Als das Psychotherapiegesetz 1991 in Kraft trat, ebnete es den Weg für eine geregelte Ausbildung von Psychotherapeut*innen. Das ist über 33 Jahre her und das darin festgelegte Framework gilt bis heute. Probleme damit gibt es zuhauf. Eine Gesetzesnovelle, die die Ausbildung parallel zu privaten Instituten auch an öffentliche Universitäten bringt, soll Abhilfe schaffen. Doch ist diese Neuregelung tatsächlich der Ritter in glänzender Rüstung, als der sie gepriesen wird?
Um die Psyche der Österreicher*innen ist es schlecht bestellt. Laut dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) haben mehr als 25 Prozent der Bevölkerung in ihrem Leben mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen. Das bedeutet, dass jedes Jahr etwa 125.000 bis 250.000 Patient*innen psychotherapeutische Versorgung benötigen. Ein Bedarf, der derzeit weitgehend nicht gedeckt werden kann, weil in Österreich auf etwa 800 Einwohner*innen nur ein*e Therapeut*in kommt.
So beunruhigend diese Zahlen bereits jetzt sein mögen, die Situation spitzt sich weiter zu. Die Nachwirkungen der Corona-Jahre sind nach wie vor gravierend für das psychische Wohlbefinden der Bevölkerung. Paul Plener, Forscher und Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, bestätigt, dass der Bedarf an therapeutischer Betreuung seit der Pandemie deutlich gestiegen ist: »Wir verzeichnen weltweit eine Zunahme von Angst- und depressiven Symptomen – vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen.«
Gerade in solchen Krisenzeiten sollte eigentlich jede*r in Österreich das Recht auf einen Kassenplatz haben. Doch laut einer Schätzung des ÖBVP können weniger als ein Drittel der in Therapie befindlichen Personen einen solchen auch in Anspruch nehmen. Der Grund: Die Anzahl der Kassenplätze ist schlicht zu gering. Sogenannte Sozialtarife für einkommensschwache Menschen wiederum werden von Psychotherapeut*innen nach eigenem Ermessen, ohne gesetzlich verankertes System und somit höchst intransparent vergeben. »Es gibt einen enormen Bedarf, und der muss endlich abgedeckt werden – auch von den Krankenkassen«, schätzt Psychotherapeutin Isabella Krsmanovic die aktuelle Situation ein. »Ich glaube, dass dieser Bedarf schon immer vorhanden war, gefühlt wurde aber früher weniger darüber gesprochen als jetzt.«
Folge des Kassenplatzmangels ist, dass die meisten auf eine privat finanzierte Therapie zurückgreifen müssen. Und dabei zahlt man nicht zu knapp, oft 80 bis 120 Euro pro Einheit. Dass die Tarife sehr unterschiedlich sein können, liegt daran, dass Psychotherapeut*innen selbst festlegen, wie viel sie verlangen. Eine gesetzliche Regelung gibt es nicht.
Hohe Kosten für alle
Indirekt liegen die hohen Preise auch in der teuren Ausbildung begründet. Im Gegensatz zu allen anderen Bildungswegen im Gesundheitssektor wird die Psychotherapieausbildung nur privat angeboten und muss somit aus eigener Tasche bezahlt sowie teils selbst organisiert werden. Angehende Psychotherapeut*innen investieren rund 25.000 bis 50.000 Euro in ihre Zukunft. Ein hoher Preis. »Ich sehe einen Zusammenhang zwischen der teuren Ausbildung, wenig Kassenplätzen und hochpreisigen Therapiestunden«, sagt Constantin Kowar, Psychotherapiestudent im dritten Semester. »Bei Infoabenden wurde bereits angesprochen, dass das ein gängiges Mittel für Therapeut*innen sei, um sich die Ausbildung rückzufinanzieren.«
Die Kosten für die Ausbildung setzen sich aus den Studienkosten, die an das jeweilige Privatinstitut gezahlt werden, und den sogenannten Selbsterfahrungskosten zusammen. Selbsterfahrung bedeutet, dass Auszubildende selbst eine bestimmte Anzahl an – nicht von der Krankenkasse erstatteten – Einheiten in Therapie absolvieren müssen. Aus den genannten Gründen variieren diese Kosten von Person zu Person. Deswegen lässt sich schwer sagen, was hier mehr ins Gewicht fällt – die Instituts- oder die vorgeschriebenen Therapiekosten. Fakt ist jedenfalls, dass der Weg in die Psychotherapie, den das Gesetz seit mehr als 30 Jahren vorsieht, äußerst kostspielig ist.
