Vor zehn Jahren war Europa noch von Haider und Le Pen geschockt. Heute sind die Populisten in der Mitte der Gesellschaft angekommen, meint Kunsthalle Direktor Nicolaus Schafhausen im Interview. [Advertorial]
Sie waren 2005 mit dem Frankfurter Kunstverein Teil eines europäischen Projekts, das sich dem Thema Populismus zuwendete. Wie hat sich Ihr eigener Zugang als Kurator, aber auch die künstlerischen Produktionen zu dem Thema in den letzten 10 Jahren verändert?
Damals war Europa geschockt, z. B. von der Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen in Dänemark, von der Haider-Politik in Österreich, von Geert Wilders oder Le Pen. Heute sind die populistischen Mechanismen völlig anders. Die Le Pen-Partei war vor zehn Jahren kleiner. Alles war kleiner. Und wenn wir vor zehn Jahren noch eine Schock-Reaktionen hatten, ist der Populismus heute – also genau, was wir am Anfang gesagt haben – in der Mitte angekommen.
Wo bleibt die Schockreaktion heute? Medial wird doch ständig von allen Seiten aufgeheizt.
Das Problem ist, dass das Phänomen „Populismus“ nicht gesamtgesellschaftlich betrachtet wird, sondern nur innerhalb der eigenen Grenzen. Innerhalb der Nationalstaaten werden solche Probleme nicht global gedacht. Der Schock heute ist anders. Die FPÖ und Österreich sind ein gutes Beispiel, oder Holland, aber natürlich auch, unabhängig von der EU, die Schweiz. Diese Schocks – der Aggressor IS, die globalen Konflikte, diese ganze Angst-Rhetorik, haben überhaupt nichts mit der Gegenwart zu tun hat. Schockzustände werden künstlich ausgedehnt. Im Grunde sollte es darum gehen, wie wir in Zukunft leben wollen. Zumindest in Europa kann die Antwort nicht in den fragmentierten, nationalen Gesellschaften liegen.
Befinden wir uns deshalb in einer Zeit, in der politische Fragestellungen in der Kunst wieder an Bedeutung gewinnen?
Es hat immer etwas mit den Konditionen zu tun. Zu welchen Voraussetzungen wird Kunst produziert? Diese Parameter haben sich natürlich geändert. Vor einigen Monaten gab es eine Ausstellung zur Nachkriegskunst in Polen. Werke aus Polen aus der Periode zwischen Ende 1944 und Ende 1948 wurden gezeigt. Hochspannend. In Deutschland und Österreich gab es in der Periode zwischen 1940 und 1950 nichts Vergleichbares. Dort ein Informel und hier ein Hundertwasser oder Arik Brauer. Aber wann ist Kunst politisch? Gegenwärtig nimmt der politische Zweck der Kunst wieder zu. Die Kunstproduktion geht weg vom Selbstzweck oder dem Eigenwillen der Kunst. Also eigentlich Anti-Adorno.
Können wir im Rahmen der Ausstellung „Politischer Populismus“ von der politischen Kunst sprechen?
Nein. Einzelne Arbeiten, einzelne Aussagen von Künstler/innen und einzelne Ästhetiken sind thesenhaft nebeneinandergestellt. Aber so verallgemeinert kann man das nicht sehen. Es gibt eine Politisierung der einzelnen Positionen. Aber ich sehe das Ganze nicht als Protestkunst, sondern als intensive Auseinandersetzung mit der Gegenwart in all ihren Facetten.
Marcel Odenbach und Johanna Kandl, beide in den 1950er Jahren geboren, argumentieren ästhetisch ganz anders als Hito Steyerl oder Simon Denny.
Die Generation der Künstler/Innen, die in den 1950er Jahren geboren ist, hat tatsächlich eine andere Ästhetik als etwa Hito Steyerl, die in den 1970er Jahren geboren ist, oder Simon Denny, der in den 1980er geboren ist. Man sieht eigentlich drei Ästhetik-Blöcke in der Ausstellung. Odenbachs Arbeiten auf Papier oder Kandls Malereien verwenden „billiges“ Material, wenn man sie mit diesen Mega-Materialien wie Simon Dennys Server-Racks oder dieser Mega-Motion-Picture-Produktion „Factory Of The Sun” von Hito Steyerl vergleicht. Der Mehrwert ist aber ein ähnlicher.
Man trifft auch in der Kunst auf Strategien von „dünnem Populismus”, also auf einfache Lösungen für komplexe Probleme. Wie kann sie da überhaupt ein relevanter Gegenpol zum Populismus sein?
Ich glaube, wenn man die Heterogenität der Kunst – Institution, Kunstproduktion, Diskursproduktion – in ein größeres Feld setzen würde, hätte man auch eine andere Wirkung, die wiederum hoffentlich Tagespolitik beeinflusst. Ich bin überhaupt nicht pessimistisch, aber diese Veränderung der Demokratie ist beängstigend. Ich glaube, dass man schon längt in einer Post-Demokratischen-Gesellschaft angekommen ist. Das Problem ist, dass die Post-Demokratie von sehr vielen Meinungsträgern, sowohl Individuen als auch Parteien, unterstützt wird. Und da ist der gesamte Kulturbereich einer der wenigen Bereiche, der zumindest noch einen diskursiven liberalen Raum bietet.
Die Ausstellung "Politischer Populismus" kann noch bis 7.2.2016 in der Kunsthalle Wien bei freiem Eintritt besucht werden.
An den letzten beiden Ausstellungswochenenden, 30./31. Jänner sowie 6./7. Februar wird in kurzen Gesprächen mit ganz unterschiedlichen Akteuren aus dem Wiener Kulturbetrieb die Frage nach der Popularität von Kunst und Kultur diskutiert. Die Reihe von Zweiergesprächen werden von Anne Faucheret, Lucas Gehrmann, Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen geführt.
30./31. www.kunsthallewien.at/poparttalks
6./7. www.kunsthallewien.at/poparttalks-1
Das Interview führte Denise Sumi.
Bei uns kann man übrigens nicht nur einen ersten Einblick in die Ausstellung bekommen und etwas über Politik, Popkultur und Populismus lernen, sondern auch eine Geschichten zum Thema "Bad Hair", eine Sammlung von Populisten und deren Frisuren finden. Außerdem haben wir "Die einfachen Lösungen", also den Zusammenhang zwischen Politik und Pop gesucht.