Über Huldigungen für Format und Quote droht der ORF, Inhalte zu vergessen. Fernsehserien, Teil 2.
Der ORF hat Quote eingebüßt, vermelden österreichische Medien periodisch. ORF eins bald nur mehr einstellig, titelte eine Programmzeitschrift. Steckt hinter diesen Zeilen die Sorge um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Schadenfreude mit Blick auf Marktzuwächse der Privaten? Kernaufgabe der Öffentlich-Rechtlichen ist nicht die Quote, sondern Qualität. Das erklärte kürzlich Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (das doppelt so viele Einwohner hat wie Österreich). Eine klare Ansage, die den Kern des Problems auch aus österreichischer Sicht trifft. Mittlerweile scheint der ORF kritisch nur mehr im Zusammenhang von Sparmillionen, vorenthaltenen (Gebühren)Millionen und verlorenen (Zuseher-)Millionen im Vergleich zum Jahre Schnee wahrgenommen zu werden.
Die Bewohner des Küniglberg wirken aufgescheucht, da ist nur noch reflexhaft von Reformen, Programminnovator/innen und "Formaten" die Rede. Formatiertes Fernsehen und das Quotendingsda, das ist mittlerweile ein siamesischer Zwilling, der ständig ganz böse Druck macht. Statt inhaltlicher Diskussionen geht es um die Frage: Wo kriegen wir die besten Formate her, um bloß das Dingsda zu erfüllen?
Aber: Sollte das Fernsehen heute wirklich vor allem ein Lizenzgeschäft sein, in dem sich der ORF als möglichst effizienter Einkäufer zu verstehen hat? Weniger Budget (Stichwort: Gebührenrefundierung) bedeutet dann mehr Output-Deals, mehr Einkäufe in Kalifornien oder auch Schweden und eben weniger selbst entwickelte Inhalte, weil diese zu produzieren ein Mehrfaches kostet. Mit strategischer Planung und öffentlich-rechtlichen Inhalten hat dieses Lizenzgeschäft dann nicht mehr viel zu tun, weil das Kaufprogramm erstens zu einer bestimmte Form von Unterhaltung und zweitens zu einem Zufallsprodukt jeweiliger Finanzlagen wird.
Auf diese Weise marginalisiert sich (mit sich ist das »Selbst« des ORF, das nicht profitorientierte Kerngeschäft im Info-, Edu-, Kultur- und sonstigen öffentlich-rechtlichen Bereichen gemeint) der Sender allerdings selbst – und damit auch die Gesellschaft des Landes, deren Ethnograph er eigentlich sein sollte. Ein paar jüngste Beispiele aus der schönen Welt des Lizenzhandels: »Undercover Boss« ist eine Doku-Soap, in der der Firmenchef zwischen seinen Mitarbeitern anonym abtaucht. Das "Format" hat der britische Sender Channel 4 entwickelt. Der ORF hat es »übernommen«, so wie zuvor schon der deutsche Privatsender RTL.
Warum auch nicht, meinte ORF-Programmdirektorin Zechner, es habe doch bereits in 15 Ländern erfolgreich funktioniert. Durch geschicktes Framing verschiebt Zechner zudem das Problem Richtung Moral, wenn sie nachsetzt, dass es ja »nicht anstößig« sei, die richtigen internationalen TV-Lizenzen zu kaufen. Natürlich nicht, aber das war auch nicht das Problem. Oder, anderes Beispiel: »CopStories«: Die Krimiserie, die als »etwas anders« promotet wird (und auch ist, was schon die geringe Quote beweist, ganz im Sinn von Georg Seesslens Blödmaschinen-These: »Menschen werden nicht blöd geboren, sondern gemacht«), die Serie also hieß in den Niederlanden »Van Speijk«. Auch in diesem Fall wurde ein Sendungsformat nachvollzogen. Produzent Florian Gebhardt spricht auf die »CopStories« bezogen zu Recht von einer »progressiven Bildsprache«, nur wurde sie halt eben auch nachvollzogen.
Der ORF ist vor lauter Format-Suche zum Nachvollzieher statt Impulsgeber geworden, und wenn man das ORF-Programm durchgeht, findet man vor allem nachvollzogene Produkte. Von »Bösterreich« (ist dieser bescheuerte Arbeitstitel Programm?) ist zu lesen, einer geplanten Comedy-Serie, mit der nach dem Vorbild der bissigen britischen Satire »Little Britain« auch in Österreich Quote gemacht werden soll. Selbst "Formate" wie etwa das gelobte »Mein Leben« von Mari Lang (letztes Jahr vorgestellt und nun aus Spargründen, wegen Babypause oder einfach überhaupt schon wieder eingestellt) wurden nicht selbst entwickelt, sondern aus dem Ausland importiert. Bei allem Respekt für den Totemismus, mit dem Formate gehuldigt werden – aber wer kümmert sich im Lizenzverein ORF jetzt noch um soziale Ethnographien – um Inhalte?