Seit Juli 2023 leitet Anna Horn die Geschicke des Dschungel Wien. Heuer wird das »Theaterhaus für junges Publikum« 20 Jahre alt. Im The-Gap-Interview spricht sie über die Geschichte der Spielstätte, Pläne für dessen Zukunft und die Bedeutung von Theater für junge Menschen.
The Gap: Du bist seit einem Jahr die künstlerische Leiterin des Dschungel Wien. Was bedeutet dir persönlich dessen 20-jähriges Jubiläum und wo siehst du seine Zukunft?
Anna Horn: Aufgrund des Jubiläumsjahres beschäftigen wir uns auch mit den Erfolgen der Vergangenheit. Für mich persönlich erzeugt das tatsächlich einen gewissen Druck, weil mir dadurch bewusst wird, dass ich relativ neu da bin und dass das Haus eine lange, große Tradition hat. Der Dschungel Wien ist ein Koproduktionshaus, das sich die Künstler*innen der freien Szene vor 20 Jahren erstritten haben. Sie haben sich dafür stark gemacht, dass es dieses Haus für junge Menschen gibt – und das feiern wir mit dem aktuellen Jubiläum. Es ist eine große Freude, diese Arbeit fortzuführen; gleichzeitig müssen wir trotzdem frei bleiben und nicht nur rückblickend sagen, wie super das alles war, sondern uns überlegen, was wir damit jetzt machen. Es geht darum, die Erfolge der Vergangenheit zu würdigen, aber auch neue, aktuelle Positionen zu finden. Wo geht es hin? Was interessiert junge Menschen in Wien im Moment? Was ist wichtig? Wofür müssen wir uns stark machen?
Wie nimmst du die Entwicklung des Dschungel Wien seit seiner Gründung wahr? Hat sich aus deiner Sicht etwas besonders verändert?
Viele Punkte, die heute wichtig sind, waren schon von Anfang an wichtig: Einem jungen Publikum die unterschiedlichsten Genres zu zeigen sowie Vielfalt und Diversität auf die Bühne zu bringen – das war immer zentral. Theater für junges Publikum hat oft weniger wirtschaftlichen Druck und kann risikobereiter sein. Wir hatten schon immer mehr Quereinsteiger*innen und Menschen mit den unterschiedlichsten Herkünften, Körpern und Ausbildungen auf der Bühne. In zahlreichen Ensembles wird da ja jetzt stark darum gekämpft. Etwa darum, Menschen dabei zu haben, deren Muttersprache nicht unbedingt Deutsch ist und die trotzdem große Passagen auf der Bühne mit Akzent oder in anderen Sprachen sprechen. Viele Kinder können da leichter connecten und sich wiedererkennen. Davon abgesehen hat es über die Jahre sicher verschiedene Schwerpunkte gegeben. Bei Corinne Eckenstein lag dieser mehr auf Tanz – wie auch, so glaube ich, bei Stefan Rabl. Aktuell sind Autor*innen stärker vertreten. Aber das sind wirklich nur leichte Verschiebungen.
Wie werden die Stücke ausgewählt, die aufgeführt werden? Gibt es besondere Themen, die dir am Herzen liegen?
Wir haben im Jahr etwa 50 Produktionen, davon sind drei Eigenproduktionen. Eine ist die Nachwuchsproduktion von Magma, wo junge Autor*innen mit jungen Künstler*innen zusammenkommen und ein Projekt für den Dschungel Wien entwickeln. Eine wird in der Winterzeit gezeigt. Und eine ist etwas flexibler, um abzudecken, was über die anderen Produktionen nicht angeboten wird. Bei den Eigenproduktionen setzen wir selbst die Schwerpunkte. Letztes Jahr – und das wird auch so bleiben – waren es demokratische Prozesse und Themen wie Diskriminierung und Rassismus. In der kommenden Spielzeit zeigen wir zum Beispiel »Rosa Riedel« von Christine Nöstlinger, ein Stück über Gerechtigkeit und Zivilcourage für Kinder ab sechs Jahren. Die anderen Produktionen sind Koproduktionen und Kooperationen. Das sind meistens internationale Zusammenarbeiten mit anderen Theaterhäusern, um den Austausch untereinander zu stärken, und Produktionen gemeinsam mit den großen Festivals der Stadt, die auch ein Angebot für Kinder und Jugendliche machen wollen.
Was macht dir am meisten Freude bei deiner Arbeit und woraus ziehst du Energie?
Ich glaube, es macht einen Unterschied, wenn Kinder und Jugendliche Theater erleben und selbst machen. Theater kann Dinge leisten, die im Schulsystem so nicht möglich sind. Der Dschungel Wien ist ein spannender Ort, weil wir in dieser Vielfalt von 50 Produktionen im Jahr sehr unterschiedliche Geschichten und Perspektiven zeigen können und damit junge Menschen ermächtigen, aus diesen verschiedenen Ansichten eigene Ideen, eigene Ansichten zu entwickeln. Genau das macht mir Spaß: dass man dabei ist und unterstützt, wenn junge Menschen denken, sich entwickeln und überlegen, wo es hingehen soll. Gerade jetzt, da wir vor der Nationalratswahl stehen, sehen wir in vielen Ländern einen starken Rechtsruck. Junge Menschen erleben immer wieder, dass ihre Stimmen nicht gehört werden. Es ist wichtig, dass wir sie empowern, laut zu werden. Da gibt es mitunter Möglichkeiten für Veränderung, wenn junge Menschen rebellieren, ihre Meinungen laut sagen und Beachtung einfordern.
Welche Rolle spielt der Dschungel deiner Meinung nach für die kulturelle – oder, wie du gerade angesprochen hast, auch politische – Bildung von Kindern und Jugendlichen in Wien? Wie siehst du da die Connection mit Schulen?
Schulen und motivierende Lehrkräfte sind für uns extrem wichtig. Viele Kinder und Jugendliche würden sonst nicht ins Theater gehen. Durch diese engagierten Pädagog*innen kommen sie oft zum ersten Mal ins Theater, erleben es zum ersten Mal für sich. Gleichzeitig bietet das Theater viel Raum für Fantasie, magische Momente und Utopien, in denen man das Denken öffnen kann für Sachen, die jetzt nicht nur bekannte Momente beschreiben, sondern tatsächlich mit Möglichkeiten spielen. Das Schulsystem, so wie es im Moment angelegt ist, kann gewisse strukturelle Ungerechtigkeiten nicht verändern und auch nicht sichtbar machen. Da ist es die Aufgabe von Kunst und Kultur, genau hinzuschauen und daran zu arbeiten, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen für einen Start ins Leben haben.
Das Programm für die Spielzeit 2024/25 des Dschungel Wien ist unter www.dschungelwien.at zu finden.
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