The Medium is the Messenger

Menschen lesen Menschen. Niko Alms Modell für die Social Media-Welt stellt die Akteure ins Zentrum – Das Medium, das ist jeder einzelne. Reichweite, Relevanz und Reputation sind dabei essenziell um Leute auch wirklich zu erreichen und erfolgreich zu kommunizieren.

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Dieser Beitrag resultiert aus einem Vortrag zum Thema „Partizipation und Demokratie: Mobilisierung durch neue Medien“ im Rahmen der Tagung “Neue Medien in Kultur und Wirtschaft“ des Europäischen Forum Alpbach am 17.11.2011 (Universität Innsbruck).

Bei politischen Bürgerbewegungen in jüngster Vergangenheit kommt das Gespräch schnell auf Phänomene wie den Arabischen Frühling, Occupy Wall Street, Studentenproteste (#unibrennt) oder auch die Piratenpartei. Die Würdigung und Erwähnung sozialer Medien und Software darf in der der Berichterstattung als Schlagwort nicht fehlen. Facebook, Twitter, Liquid Democracy et cetera scheinen als Befähigungswerkzeuge notwendiger Bestandteil moderner Bürgerbeteiligung zu sein, gerade so als wäre eine Revolution ohne Facebook überhaupt nicht mehr möglich.

Die tatsächliche Rolle sozialer Netzwerke im Rahmen partizipativer politischer Prozesse erfordert aber nicht nur eine genaue Betrachtung der Einbindung und Wirkung der verwendeten Technologien, sondern auch des verwendeten Medienbegriffs an sich. Selbstverständlich sind Fragen nach Eigentum und Kontrolle dieser digitalen Infrastrukturen sowie der Daten ebenso unerlässlich, werden aber in der weiteren Auseinandersetzung ausgeblendet, weil es an ihrer primären Wirkungsweise nichts ändert.

Arabischer Frühling für Medien

Die Proteste nach den Wahlen im Iran im Frühjahr 2009 wurden u. a. durch die Vernetzung und das sofortige Sichtbarmachen in Echtzeit mittels Twitter-Hashtag #IranElection am Leben gehalten und international zugänglich gemacht. Twitter rückte damit so weit in den medialen Fokus der Weltpolitik, dass die Initiative Internet for Peace überhaupt gleich den Friedensnobelpreis für das Internet einfordert. Riccardo Luna, Chefredakteur der italienischen Ausgabe von Wired, erklärt: “What happened in Iran after the latest election, and the role the web played in spreading information that would otherwise have been censored, are only the newest examples of how the internet can become a weapon of global hope.” Bei aller Euphorie darf aber dabei nicht übersehen werden, dass Twitter als politischer Machtfaktor in den Händen eines privaten Unternehmens mit einem de facto Monopol durchaus unerwünschte Nebenwirkungen haben kann.

Außerdem muss die Frage nach der Kausalität gestellt werden. Ist der Anstieg der Aktivität in den sozialen Netzwerken Ursache oder Wirkung der stattfindenden Proteste? Dass es sich um einen sich selbst verstärkenden Prozess handelt, darf jedenfalls angenommen werden. Ein gerüttelt Maß Skepsis, was die tatsächliche Leistungsfähigkeit von Facebook und Twitter betrifft, ist ohnehin angebracht, und ohne damit Wirkungslosigkeit zu unterstellen, gerade in der digitalen Welt können Zahlen recht leicht erhoben und ausgewertet werden.

Zwei Jahre nach dem Protesten im Iran begann im Jänner 2011 der Arabische Frühling. Die Anzahl der Tweets in Ägypten, Tunesien und im Jemen hat sich binnen einer Woche im Jänner dieses Jahres von ca. 120.000 auf 1,3 Millionen verzehnfacht. Das klingt zunächst beeindruckend, aber wird durch die absolute Zahl der twitternden Menschen [i] in diesen drei Ländern wieder etwas zurechtgerückt. Von insgesamt 115 Millionen Einwohnern nützten damals ca. 15,000 Twitter. Das ist dann doch nur jeder Zehntausendste (0,013%). Zum Vergleich: In Österreich ist ca. 1% der Bevölkerung auf Twitter registriert, also ca. 100 Mal so viel, bei vergleichsweise bescheidenem politischen Einfluss. Bei Facebook sehen die Zahlen ander aus: Tunesien (25%) und Ägypten (11%) kommen hier auf Benutzerzahlen [ii], die nicht mehr allzu weit von Österreich (32%) oder den USA (50%) entfernt sind.

