"-Laut aus dem Lautsprecher um ein s, z oder gar ein "th" handelt. Ja, Tourismus ist immer ein Abenteuer!
Total hip fanden es nun ein paar Politiker und Kulturtreibende auch, eine ganze Straße rot anzupinseln. Im Rahmen der Projekte City of Design Award und Wiederbelebung der Jakoministraße. Krebsrot und quietschfidel zieht die rote Laufbahn seit September 2010 durch die Jakoministraße und die benachbarte Klosterwiesgasse ihren Kreis. Mit einem Straßenfest inklusive Wettrennen wurde das urbane Designmonstrum eröffnet. Die Gewerbetreibenden der beiden Straßen feierten gemeinsam mit den Passanten im rötlichen Schein des Viertels den neuen Flair im Zentrum von Graz.
Interessant wird das Ganze aber erst wirklich, bei der Auflistung der im Pilotprojekt Jakoministraße miteinbezogenen Betriebe. Geht man die Liste der Shops und Lokale, die auch an der Eröffnungsfeier teilnahmen, genauer durch, so findet man keinen einzigen der (benamsen wir es der Notdürftigkeit halber einmal) "mutlikulturellen" Läden aus der Straße angepriesen. Nur die Österreichischen Betriebe dürfen sich aktiv beteiligen. Der türkische Lebensmittel-Laden, die afrikanische Familie mit ihrem Haarteil-Geschäft, das fernöstliche Restaurant und das orientalische Teegeschäft (mit den unglaublichen Teesorten!) gehören NICHT zum kulturellen Geschehen des Jakominiviertels. Zumindest nicht, wenn man nach der Liste der geladenen Gäste auf dem Flyer geht. Das Ziel scheint es hier nicht zu sein, diese Gegend zu beleben, sondern eine Design-Elite zu erschaffen, die sich vom gemeinen Fußvolk und vom internationalen Pöbel abhebt. Ob man auf diesem Wege etwas "belebt", im Sinne einer städtischen Gemeinschaft, sei gründlich hinterfragt.
Wofür steht nun dieses Rot, wenn nicht fürs (be-)Leben? … wie war das nochmal? Also den Jakominiplatz selbst darf man generell als gratis Survival-Trainings-Center betrachten. Auf diesem Platz ist für keinen Verkehrsteilnehmer der zur Benutzung stehende Raum klar gekennzeichnet, mit Ausnahme vielleicht der Gehsteige (auf denen aber auch LKWs parken und Taxifahrer wenden). Sonst fahren Busse, Straßenbahnen, Autofahrer und Fahrradfahrer wild durch die Gegend; mit Hupen, Vogelzeigen und Vollbremsung sich ihre eigenen Verkehrsregeln schaffend. Nicht zu vergessen: die telefonierenden Fußgänger, die in regelmäßigen Abständen, ohne zu schauen kurz mal eben über die Straße hüpfen. Das erklärt auch die Einsatzwägen vom Roten Kreuz, die ebenso in regelmäßigen Abständen über die rote Laufbahn gen City Center düsen.
Zurück zum Signalrot: das wars! Die "Visuelle Klammer", so heißt das Projekt mit der Laufbahn. Und visuell irritiert die sicherlich mal ganz ordentlich auf diesem ohnehin höllischen Pflaster. Wo waren denn die Verkehrssicherheitsexperten bei der Bewilligung? Hm? Achso, die haben jetzt aus Gründen der Verkehrssicherheit beim Landeskrankenhaus in St.Leonhard einen Fahrradstreifen auf die Straße gepinselt. Welche Farbe der hat? Rot natürlich! Damit die Leute, die von der Rettung von der Jakominstraße herunter gekratzt werden müssen, auch eine visuelle Klammer zu ihrem zukünftigen Aufenthaltsort haben: Amnesieprävention?
Aber wie sollen wir das nun finden mit der Visuellen Klammer? Wurden wir vorher überhaupt gefragt? Die Anrainer der Jakoministraße etwa? (Ja, eine zarte Stimme wurde ihnen gegönnt im Komitee, wir wissen eh wie die österreichische Demokratie funktioniert … ). Runterspachteln geht nicht, denn jetzt kommt erstmal der Schnee und damit ein bisschen Frieden für unsere Augen und Migräne-geplagten Hirne. Im Winter können wir in Ruhe weitere Pläne gegen den neuen Red District schmieden. Friede also, aber nicht für den Jakominiplatz! Dort geht der tägliche Verkehrsirrsinn weiter, mit rutschigen Gleisen und Glühwein betropperten Fußgängern, die statt des herannahenden Postbusses nur das rote Licht am Ende des Tunnelblicks sehen. Manche davon sieht man immer wieder, vor einer der Startnummern am Boden hockend, den Countdown bis nach Hause zählen.