Über die Freude Spiderman zu sein

Könnte es sein, dass Redshape schwarz, Amerikaner und ziemlich alt ist? Eigentlich spielt das keine Rolle. Wichtig ist, was Redshape hervorbringt – ein tanzbares Tribut an Techno alter Detroit-Schule.

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Ein Gespräch irgendwo in einem der vielen unterkühlten Stollen im Grazer Schlossberg, fernab von der Elevate Partycrowd. Der deutsche Produzent und Musiker Redshape unterhielt sich nach seinem einstündigen Set am Elevate Festival mit dem Grazer DJ Florian Puschmann über die Profession DJ, Apokalypse, das Körperliche in der Musik, John Niven und den kleinen Gnom, der im Optimalfall um die Ecke schaut, wenn die Crowd mitschwingt. The Gap war dabei und notierte den spätnächtlichen Plausch.

Florian Puschmann: Ungefähr 2006 oder 2007 bist du aufgetaucht und wir haben uns gedacht, dass du relativ alt und schwarz bist.

Redshape: Das denken immer alle Leute. Tut mir leid, dass ich es nicht bin.

Das Motto des Festivals ist "Elevate The Apocalypse". Apokalypse muss man nicht unbedingt als Endpunkt sehen, sondern man kann es auch als Wandel begreifen. Inwiefern kannst du Techno nach wie vor als etwas begreifen, das umwälzt oder verändert?

Musik hat diesen Effekt hin und wieder. Aber Techno an sich nicht so wirklich. Also dieses sozialisierende Element, was Techno für mich hatte, das war Mitte der 90er. Da wo ich herkomme, aus der ehemaligen DDR, hat das ganz gut gepasst. Alle Fabriken waren zu, man konnte sich damit identifizieren. Alles, was ich mache, habe ich mir selbst beigebracht. Ich bin dabei diesen Vorgang immer weiter zu verfeinern, um musikalisch und künstlerisch das auszusagen, was ich will, und das mache ich mit den Mitteln der elektronischen Musik. Wobei die elektronische Musik an sich mir dabei nicht ganz so wichtig ist. Sondern das sind die Werkzeuge, die ich angewandt habe.

Das Medium.

Obwohl ich natürlich zusätzlich sagen muss – das ist ein zweischneidiges Schwert – wenn ich live spiele und ich habe was getrunken, die Leute haben was getrunken, dieses Partymoment, das finde ich natürlich schon klasse. In das kann ich mich am Tag nur wenig hineinversetzen. Das im Vergleich z.B. zu einem Rock-Konzert: da gibt es Effekte, die man nur mit Techno so erreichen kann, mit der Crowd. Aber ansonsten: Was ich mir für Gedanken mache, hat wenig mit Techno zu tun.

Wenn du jetzt z.B. an den alten Tresor denkst oder das Berghain, ist da etwas Apokalyptisches auszumachen?

Wenn ich an Apokalypse denke, dann denke ich an "Apocalypse Now: Redux", an Marlon Brando. Wenn Apokalypse eine Veränderung bedeutet, dann bedeutet sie in dem Film die Veränderung, die schon passiert ist. In Brando ist sie schon passiert. Es hat sich schon erledigt, aber er hat sich trotzdem zu etwas gewandelt, das nicht total die-Menschheit-beendend gemeint war.

Der Kontext, in dem man sich als Performing Artist bewegt, hat doch mit Vernichtung, mit Grenzüberschreitung, mit außergewöhnlichen Dingen zu tun, die man normalerweise unter der Woche nicht tut.

Jein, für mich hat das mehr damit zu tun, dass es wie eine Art persönliche Beziehung zwischen der Musik und mir ist. Ich nenne das für mich schon seit Jahren eine Art Tango, den ich mit Techno tanze. Und die Leute sind dann die Dritten, die davon profitieren, wenn das gut funktioniert.

Eigentlich ist es eine Zweierbeziehung.

Ja, das ist eine Zweierbeziehung. Und so war es heute auch. Ich nehme das gern als Metapher. Und es ist auch eine sehr starke Beziehung zu dem funktionalen Fundament, das es im Techno gibt. Die einen hören ein bisschen R’n’B, Hip Hop oder irgendwie cheesy House. Wenn man es hinbekommt, aus all diesen Musikrichtungen die Essenz rauszufiltern und in einem Ton, in einem Rhythmus auszudrücken, dann kann man auf verschiedene Menschen direkt reagieren. Beziehungsweise sie direkt herausfordern, nach dem Motto: "Ah ja, das kenn ich!" Selbst wenn sie es nicht kennen, aber sie kennen das Codeschema dahinter. Das kann man mit Musik machen, Musik als tatsächliche Sprache.