Mangelnde Diversität
Die Kosten sind sicherlich auch einer der Gründe, warum es trotz eines theoretisch ausreichenden Angebots an Ausbildungsstellen, an praktizierenden Therapeut*innen mangelt. »Ganz besonders jetzt nach der Pandemie wird davon gesprochen, dass es gerade einen Fachkräftemangel gebe. Die Belastungen der Menschen und auch ihre Bereitschaft, Therapie in Anspruch zu nehmen, sind gestiegen«, erklärt Constantin Kowar. Zu den enormen Kosten für die Ausbildung kommt deren lange Dauer hinzu – meist sechs Jahre. All das sorgt dafür, dass zu wenige Menschen die Psychotherapieausbildung absolvieren und sich bei jenen, die es tun, die Diversität unserer Gesellschaft nicht abbildet. Oder wie es Isabella Krsmanovic formuliert: »Die Ausbildung ist zum aktuellen Zeitpunkt wahrscheinlich gerade für einkommensschwache Personen oder Familien eher weniger zugänglich.«
Seit das Psychotherapiegesetz Anfang 1991 in Kraft getreten ist, haben 11.000 Personen diese hochschwellige Ausbildung abgeschlossen. Das hat zu einem Status quo beigetragen, in dem Psychotherapie in erster Linie von privilegierten Menschen angeboten wird und für diese auch gut verfügbar ist, während der steigende Bedarf quer durch die übrigen Gesellschaftsschichten kaum gedeckt wird.
Novelle als Lösung?
Dem soll nun eine neue Gesetzesnovelle entgegenwirken, die am 11. Jänner 2024 in Begutachtung gegangen ist. Sie sieht vor, die Psychotherapieausbildung ab 2026 auch an öffentliche Universitäten zu bringen und den Zugang zu bis zu 500 Masterstudienplätzen in ganz Österreich zu ermöglichen. Ziele sind ein leistbarer Ausbildungsweg und der Ausbau des Kassenangebots. Noch ist nichts in Stein gemeißelt, doch die aktuellen Pläne sehen ein zweijähriges Masterstudium sowie die Möglichkeit eines Bachelorstudiums an öffentlichen Universitäten vor. Das soll leistbare Optionen nicht nur für angehende Therapeut*innen, sondern in Folge auch für Patient*innen bringen. Auch die Anerkennung für die Profession soll durch die akademische Angleichung an berufsverwandte Richtungen wie Psychologie oder die psychiatrische Fachrichtung steigen. »Psychiatrie und Psychologie sind Berufsfelder, die man kennt und über die man viel weiß. Psychotherapie gehört irgendwie dazu, wird aber oft nicht als eigenständige Profession gesehen«, beklagt Isabella Krsmanovic.
Ob die Reform alle bestehenden Probleme wird lösen können, bleibt fraglich. Offen ist etwa die Finanzierung der Selbsterfahrungseinheiten. Dabei machen diese häufig die Hälfte oder gar den Großteil der Ausbildungskosten aus. Das Angebot eines öffentlich finanzierten Studiums ist also nur die Spitze des Eisbergs. Zudem soll die geplante Novelle erst ab dem Jahr 2026 in Kraft treten. Ihre Wirkung wird erst in den Jahrzehnten danach einsetzen. Bis dahin steuern wir zielsicher auf eine Mental-Health-Krise zu, die mitunter lebensgefährliche Auswirkungen hat. »Bei den Leuten, die sagen, sie hätten schon einmal darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen, sehen wir ein konstantes Niveau«, so Paul Plener mit Bezug auf eine Studie in Zusammenarbeit mit der Donau-Universität Krems. »Das ist im Jugendalter etwa ein Drittel, wie auch schon vor der Pandemie. Aber die Zahl derer, die sagen: ›Ich denke täglich darüber nach‹, ist merklich nach oben gegangen. Wir haben weltweit eine deutliche Zunahme an Suizidversuchen.« Ein akutes Problem, das nach einer entsprechend akuten Lösung verlangt.
Die Novelle des Psychotherapiegesetzes macht einen Schritt in die richtige Richtung. Aber auch wenn sie sinnvolle grundlegende Änderungen verspricht, muss sie mit unterstützenden Maßnahmen einhergehen, die so schnell wie möglich Wirkung zeigen. Denn das Ausbildungsangebot erst in zwei Jahren weiter auszubauen und damit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten den Zugang zum Studium zu ermöglichen, das ist schlicht und einfach zu spät. Die Krise, in der wir uns aktuell befinden, kann von den derzeit praktizierenden Therapeut*innen und dem derzeit bestehenden System nur schwer bis gar nicht aufgefangen werden. Es braucht unmittelbar jetzt Lösungen. Lösungen, die heute Leben retten, nicht erst morgen.
Im Rahmen des Projekts Mental Health Days wurde kürzlich eine Studie zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen veröffentlicht. Paul Plener hat gemeinsam mit Silvia Jelincic zum gleichen Thema das Buch »Sie brauchen uns jetzt: Was Kinder belastet. Was sie schützt.« in der Edition A herausgebracht.