Farewell Dear Ghost touren knapp zehn Tage lang in Asien. Nach ihrem letzten Tourtagebuch via The Gap lassen sie uns auch dieses Mal an neonfarbenen Impressionen, Jetlag-inspirierten Gedanken sowie High- und Lowlights teilhaben.
Seoul, Korea – 27/09/2017 – 01/10/2017
Liebe Freunde und Innen, geschätzte Leserschaft,
ich geb’ ja zu, der Begriff »Jetlag« erschien mir lange Zeit als eine inflationär gebrauchte Worthülse, eine Phrase, für Menschen erfunden, die von einer Sky-Suite in die nächste reisen, während die ersten Sonnenstrahlen in das diamantene Fenster auf ihre perfekten Schlafmasken scheint und im Hintergrund Duke Ellington dudelt. Bislang war ich stets der Annahme, mein Rock’n’Roll-Biorhythmus würde mit Zeitumstellungen ähnlich umgehen wie mit dem drohenden türkis-blauen Grauen in der Heimat: gekonnt ignorieren, im Optimalfall einfach wegschweigen.
Doch wie so oft, wenn der Holzdeckel dich von oben erwischt: Sieben Stunden sind halt nicht nichts, auch ohne Sky-Suite und Duke Ellington. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass um drei Uhr Nachmittags (!) die Kollegenschaft vergnüglich an die Tür hämmert, um dich rigoros aus dem sanften Schlummern in die Realität zurückzuholen. Wobei, die Realität, die umgibt ja ein förmlich rosenblütiger Duft: Bereits zum zweiten Mal begab sich der Farewell-Dear-Ghost-Reisetross auf den asiatischen Kontinent, um das larger-than-life-Lebensgefühl sozusagen in die weite Welt hinauszuballern und einmal die Wand mit dem Hammer einzureißen, die popkulturell offensichtlich zwischen Europa und Asien besteht. Dieses Mal warten die Masochisten allerdings mit einer aufregenden Neuerung auf: Im Vergleich zur letzten Tour vor zwei Jahren startet das neonfarbene Abenteuer in Seoul, Korea und damit genau 40 Kilometer von einem wahnsinnigen Fettsack entfernt, der sich seit Monaten einen unsäglichen Vergleich mit dem noch unsäglicheren Trump liefert, wer von beiden nun der größere Idiot sei. Doch sei’s drum: Das Leben ist eine Schachtel Gyoza, der Rock’n’Roll zeigt auch vor einem Kim Jong-Un keinen Respekt. Aber liebe geschätzte Leserschaft, lass mich nicht zu sehr abschweifen, es gibt schließlich essenziell Wichtigeres zu besprechen, ich werfe Ihnen wahrhaftig wohlfeile Bonmots und abstruse Erlebnisse um die Ohren.
Seoul, Cheongyechong, Heung-Min Son, Gyeongbokgung und vier überforderte Jungspunde aus Österreich, einem Land, von dem ich nicht sicher bin, ob ein Koreaner oder eine Koreanerin mit durchschnittlicher Schulbildung überhaupt schon jemals gehört hat – das hat Potential für gute Geschichten. Schwarzenegger und Schnitzel scheinen hier noch nicht wirklich angekommen zu sein. Als die Farewell-Dear-Ghost-Gemeinschaft ihre für vier Tage gebuchte Unterkunft im nihilistisch benannten Insadong-Viertel bezieht, macht sich leicht cremiges Grinsen breit. Die Belegschaft dürfte ein Anti-Schimmel-Sponsoring klar gemacht haben, ein angenehmer Odor irgendwo zwischen den himmlischen Thermalbädern der Oststeiermark und den hormonell bedingten Ausscheidungen von Hausmäusen nistet sich in den Nasenflügeln ein. Nicht so tragisch, ich beziehe meine Residenz mit dem größten Sandmann unter allen, Philipp Prückl, einer, der mir im Träumeland auch mal gerne fußtechnisch an die Wäsche will. Zeit, den Philosophen auszupacken bleibt allerdings recht wenig, man hat schließlich einen Auftrag. Zwei Taxis bringen die Belegschaft Richtung Klub Numero Uno: ein Kellerloch, betrieben vom asiatischen Papa Schlumpf höchstpersönlich, eine Venue zwischen Gürtellokal und Jazzschuppen mit Galerie. Prückl muss sich erst mal die Augen reiben: Papa Schlumpf schenkt keine Getränke aus, eine Bar ohne Lebensversicherung quasi, der Likör wurde durch so gängige Klub-Dekoration wie ein Kürbis oder ein Geschenkkorb ersetzt. Hier wird ausschließlich gerockt, mehr nicht. Auch eine originelle Idee der Geschäftemacherei. Nichtsdestotrotz, Farewell Dear Ghost feiern ihr Korea-Debüt, gemeinsam mit drei koreanischen Truppen, durchgehend nette Leute, die es mit dem Englisch allerdings nicht ganz so genau nehmen.