Wie verstehst du die Autorschaft? Inwiefern bist du der schaffende Künstler?

Ich versuche das Ganze näher an das Körperliche zu bringen. Ich nehme das, was es schon gibt und habe einen gesunden Disrespekt.

So im Sinne von Hip Hop und der Sampling-Kultur.

Nein, Sampling ist überhaupt nicht meins.

Aber ich spreche von der Aneignung, die du betreibst.

Ja, das stimmt.

Du nimmst sehr viel und gibst es stark verfälscht wider. Aber im Endeffekt ist das ein Fundament, das du erzeugst.

Ja, richtig. Ich sehe das eher aus einer Perspektive der bildenden Kunst. Man nimmt, was einem gefällt, dann stiehlt man das und baut es so um, dass es noch besser ist als vorher. Oder man ist noch näher dran am Ursprungsgedanken. Die Liebelei lass ich weg. Ich versuche mich auf den Kern zu konzentrieren. Und ich finde das Sex in der Musik superwichtig ist. Vorallem haben wir mit Techno und elektronischer Musik generell den Vorteil, dass wir sehr nah dran sein können, wenn wir wollen.

Ist es primitiv?

Ja, es ist primitiv. Natürlich ist es ein Wolf-im-Schafspelz-primitiv, es ist natürlich nicht wirklich primitiv. Aber genau das liegt darunter. Ich mag es damit zu spielen und merke: "Das funktioniert!" Ohne dass jetzt irgendjemand wirklich weiß, warum. Ich habe vor ein paar Jahren, bei den ersten Interviews, immer gesagt, dass ich es gut finde, wenn so ein kleiner Gnom um die Ecke lächelt – "haha".

Ich weiß genau, was du meinst!

Siehst du, dass finde ich immer gut, wenn man das erreichen kann! Das ist super!

Gibt es für dich die großen Magic Music Moments, die dich irgendwie verändert haben?

"Homework" – das hat mich verändert. Das war riesig.

Ein großes Ding, ja.

"Kid A" auch.

Das hatte gerade 12-jähriges Jubiläum, auch groß.

Ganz riesig, da könnte ich schon wieder ins Schwärmen kommen. Ich habe mit Synthesizer-Musik angefangen. Ich habe zwei ältere Brüder, die waren auf Alphaville und A-ha. Damals in der DDR hatten wir ja kaum Platten, also gab es nur genau dieses Alphaville-Album, irgendeins, und dieses A-ha-Album, ich weiß nicht mehr genau welches. Und "Thriller". Das waren die drei Pop-Platten, die wir hatten und die liefen, als ich ungefähr vier Jahre alt war, im Loop. Das hat wahrscheinlich irgendetwas angerichtet. Damals habe ich gedacht, das ist das Einzige, wir sind die intellektuelle Front.

Das passiert schnell.

Das hat Derrick May auch einmal gesagt. Da hat er alle Genres nacheinander aufgezählt. Und dann sagte er: "You know Folks, Techno it’s for all the other guys who are not interested in all this shit. It’s for the intellectual guys." Und das mit 15 zu hören, während Derrick so durch Detroit läuft, das klingt überzeugend.

Wie arbeitest du?

Meistens fange ich einfach an, lege beide Hände auf die Klaviatur – ohne nachzudenken. Das ist dann meistens das Main Theme oder das Second Main Theme. Und wenn mir das gefällt, nehme ich das schnell auf und spiele hauptsächlich nur Harmonie dazu, also Bass-Lines, noch extra Akkorde und mache Rhythmus darunter.

Also ein sehr intuitiver Zugang. Das ist ja eigentlich das, was man elektronischen Musik-Menschen vorwirft, dass sie nicht musikalisch sind und einfach schauen, was passiert.

Kann man sagen. John Niven hat ein Buch geschrieben, das "Music From Big Pink" heißt. Big Pink, das war ein Albumtitel von The Band, sehr einflussreich, aus der Dylan Ära. Und Niven schrieb das Buch aus der Sicht des Drogendealers von diesen Typen. Am Ende des Buches gibt es eine Szene, in der der Lead-Sänger von The Band zu ihm in den Backstage-Raum kommt und er arbeitet gerade an einem Song, er hat nur eine Zeile und einen ganz einfachen Akkord. Dann zeigt Richard, der Lead-Sänger, ihm einen Akkord auf der Gitarre und macht einen Moll/ Dur Wechsel auf der Gitarre, innerhalb von zwei Takten. Das ist genau das, was wir Elektroniker niemals hinkriegen werden.