Der aufkeimende Verdacht, dass die Aktivität der Menschen in den sozialen Netzwerken eher nicht der Beitrag zur kritischen Masse einer Revolution war, sondern nur deren (wichtige) Begleiterscheinung wird zumindest von ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary so gesehen. Er preist übrigens die massenmediale Wirkung des Fernsehens im Falle Ägyptens als wirklich revolutionsfördernd.

Bei allem Zweifel an der behaupteten Leistungsfähigkeit sozialer Netzwerke kann an dieser Stelle ebenso das partizipationsfördernde Potenzial gewürdigt werden, das jedenfalls technisch ermöglicht, was früher undenkbar war.

# Hashtag Revolution

Das # (dt. Raute, engl. hash) ist ein mächtiges Symbol. Es ist der rote Knopf der Demokratie, der Kristallisationskeim zur Vernetzung Gleichgesinnter. Das Doppelkreuz steht für eine neue Form kollektiven Denken und Handelns. Es steht nicht für gottgewollte oder totalitäre Ideen, die unter einem Symbol missionarisch vor sich her getragen werden, sondern für das genaue Gegenteil: Demokratie, Partizipation und Zivilcourage.

Was bedeutet diese pathetische Einleitung konkret? Auf Twitter wird mit dem vorangestellten # ein Schlagwort angezeigt, d. h. mit dem Hash ein Schlagwort (engl. Tag) definiert und daraus ein Hashtag gemacht, wie z. B. eben #unibrennt oder #IranElection. Eine wesentliche Konsequenz der Benützung von Hashtags ist die Vernetzung von Inhalten und damit auch der Users, von denen diese Inhalte geliefert werden. Auch wenn diese einander auf Twitter nicht folgen, bilden sie über die zeitnahe gemeinsame Nutzung eines Hashtags ein Ad-Hoc-Netzwerk. Nichts anderes ist im Iran, in Tunesien oder in kleinem Maßstab bei den Studentenprotesten in Wien passiert. Die Geburt und Ausbreitung eines verwendeten Hashtags, eines Memes, kann heute in Echtzeit mitverfolgt und analysiert werden.

[i] Die Nachvollziehbarkeit ist nicht ganz einfach und bezieht sich bei diesen Angaben auf das vom User eingestellte Land. Durch die Vernetzung mit Followers/Following könnte freilich eine gewisse Kontrolle dieser Zahl stattfinden.

[ii] Zahlen vom November 2011: USA (155 Mio. Facebook Users = 50% der Bevölkerung), Österreich (2.6 Mio. = 32%), Tunesien (2.7 Mio. = 25%), Libyen (0.3 Mio. = 4%), Ägypten (8.9 Mio. = 11%)


Diese Fähigkeit instantane Netzwerke über Inhalte zu bilden ist der wesentliche Schlüssel zu einer dezentralen Organisation politischer Akteure und zum thematischen Austausch in Echtzeit. An Diskussionsprozessen teilzunehmen ist zudem an keine Billigung oder Autorisierung gebunden, die „Legitimierung“ erfolgt über Glaubwürdigkeit der Quelle, also des Users und kann durch dessen Vernetzungsgrad (Zahl und Art der Followers und Interaktion) sogar technisch nachvollzogen und bewertet werden. Die zeitnahe Teilnahme an diesen Prozessen erfordert vom User allerdings, wenn auch sehr geringe, Vorleistungen, die sich im Wesentlichen darin erschöpfen einmalig sinnvolle Informationsquellen als Startpunkt herauszusuchen. In der Praxis ist das freilich an Trivialität nicht zu überbieten. Eine Orientierung auf Twitter bieten diverse Rankings, die von jenen Personen angeführt werden, die aus dem Medien- und Kommunikationsumfeld ohnehin bekannt sind. Es ist kein Zufall, dass in Österreich Armin Wolf und viele andere Journalisten die populärsten Personen auf Twitter sind.

If the news is that important, it will find me

Der fundamentale Übergang in der Medienkonsumtion durch soziale Medien wird mittlerweile durch ein geflügeltes Wort eines US-Studenten im Obama-Wahlkampf 2008 markiert: „If the news is that important, it will find me.“ Es bringt den Perspektivenwechsel von Pull zu Push perfekt auf den Punkt. Moderner, sozialer Medienkonsum äußerst sich v. a. durch die Konfiguration der richtigen Filter in einem Medienspektrum, das weit über den kommerziellen Bereich hinausreicht und sich bis zum letzten Ende des Long Tails [iii] ins Private fortsetzt.

