Über den politischen Zweck der Kunst

Vor zehn Jahren war Europa noch von Haider und Le Pen geschockt. Heute sind die Populisten in der Mitte der Gesellschaft angekommen, meint Kunsthalle Direktor Nicolaus Schafhausen im Interview. [Advertorial]

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Bei einem Gespräch mit dem Direktor der Kunsthalle Wien, Nicolaus Schafhausen, haben wir uns über die aktuelle Ausstellung „Politischer Populismus“ unterhalten, über brennende Asylantenheime und die FPÖ. „Gibt es so etwas wie Selfie-populism?“ fragt Nicolaus Schafhausen und sagt: „Kim Kardashian fasziniert mich.“

Ein Gespräch über Populismus quer über das Parteienspektrum und Kunst, die nicht elitär sein soll.

Wie geht die Ausstellung mit dem Begriff und dem Phänomen „Politischer Populismus“ um?

Bei der Ausstellung geht es nicht darum, Begriffe zu klären oder dass Künstler/innen populistische Arbeiten gestalten oder gestaltet haben. Aus einem gewissen produktiven Unwohlsein und in Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft setzen sich viele Künstler/innen mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander, die teilweise global diskutiert werden (wie z. B. Trevor Paglen), teilweise aber auch spezifische nationale Konflikte aufgreifen (wie Minouk Lim). Wenn man durch die Ausstellung mäandert und sich Arbeiten anschaut, ist es interessant festzustellen, dass viele Werke einen journalistischen Zugang aufweisen, der sich dann in einer ästhetischen Ausformulierung zeigt.

Wie schätzen Sie die Entwicklung populistischer Tendenzen heute ein?

Seit den 1960er Jahren ist Populismus, so wie wir ihn in Europa kennen, ein demokratisches Konzept: der Rechtspopulismus ist in aller Munde, aber es gibt natürlich auch den Linkspopulismus, das sollte nicht vergessen werden. Interessant ist, dass die ehemaligen Volksparteien in Deutschland und Österreich, CDU, SPD, ÖVP, SPÖ heute anders argumentieren als sie es noch vor Jahren gemacht haben.

Meiner Meinung nach repräsentieren rechtspopulistische Parteien heute die Mitte der Gesellschaft. Das ist ein ziemlich neues Phänomen und ziemlich gefährlich. Ich möchte nicht sagen, dass mir Extremisten, die in Deutschland Asylantenheime anzünden, lieber sind, aber sie repräsentieren nicht die Mitte der Gesellschaft. Wo sich Kunst wirklich unterscheidet, nicht nur die Bildende Kunst, sondern auch Literatur und Theater, ist, dass ihre Produktionen und jede Form von Kunst immer liberal ist. Populismus hingegen ist illiberal und anti-intellektuell.

Wie scharf sehen sie Dualismen Populismus vs. Institutionen, Volk vs. Elite, in der realen Kulturpolitik?

Der Begriff „Kultur für alle“ ist ein wunderbares Angebot. Das Interesse an diesem Angebot trifft sich aber häufig nicht mit der Lebensrealität der Menschen. Weil Kultur einfach nicht alle interessiert. Eine Gesellschaft ist heterogen. Es muss nicht jedes Angebot, das die öffentliche Hand finanziert, für alle da sein. Als Kulturinstitution spiegelt man nicht die Gesellschaft in ihrer Breite wider, sondern einen Teil einer extrem heterogenen Gruppe. Aber ich verweigere mich dem Begriff der Elite.

Die Ausstellung wird während der gesamten Laufzeit bei freiem Eintritt zu besuchen sein. Ist dieser Erfolg auf die Zusammenarbeit mit der Politik oder auf private Fördergeber zurückzuverfolgen?