Beim Rave- und Techno-Ding ging es ums Feiern miteinander. Heute gibt es vielmehr einen Bühnenbezug durch immer mehr Stardom-Acts: Man tanzt eher zur Bühne hin. Was heißt das für die Party?

Zuerst ist das bedenklich, dass das so ist. Das war auch damals einer der Hauptgründe, warum ich damals die Maske aufgesetzt habe. Ich sagte damals zu mir selbst: "Wenn du jetzt nur so ein weiterer Typ im T-Shirt wärst…" Und das war damals so, alle Leute trugen schwarze T-Shirts. Das wollte ich überhaupt nicht. Ich habe nichts gegen so einen gewissen Star-Kult oder einen Personen-Kult, wie z.B. bei Marilyn Manson. Wenn das verdient ist, dann finde ich das total ok. Aber es wurde viel durch Rahmenbedingungen kreiert und künstlich aufgesetzt. Das fand ich erschreckend. Jetzt habe ich mir aber letztendlich ins eigene Bein geschossen, weil ich mit der Maske genau das erreicht habe, was ich niemals erreichen wollte. Andererseits merke ich immer, wenn ich mit der Maske hochkomme: dieser Effekt! Das wäre total dumm, den zu verschenken.

Man sieht immer noch ältere Detroit-Acts, die sich die Ski-Maske überziehen. Das ist eine alte Tradition, die sowohl von Detroit als auch von Kraftwerk stammt. Man stellt die Maschine, die Musik und den Output vor den Menschen. Siehst du deine Maske als etwas mit dem du dich selbst zurück nimmst und die Musik in den Vordergrund stellst? Oder kreierst du damit bewusst ein Icon?

Das hat von beiden Ausführungen etwas. Ich sage mal: Ich finde es einfach toll, Spiderman zu sein.

Wie siehst du Musik, die historisch aus dem Underground, dem Warehouse oder aus kleinen unabhängig organisierten, billigen Parties kommt und jetzt diese hohen Gagen, diese großen Images und diesen Stardom inne hat? Wie geht es dir damit, vor durchwegs gut verdienenden weißen Kids zu spielen?

Das ist manchmal schon ein Thema. Aber ich möchte an das historisch rangehen. Viele Leute, wie z.B. Blake Baxter und auch Richie Hawtin, die damals zu ihren Ikonen aufgeschaut haben – wie z.B. damals als Jeff Mills, "The Wizard" im Radio war – sie hatten selbst nie ein Problem damit, eine Ikone zu sein. Das war eine ihrer Triebfedern, warum sie es überhaupt gemacht haben. Natürlich lieben sie Musik, aber ebenso lieben sie es im Rampenlicht zu stehen. Das ist genau wie für junge Schauspieler, sie möchten auch auf der großen Bühne stehen. Und im Techno war das nie anders.

Gerade am Anfang, als es so einfach war, als Marshall Jefferson mit den anderen Jungs sich die 808, 909 und 303 gegenseitig ausgeliehen haben. Also wo ist die Motivation? Dass man imRampenlicht stehen will, ist die Motivation. Das ging ganz gut mit Techno, weil du dich nicht mit vier Bandkollegen oder einem Major-Studio rumschlagen musstest. Das war alles egal, wir alle konnten alles selbst machen. Der einfache Weg dahin: Das war für viele – mich eingeschlossen – eine tolle Triebfeder.

Du bist das sicher schon hundertmal gefragt worden.

Nein, das wurde ich tausendmal gefragt!

Trotzdem: Wenn du dein Gesicht versteckst, dann übst du Verzicht an dem, was du der Crowd bedeutest. Wie ist das für dich, wenn du nicht als der auf die Party rausgehst, als der du davor auf der Bühne warst?

Genau diese Sache finde ich gut. Ja, gut erklärt.

Das aktuelle Album: sag darüber, was immer du sagen willst.

Es ist genau das geworden, was es werden sollte. Es sollte nicht zu lang sein und reflektieren welche Gedanken ich mir über Techno gemacht habe. In dem Fall waren es Musik-Ikonen: DJ Shadow, Brian Eno, Moodyman und ein bisschen Carl Craig. Ich habe mich informiert, was Robert Fripp und Brian Eno gemacht haben und wie. Ich wollte mit meinen Mitteln, mit meinen Synths, genau das machen, was die in den 70ern gemacht haben. Das war die Grundidee. Im Vergleich zum ersten Album, höre ich mir das Album auch selbst sehr gerne an.

Redshapes Album "Square" ist beretis auf Running Back (Rough Trade) erschienen.

shapedworld.com

Bild(er) © Lupi Spuma
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