»Wild Style« ist die verfilmte Genesis des HipHop. Ihr Schöpfer, der Künstler und Kulturaktivist Charlie Ahearn, war beim Wiener Street Art Festival »BLK River« zu Gast und gab Interviews.
Als junger New Yorker Filmemacher beschloss Charlie Ahearn Anfang der 80er Jahre, die aufblühende Szene der DJs, MCs, Writer und Breakdancer in der South Bronx zu dokumentieren. In Form des abendfüllenden Spielfilms »Wild Style« manifestierte er erstmals die vier Bestandteile der neuen HipHop-Kultur und erwirkte einen globalen Urknall. Viele Menschen kamen dadurch erstmals mit HipHop in Kontakt und auch dass Graffiti neben MC-ing, Breakdance und DJ-ing ein Teil davon sind, wurde erst mit »Wild Style« so richtig festgeschrieben. Sein Film stiftet immer noch Identitäten weltweit.
Wo in New York muss man heute hingehen, um real HipHop zu erleben?
Was ich mir unter real HipHop vorstelle, passiert auf der Basis von Community, und zwar überall lokal. Im Moment arbeite ich gerade mit einer jungen Gruppe namens Nine 11 Thesaurus und sie agieren aus einer Junior High School in Brooklyn heraus. Meine bisherige Erfahrung war, dass HipHop auf einem lokalen Level gedeiht. Ich habe viele Künstler aus Südamerika oder Afrika getroffen und sie haben mir alle das Gleiche erzählt: HipHop ist dort auf einem Grassroots-Level sehr, sehr stark.
Was hat dich am HipHop der frühen 80er fasziniert und was ist davon heute noch übrig?
(überlegt) In den 70ern habe ich mich für Street Culture interessiert und für mich waren James Brown und Bruce Lee wichtige Beispiele dafür. Ironischerweise, denn Bruce Lee war Chinese und Amerikaner, der seine ersten Filme in China gedreht hat, aber auch sehr amerikanisch war, eine Art Synthese. Irgendwie waren besonders die ärmeren Kids in New York besessen von Bruce Lee und dem ganzen Martial Arts-Phänomen.
Als Chinese war Bruce immer ein Outsider, der sich durch eine aggressive Umwelt kämpft.
Richtig, aber hat auch einen Charakter aus der Unterschicht gespielt. Er hat gegen wohlhabende Kapitalisten und japanische Kolonialisten gekämpft. Es gab ein bestimmtes Gefühl der Befreiung. Das wichtigste in einem Martial Arts-Film ist aber die Spiritualität des Performers und sein Sinn für Disziplin und Konzentration, was ihn zu einer vollkommenen Person macht. Seine weltlichen Gegner sind nicht auf derselben Stufe wie er und dealen mit Dope. Das wurde in den Ghettos in New York reflektiert und entfachte bei Teenagern das Interesse, Martial Arts zu erlernen. Noch wichtiger ist die Idee von Martial als Ausdruck von Disziplin und Überlegenheit. Der eigene Ausdruck als Form wurde zum wichtigsten Gut im HipHop. Menschen, die HipHop nicht verstehen, verstehen nicht, dass man auf den Sound hören muss. Es ist gut Lyrics zu haben, aber es geht nicht um Lyrics. Es geht um etwas anderes.
Was hat den Menschen in South Bronx, damals 1983, an »Wild Style« nicht gefallen?
(lacht) Der Film war ein großer Erfolg am Times Square. Er wurde in zwei Kinos gleichzeitig gespielt und die Vorstellungen waren für über eine Woche ausverkauft. Warum wir die Leute dorthin brachten, lag daran, dass ich gelernt hatte, wie sie in der Bronx Leute auf ihre Partys brachten: Sie haben Flyer an den High Schools verteilt. Noch bis Mitte der 80er war HipHop hauptsächlich ein High-School-Phänomen in New York. Bevor wir »Wild Style« zeigten, haben wir also auch Leute mit Flyer vor die Schulen gestellt. Das war unser Hauptpublikum. Es war lustig, dass das normale Kino-Publikum in New York die Protagonisten des Films nicht wirklich kannte. In den High Schools waren aber Leute wie Chief Rocker Busy Bee oder die Cold Crush Brothers jedoch große Stars, dank der Kasetten-Kultur. Nun, ich weiß nicht, was sie nicht am Film mochten? (lacht) Wahrscheinlich haben die Leute die Liebesgeschichte darin gehasst, die war wirklich kitschig. (lacht) Ich erinnere mich, dass ein Kind zu mir gesagt hat, „Diese Jungs sind abgenutzt und out!“. Er sagte, Busy Bee und The Cold Crush Brothers wären nicht mehr angsagt! Zu dieser Zeit gab es immer eine Menge neuer aufstrebender Gruppen.