Nimmt hier aber eigentlich keiner. Waren wir in China für einen Haufen ChinesInnen die Hauptattraktion, so bekommt man recht schnell den Eindruck, dass sich die Menschen in Seoul einen feuchten Kehricht um Europa und alles drumherum scheren. Die Musik wird zwar außerordentlich nett aufgenommen, selbst Philipp »Bon Jovi« Szalays feierlich geballte Faust-gen-Himmel-Streck-Geste wird kudernd nachgeahmt, doch abgesehen davon ist man als Europäer weder außerirdisch, geschweige denn interessant. Lost in Translation, quasi. Nicht Verstandenes wird weggegrinst, bis sich Farewell Dear Ghost am Ende des Tages im Hinterhof einer Baracke mit Küche inmitten der Stadt selbst wiederfindet, um sich auf Anraten von Reiseführer und Gourmet Alex »Ramen« Hackl allerhand scharfes Zeugs unter die Nase zu ballern. Das mit der Kulinarik ist ja generell so eine Sache: Bulgogi, Gyoza, kreative Würstchen im Schlafgewand (?) – egal was, alles ist so überirdisch scharf, dass es nur so aus den Ohren raucht.
Doch das Kollektiv findet so pomali wie gleichwohl erfreut den Zugang zu dieser bunten City (aus Gründen der Freshness und Hipness sagt man zu Seoul besser City denn Stadt). Am ersten Day-Off wird ordentlich ausgeschlafen (der eingangs erwähnte Jetlag griff uns direkt ins Haupt) und danach das Auge des Hurricanes inspiziert. Was soll ich sagen, Seoul haut einen um. Straight aus den Patscherl. Schlug man sich bis dato mit Dornbirn, Ybbs oder Feldbach herum, so rauscht dir Seoul wie eine Dampfwalze drüber. Eine Art Las Vegas für Eingeweihte, alles blinkt, eruptiert, wuselt. Es kann dann schon mal vorkommen, dass man sich entweder in einem Katzenkaffee oder im sechsten Stock einer leuchtenden Plakatwand befindet und sich in einer Karaoke-Kabine zu Opus‘ Kracher »Live is life« die Organe aus dem Leib kreischt. Na also, da haben wir den Österreich-Bezug: Wen interessiert hier Sisi, Arnold Schwarzenegger oder Ivica Vastic? Opus sind’s, die in Korea im erstrebenswerten Karaoke-Business Asyl erhielten. Es ist durchaus befremdlich zu sehen, dass pubertierende KoreanerInnen auch alleine die Karaoke-Kabine aufsuchen, um sich an einem Freitag um zwei Uhr früh an den eigenen Gesangskünsten zu laben und mit einer virtuellen Taylor Swift den lonesome blues off zu shaken. Ein Anblick, der mir zwar das Herz bricht, doch ein tröstender Geschichten-Onkel Fö wäre wohl das letzte, was sie in derartigen Lebenssituationen bräuchten.
Nach dem ersten Stelldichein steht das Kollektiv vor der zweiten Rock-Show: Das Zandari Festival ruft. Vergleichbar mit dem europäischen Eurosonic – zumindest flüsterte mir das eine Fledermaus – eine Festivität der außergewöhnlicheren Art, wenngleich Technik-Wizard Felix »Trash« Dicketmüller von den Räumlichkeiten nur in niedrigsten Tönen schwärmte. Doch was soll ich sagen, nach einem jetlag-bedingten Einbruch allerfeinster Sahne schnalzt die Gruppe eine Schau aufs Gebälk, dass es nur so raucht und sich Holzfäller Szalay auf den Brettern in die Horizontale begeben muss. Vor Erschöpfung, vor Ergriffenheit, gar vor der drohenden Erosion? – man weiß es nicht. Was man weiß ist, dass das Abenteuer Korea beendet werden muss und der Reisetross sich ins 1.500 Kilometer weit entfernte China begibt. Dort wartet auf die feinen Pinkels organisiertes Tourmanagement und ein Reisebus. Was man außerdem weiß ist, dass Seoul unter außergewöhnlich blinkenden Neonlichtern wie die Sky-Suite unter all den schäbigen Hinterhof-Baracken wirkt. Ein LED-Stripe am Horizont, ein Sonnenaufgang wie ein Full-HD-was-weiß-ich-Screen. Schön war’s. Wir lesen uns nach HeFei, Ningbo und Shanghai. Bleiben Sie sauber, geneigte LeserInnen.
Farewell Dear Ghost touren aktuell durch Asien. Nach ihrem ersten Seoul-Abenteuer geht es für die Crew nach HeFei, Ningbo, Shanghai und schließlich nach Beijing.