Die Kombination aus Tageszeitung und TV-Nachrichten wurde längst ergänzt durch ein Netzwerk an persönlichen Nachrichtenquellen (wie z. B. Journalisten auf Twitter) und News-Multiplikatoren aus dem Privatumfeld, die es freilich auch vor Social Media schon gegeben hat. Viele ersparen sich das Zappen durch die Medienkanäle und finden das Auslangen mit ihrem Twitterstream. Die wichtigen Dinge kommen automatisch durch andere. An dieser Stelle muss auch der Hinweis auf eine offensichtliche Tatsache gelenkt werden: Die Überbringer der Nachrichten in den sozialen Medien sind nicht die so bezeichneten sozialen Medien selbst. Facebook und Twitter sind eine mediale Infrastruktur. Sie sind das Papier auf dem die Nachrichten gedruckt sind, aber die eigentlichen Medien – im Sinne der breiten Verwendung des Begriffes – sind die Akteure in Social Media. Wir alle sind soziale Medien. Menschen lesen Menschen. Oder in Abwandlung von McLuhan: The medium is the messenger.

Social Self Seeding

Nun liegt der Gedanke nahe, dass eine derart günstige – ich brauche mich ja nur auf Facebook registrieren – Medienproduktion auch zum eigenen Vorteil genützt werden kann, sei es schlicht aus einem kommerziellen Grund oder auch aus politischem Sendungsbewusstsein. Gemeint ist hier jedenfalls aber professionelle Kommunikation, die über den eigenen Freundeskreis auf Facebook hinausgeht und möglichst hohe Reichweite erzielen soll. Und wenn nicht auf direktem Wege gelingt, dann über den Umweg der viralen Verbreitung bzw. über Multiplikatoren im eigenen Netzwerk. Eine berechtigte Hoffnung, denn ein Blick in die Welt des Marketings zeigt, dass die erfolgreichsten werblichen Maßnahmen Formen der Mundpropaganda sind. Die Empfehlung eines Freundes oder von Bekannten steht dabei weit an der Spitze, aber auch der online publizierten Meinung von unbekannten Personen über ein Produkt, eine Dienstleistung, eine politische Partei etc. wird in sehr hohem Ausmaß Vertrauen geschenkt. [iv]

Soziale Medien sind grundsätzlich egalitäre Medien. Die technischen Voraussetzungen, um auf Facebook, Twitter et al zu publizieren oder ein eigenes Blog zu führen sind für einzelne Individuen genauso unaufwändig wie für große Konzerne oder globale Organisationen. Der Dialog auf Augenhöhe bei gleichen Voraussetzungen erfordert grundlegend neue Fertigkeiten in der professionellen Kommunikation.

Reichweite kann nicht (nur) mehr gekauft werden, sondern muss durch Inhalt erarbeitet werden. Diese Möglichkeit steht allen Beteiligten gleichermaßen offen und wird auch von Einzelpersonen zur Mobilisierung für ihre Anliegen genützt. Diese Selbstvermarkter sind die Blaupause für erfolgreiche Kommunikation in den neuen Medien.

3 Faktoren – Reichweite, Relevanz, Reputation

Aus der Analyse des Umfeldes von Social Media Kommunikatoren habe ich ein einfaches Modell entwickelt, um die Grundbedingungen für die persönliche Medienentwicklung in Social Media zu beschreiben. Es gibt im Wesentlichen drei Faktoren, die zum erfolgreichen Aufbau der Eigenmarke beitragen: Reichweite, Relevanz und Reputation.

Reichweite

Reichweite ist selbsterklärend: Wenn ich danach trachte möglichst viele Menschen mit meiner Botschaft zu erreichen, dann sollte ich möglichst viele davon auf direktem Weg erreichen, indem ich sie zu Fans und Followers mache. Eine Sache, die dabei hilft, ist, schon eine gewisse Bekanntheit in die sozialen Netzwerke mitzubringen. Armin Wolf oder Lady Gaga konnten durch ihre massenmediale Präsenz schnell Reichweite in Social Media gewinnen. Auch für populäre Medien oder Marken wie CNN, The Guardian oder Red Bull ist dies ein Leichtes.

[iii] Trägt man die Reichweiten von Medien auf der x-Achse eines Graphen auf und reiht diese von links nach rechts, dann erhält man einen typischen „Long Tail“. Im Internet sinken gehen die (Grenz)Kosten für die Publikation der Inhalte gegen Null, d. h. jeder, der publiziert, kann auch rezipiert werden. Die Inhalte des Long Tail, der früher durch eine ökonomische Grenze abgeschnitten war, sind jetzt zur Gänze nutzbar.