Hattest du während den Dreharbeiten an so einen Erfolg gedacht?
Es war ein Kampf den Film zu machen, und ich bin kein Genie (lacht). Ich war schlau genug, meine Grenzen als Filmemacher zu kennen. Für alle war es eine Art von Learning- by-doing und ich verstand, dass der Film eine Story brauchte, guten Sound brauchte und für die Leute nicht peinlich sein sollte. Für mich sah es immer so aus, als ob es noch kein echter Film wäre. Andererseits kam die Finanzierung von ZDF aus Deutschland und Channel 4 aus Großbritannien. Das war 1980, ein Jahr bevor wir den Film drehten. Ab diesem Punk war mir bewusst, das Phänomen HipHop wird groß werden und dieser Film muss all das repräsentieren. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir diesen gigantischen Schuh gerade soweit füllen würden, dass die Leute den Film akzeptieren und ihn sich ansehen. Es fühlt sich noch immer so an (lacht).
Warum fand die Weltpremiere in Japan statt?
Weil die Japaner die Ersten waren, die den Film in den Vertrieb nahmen und ihn sofort als wirklich große Sache wahrnahmen. Es war fantastisch, sie brachten den ganzen Cast nach Japan.Wir wohnten in Fünf-Stern-Hotels, sind in Stadien in Tokyo aufgetreten und durch das Land getourt. Jeder – einschließlich mir – war überwältigt. Als wir in Amerika herauskamen, gab es keine Tour, keine Bücher. In Japan hatten sie bereits zwei Bücher veröffentlicht, zwei Wochen bevor wir ankamen! Die Japaner haben eine große Sache daraus gemacht: Kisten voller Champagner, Sushi, Mädchen, die sich hingeworfen haben …
HipHop starb dann sehr schnell. Die frühen 80er waren grausame Zeiten für HipHop. Alles was der Film zeigte, wurde innerhalb von einem Jahr ausgetauscht. Man hatte Run DMC, die Beastie Boys und all das danach, die ganze Maschinerie von Russel Simmons, die Touring-Maschinerie und das Platten-Business entwickelte sich. Die Leute in meinem Team machten nie wirklich Geld. Die Breakdancer waren die einzigen, die Geld daraus machen konnten. Die kamen nach Russland, traten vor dem Papst und Ronald Reagan auf. Manche der Graffiti-Künstler hatten Shows in Europa.
Ab 1986 war aber alles vorbei. Die Bewegung wurde von einer neuen Art von HipHop ersetzt und das war Rap-Musik und die Platten. »Abgespult« oder »out« zu sein, war sehr real für viele Leute. Sie waren kommerziell abgespult. 1987 war es vorbei, das ist die Geschichte (lacht).
Was war der schlechteste HipHop-Film, den du je gesehen hast?
Ich weiß nicht, gibt es sowas wie einen schlechten HipHop-Film? Die sind alle schlecht (lacht). Das Wort kitschig kommt mir in den Sinn, »Wild Style« ist kitschig. Ich mag Spike Lees Film »Do The Right Thing«, auch wenn das kein HipHop-Film ist. Was ist ein guter HipHop-Film? Er wurde noch nicht gemacht. Die Kultur ist kommerzialisiert, so bastardisiert, auf den Kopf gestellt und so rückwärts, dass es eine Schande ist. Es ist eine Sauerei, es ist ein großer Haufen prostituierte Scheiße (lacht). Und es ist nicht die Schuld von HipHop! HipHop ist die wichtigste kulturelle Kraft auf diesem Planeten, im Sinne von wahren Werten und Repräsentation. Ich glaube daran. Ich denke nur, dass das, was wir heute auf dem Markt sehen, scheiße ist.
Charlie Ahearn war im Rahmen des Street Art Festivals »Blk River« zu Gast in Wien und zeigte im Bellaria Kino neue Kurzfilme.