Ich teile Euren Standpunkt zur Flüchtlingsdebatte. Und Eure Trauer um David Bowie. Nur: Wie sinnvoll sind Diskussionen ohne Gegner und ist Facebook ein Kondolenzbuch geworden?
"War das bei Facebook immer schon so?" ist eine Frage, mit der ich mich in den vergangenen Monaten vermehrt konfrontiert sah. Dass einige meiner Freunde offenbar dem Irrtum unterliegen, ich hätte einen besonders tiefen Einblick in die Mechanik von Facebook oder das Unternehmen an sich, sei mal müde weggelächelt.
Das genaue Gegenteil ist der Fall, die laufend wechselnden Algorithmen und hier besonders die Filterung von Informationen auf meiner Timeline hinterlässt mich seit geraumer Zeit weitgehend ratlos.
Was ich aber wieder und wieder in diversen Medien zu diesem Thema lese:
– Dass man bevorzugt das zu sehen bekäme, was man sehen möchte.
– Dass einem bloß suggeriert würde, einen neutralen Nachrichtenfluss zu konsumieren.
– Dass aber Facebook tendenziös in die Filterung der angezeigten Inhalte eingreife um so an den Daumen-hoch-Schrauben (erstes und letztes Wortspiel für heute, versprochen.) zu drehen.
Wie entscheidet Facebook eigentlich über die gezeigten Inhalte?
Facebook sagt dazu offiziell, dass den "richtigen Menschen" die "richtigen Inhalte" zur "richtigen Zeit" angezeigt werden sollen. Und weiter:
"Die Meldungen, die in deinen Neuigkeiten angezeigt werden, werden von deinen Verbindungen und Aktivitäten auf Facebook beeinflusst. Auf diese Weise siehst du mehr interessante Meldungen von Freunden, mit denen du am meisten interagierst." Quelle: Facebook
Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass wir und unsere Freunde uns gegenseitig beweihräuchern und befeuern, Meinungspluralität weitgehend verdrängt wird und die Gräben immer tiefer werden. Das Dazwischen wird abgeschafft. Das, was uns als Realität abgebildet wird, ist genau die wohlig-weiche Seifenblase, die wir Peer-Group nennen und in der wir uns gegenwärtig exklusiv bewegen. Klar, man folgt aktiv bestimmten Seiten und sieht in der Folge bewusst die gewünschten Inhalte. Aber dass scheinbar alle meine Freunde sich in der Refugees-Welcome Bewegung engagieren, mag ich nicht so recht glauben.
Dass die Meinungen meiner Kontakte nicht differenzierter ausfallen, lässt mich zweifeln. Minderheiten werden offenbar ausgeblendet und eine rechnerische Mehrheit der Meinungen bestimmt folglich die Gesamtheit der mir angezeigten Inhalte. The Winner Takes it all. Man erliegt einer Täuschung der Einstimmigkeit, die dadurch dann auch tatsächlich gefördert wird, weil Gegenstimmen weitgehend unsichtbar und ausgewogene Diskurse vernichtet werden. Ein gefährliches Ergebnis dieses Umstands ist die in den vergangenen Wochen immer wieder warnend proklamierte Polarisierung der politischen Lager.
Facebook als Kondolenzbuch
Dass sich dies aber nicht nur auf der politischen Ebene bewegt und auswirkt, davon zeugen auch die jüngsten Todesfälle künstlerischer Berühmtheiten. Das war zwar vor Jahren bei Michael Jackson schon auffällig, aber noch nicht übertrieben verdächtig, er war der größte Popstar der Geschichte. Bei David Bowie wurde man – bei aller gebotenen Wertschätzung – schon misstrauisch. Kurz nach Bekanntwerden seines Ablebens galten ihm gezählt 44 der ersten 50 Meldungen auf meiner Timeline. Alle meine Freunde sind offenbar David Bowie Fans der ersten Stunde und weinten sich nach dessen Tod tagelang in den Schlaf. Es soll selbstredend niemandem das Recht in Abrede gestellt werden, seiner Trauer für einen großen Musiker Ausdruck zu verleihen, aber diese Kettenreaktion zeichnet ein völlig verzerrtes Bild. Es wird suggeriert, dass absolut alle sozialen Kontakte sich mit diesem Thema auseinandersetzen und einen originären und emotional aufgeladenen Standpunkt vertreten. Ich spüre plötzlich so ein seltsames Gefühl, dass auch ich etwas dazu sagen sollte, einen Online-Gruppenzwang, der mich zur kollektiven Trauer drängt, um dabei sein zu können. Ich tue es dann höchstens aus bewusstem Protest nicht, weil ich die ganzen selbsternannten Bowiejünger so albern finde, und werde nur wenige Tage später nach dem Tod von Roger Willemsen wieder in Verführung gebracht.
Und genau da fällt mir jenes YouTube-Schnipsel einer Diskussionsrunde wieder ein, wo eben dieser Roger Willemsen mit Johannes B. Kerner und Markus Lanz über die Rolle und Verantwortung der TV-Medien spricht. Lanz und Kerner sind sich einig, dass es ja gut sei, den Menschen das Programm zu geben, das sie gerne haben wollen. Willemsen widerspricht und sagt den prägenden Satz "Das Fernsehen ist ein Medium der Unterforderung", im Gegensatz dazu sei "Kultur […] Überforderung und Orientierung an Minderheiten".
Fernsehen sei ein demokratisches Medium, die Zuseher würden jeden Abend mit der Fernbedienung abstimmen, das Programm sei nicht besser oder schlechter, sondern exakt so deppert wie seine Zuseher, meinte Willemsen. Das gilt offenbar auch für die Art und Weise, wie wir uns heute im Internet informieren, oder besser gesagt: wie wir informiert werden. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir es heute nicht einmal bemerken.
Wenn wir begreifen, dass Soziale Medien uns nun sogar den bewussten Griff zur Fernbedienung und die bewusste Auswahl eines Programmes mal eben elegant ersparen, stellen wir fest, dass die Unterforderung sogar noch ergänzt wird durch gnadenlose Manipulation: Wir sehen einen nur vermeintlich offenen Meinungsaustausch der unterschiedlichsten sozialen Kontakte, bekommen aber in Wahrheit fremdbestimmt und brühwarm das serviert, wovon wir ohnehin schon längst zu wissen glauben, es sei unsere selbstgefasste Überzeugung.
Es ist im buchstäblichen Sinne todtraurig, dass wir Roger Willemsens Meinung zur Entwicklung der Medienwelt nicht mehr hören werden.