Der freie Eintritt ist ein kulturpolitisches Statement und Teil des Konzepts der Ausstellung. Natürlich haben wir die Idee vorab mit dem öffentlichen Fördergeber abgesprochen. Die Frage ist, inwiefern sind wir als Institution ein öffentlicher oder ein privater Raum. Mit einer Form von Eintritt wird eine Hürde geschaffen, die den Ort privater macht als er sein sollte. Es ist mir grundsätzlich ein Anliegen, diese abzuschaffen.

Natürlich passt freier Eintritt als Statement gut zur Ausstellung, denn einen gewissen populistischen Twist kann man dem Statement natürlich nicht absprechen. Sich Gedanken zur finanziellen Hürde zu machen, die der Eintritt in zum Großteil von öffentlichen Geldern finanzierte Institutionen nun mal bedeutet, ist aber auch ein gegenwärtiges Phänomen. Genau zeitgleich gilt auch am MoMA PS1 in New York und am Museum Folkwang in Essen Eintritt frei.

Sowohl der Titel als auch die Drucksorten der Ausstellung bedienen sich im Stil beim Populismus. Welche Absicht steht hinter dieser plakativen Kampagne?

Die Marketing-Kampagne rund um die Ausstellung lehnt sich in ihrer visuellen Anmutung an die Bildsprache des Boulevards an und bedient sich populistischer Statements bekannter Persönlichkeiten aus der internationalen Politik. Wir arbeiten hier mit einer Ökonomie der Aufmerksamkeit.

Aber im Gegensatz zu Strategien des Boulevards kommen keine Bilder zum Einsatz. Welche Rolle spielt das Bild beim politischen Populismus?

Das Bild ist dann natürlich in der Ausstellung zu sehen. Im Besonderen bei der Plakatierung dieser Gruppenausstellung möchte ich einzelne Werke explizit nicht für das kuratorische Konzept instrumentalisieren. Wobei das Marketing-Konzept der Kunsthalle Wien prinzipiell über Typografie und das dynamische Adler-Logo funktioniert und äußerst selten Bilder aus den Ausstellungen zur Verwendung kommen.

Eine These der Ausstellung ist, dass sich politischer Populismus seit der Jahrtausendwende stärker bei Pop bedient als noch in früheren Jahren.

Das sieht man tatsächlich auch am Boulevard und vor allem in den sozialen Medien. Es ist ja total interessant, mit welchen Bildern innerhalb der Online-Medien gearbeitet wird. Bilder werden anders eingesetzt als in den entsprechenden Print-Medien, und der Text wird immer kürzer. Es werden unglaublich viele Arbeiten von Künstler/innen immer wieder umcodiert und für die eigenen Zwecke genutzt. Und wir kehren das jetzt einfach um.

Die aus Toronto stammende Künstlerin Rosemary Heather retweetete kürzlich einen Tweet der Kunsthalle. Wir geben diese Frage zurück: Is the populist groundswell today an effect of the internet?

Na ja, das ist sowohl eine These als auch eine Frage. Man kann ja das Internet und inwiefern es Kunst wirklich beeinflusst noch nicht wirklich historisieren. Aber es dient auf einer Recherche- und Vermarktungsbasis als Werkzeug, das von jedermann nutzbar ist.

Dieselbe Künstlerin zeigt in der Ausstellung eine Auswahl von Selfies von Kim Kardashian. Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen dem Populären und dem Populistischen?

Kim Kardashian fasziniert mich. Durch die Selbstvermarktung eine eigene Ökonomie herzustellen, ohne erstmals eine Ökonomie zu haben, diese dann aber durch die ganzen Massen und Follower herzustellen – ist das Selbst-Propaganda? Es ist eher die Frage, ob es so etwas wie Selbst-Populismus gibt. Da bin ich mir auch nicht sicher. Aber ich fand das als Bruch zu den anderen Arbeiten, die alle eine politische Aussage haben, interessant zu zeigen und zu fragen: Selfie-populism? Das ist eine Frage der gegenseitigen Nutzbarmachung. Und was man dann durch solche Strategien erreichen will.

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