[iv] Die beiden vertrauenswürdigsten Werbekanäle sind „Recommendations from people known“ und „Consumer opinions posted online“. (Nielsen Global Online Consumer Survey April 2009)


In welchen Dimensionen bewegen sich also die Reichweiten? Die populärsten Medienmarken in Österreich, die Kronen Zeitung und Ö3 haben ca. die gleiche Reichweite, die auch in etwa der Zahl der Facebook-Users in diesem Land entspricht: knapp 3 Millionen. Die populärste Medienmarke in Social Media ist Ö3 mit knapp 300.000 Fans. Damit gelingt es dem erfolgreichsten Medium auf Facebook gerade einmal 10% seiner Reichweite auch direkt im sozialen Netzwerk zu adressieren, was einerseits die Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck bringt, andererseits auch eine Benchmark für Personenmarken vorgibt, die schon in ähnlichen Dimensionen rangieren. Der Österreicher mit den meisten Fans (Stand November 2011) ist Michael Niavarani mit ca. 170.000 vor HC Strache mit ca. 100.000. Einen guten Überblick über österreichische Facebook Pages bietet der Social Media Radar von Digital Affairs.

Reichweitenzuwachs alleine ist aber keine Garantie für erfolgreiche Kommunikation in dem Sinn, dass beim Rezipienten auch die gewünschte Wirkung hergestellt wird. Gerade Facebook und Twitter bieten ähnliche Möglichkeiten einer künstlichen Reichweitenaufblähung, die wir auch von traditionellen Medien gewohnt sind. Interessant ist natürlich qualifizierte Reichweite, d. h. das Erreichen der richtigen Zielgruppe.

Relevanz

Die kommunizierten Inhalte müssen auch relevant sein und zwar in doppelter Hinsicht, weshalb hier zwischen persönlicher Relevanz (subjektiver Relevanz) und öffentlicher Relevanz (objektiver Relevanz) zu unterscheiden ist.

Wenn mich jemand in Facebook oder Twitter abonniert, darf ich davon ausgehen, dass zumindest zu einem Zeitpunkt die persönliche Relevanz so hoch gewesen ist, dass eine Verbindung hergestellt wurde. Doch um einen größeren Personenkreis anzusprechen müssen die Inhalte so relevant werden, dass sie geeignet sind öffentlich rezipiert zu werden.

Die Qualität dieser Kommunikation lässt sich bestimmt nicht mehr alleine in Reichweiten ausdrücken. Glücklicherweise ermöglichen soziale Netzwerke auch die Messbarkeit von Interaktivität und Verbreitung von Inhalten, um so qualitative Rückschlüsse auf die Relevanz von Kommunikation gewinnen zu können. Services wie Social Media Ranking von Super-Fi und Klout versuchen Relevanz so zu bewerten.

Reputation

Die ältere Schwester der Relevanz ist die Reputation. Während Relevanz sehr kurzlebig sein kann und vielleicht auch nur punktuell, sowohl im persönlichen als auch im öffentlichen Bereich auftritt, ist Reputation von mittel- bis langfristiger Dauer. Sie erfordert inhaltliche Arbeit und führt in weiterer Folge zu Relevanz und Reichweite. Genau wie jeder der anderen Faktoren Auslöser für die anderen beiden sein kann. (Öffentliche) Relevanz kann Reichweite bringen und Reichweite kann zu Reputation führen, usw.

Doch nur eine Kombination aller drei Faktoren wird zu einer dauerhaften Wahrnehmung und Wirkung führen.

Fazit

Soziale Medien ermöglichen es jedem zu publizieren und an politischen Prozessen zu partizipieren. Natürlich wird nicht jede Stimme gleich(ermaßen) gehört. Eine derartige Vorstellung bleibt auch weiter utopisch, doch kontinuierliches Engagement und überzeugende Inhalte bieten jedem – wirklich jedem – die Chance über Social Media eine relevante Öffentlichkeit zu erreichen, sowohl kurzfristig, als auch nachhaltig, wenn es gelingt eine Marke mit Reputation aufzubauen.

Neu ist die Möglichkeit, Visionen und Unzufriedenheit zu kanalisieren und daraus Initiativen und Bewegungen zu bilden, egal ob zur Trennung von Stadt und Hundekot oder von Staat und Religion.

In Social Media sind wir alle selbst Medien, und wir können selbst entscheiden, das als Chance wahrzunehmen.

Über den Autor:

Niko Alm (1975) studierte Philosophie und Kommunikationswissenschaften, ist Unternehmer (Geschäftsführer der Super-Fi Gruppe) und Publizist (Herausgeber VICE). Er gründete 2009 die Laizismus-Initiative zur Trennung von Staat und Religion und ist Vorsitzender der Konfessionsfreien.

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