Fußtritte gegen den Kopf, den Konkurrenten aus der Luft auf den Boden schleudern oder in die Eingeweide hauen: Wrestling fasziniert wieder. Und auch in Wien wird gekämpft – in einem Keller im zweiten Bezirk.
Fußtritte gegen den Kopf, Konkurrenten auf den Boden schleudern oder in die Eingeweide hauen – Gerhard Hradil aka Humungus organisiert Wiener Underground-Wrestling. Er erzählt, was hinter dem Schaukampf steckt, wie trainiert wird und welche Rolle das Publikum spielt.
Kniebeugen, Liegestütz und Schläge in der Leopoldstadt
Wrestling – das kennt man in Österreich eigentlich nur aus dem Fernsehen. Von diesen Abenden allein auf dem Sofa wenn DSF mitten in der Nacht World of Wrestling aus den USA überträgt und man nicht recht weiß, ob man bei der scheinbar brutalen Schlägerei unbedingt zuschauen oder doch schnellstens wegschalten soll. Doch schau einer an. Wenn man besagtes Sofa verlässt, findet man Wrestler auch in Wien, in einem Keller des 2. Bezirks.
Hier trainiert Gerhard Hradil seine Schüler – und Schülerinnen. In der Szene ist der 120-Kilo-Mann als Humungus bekannt. „Jo rennts“, ruft er zu Beginn des Trainings und die Gruppe beginnt, im Kreis über die aufgelegten Matten zu traben. Es folgen Kniebeugen, Liegestütz und Situps, die Gruppe schwitzt in unterschiedlichem Ausmaß.
Frau kämpft sich durch
Auch das richtige Fallen muss jeder Nachwuchs-Wrestlingstar zunächst lernen. „Am Anfang tut die Erschütterung beim Fallen noch weh, bis die Muskeln stark genug sind“, erklärt Chabela. Als eine von wenigen Frauen wrestelt sie schon seit einigen Jahren. Dass sie es meistens mit männlichen Gegnern zu tun hat, ist ihr dabei ganz egal. Mit einiger Kraftanstrengung kann sie mittlerweile sogar ihren Trainer Humungus zu Boden werfen, und das, obwohl der schätzungsweise doppelt so schwer ist und seit mehr als 30 Jahren im Ring steht.
Eigentlich wollte Humungus in den 80er-Jahren Profiboxer werden, wechselte dann aber zum Wrestling und ist bis heute fasziniert von diesem Sport.
Schwitzen für die Show
Beim Wrestling braucht man einen Künstlernamen, oder vielmehr: einen Kampfnamen. Aus Gerhard wird dann Humungus, aus Isabella Chabela, aus Daniel Skeletto, usw.
Immer wieder kämpfen sie alle auch vor Publikum gegeneinander. In den Wochen vor einer Show wird dann besonders intensiv trainiert. Da geht es nicht nur um die richtige Fall-und Wurftechnik, auch der Ablauf der Kämpfe wird geplant und geübt, jeder Schlag soll sitzen. „Es bringt nur was, wennst einen Muskelkater gehabt hast“, sagt Humungus und lässt die Gruppe gleich noch eine Runde Liegestütze machen.
Das Kämpferische hervorheben
Für die Show hat sich Humungus mit seiner WSA (Wrestling School Austria) zum wiederholten Mal im Keller des Weberknecht eingemietet. In dem Gürtellokal ist genug Platz für das vor Begeisterung gröhlende Publikum, das schon lange vor dem Beginn der Show vor den Türen Schlange steht oder sich mit Merchandise-Produkten eindeckt. Auf der Bühne werden in der Zwischenzeit vorsorglich Matten aufgelegt. Die wären eigentlich verzichtbar, meint Humungus, denn vor allem beim Underground-Wrestling legt man Wert auf eine, sagen wir, „pure“ Kampferfahrung. Und das kann schon mal weh tun…
Wenn das Publikum jubelt, grölt und schimpft
Zu Beginn der Show kämpft Humungus mit Chabela. Das Publikum ist begeistert vom Wettstreit der beiden ungleichen Gegner. „Chabela“-Sprechchöre formieren sich, vor allem die weiblichen Zuschauer sind klar auf ihrer Seite. Anders ist das als Zanoni und Mirko den Ring betreten. „Wenn das Publikum nicht auf deiner Seite ist, kannst du es ruhig auch mal beschimpfen“, hat Zanoni schon vor dem Kampf erklärt. Was er nicht sagt und trotzdem jeder weiß: Eigentlich geht es ums Publikum und darum, möglichst starke Reaktionen hervorzurufen. Ob die am Ende positiv oder negativ sind, das ist beim Wrestling vorerst einmal egal. Laut und emotional soll es sein.
Es ist wie eine Choreografie
Im Laufe des Kampfes um den Championstitel landet Zanoni mit der Stirn an der Kante einer Stufe. Sieht schmerzhaft aus – und ist es auch. Aber gehört es zur Show? Ist es Teil einer vorher ausgemachten Choreografie, die das Publikum nur weiter anspornen soll? Wie viel im Ring wirklich echt ist und wie viel nicht, ist nicht einmal für ein erfahrene Zuschauer leicht zu unterscheiden. Natürlich sei beim Wrestling immer auch Schauspielerei dabei, erklärt Humungus. Aber ganz so einfach ist es nicht. „Wenn ich auf jemanden drauf falle, dann weiß ich, wie ich fallen muss. Trotzdem fallen 120 Kilo auf den drauf“, sagt er.
Kämpfen seit dem 19. Jahrhundert
Übersetzt bedeutet Wrestling so viel wie Ringen. In Europa ist die Fangemeinschaft noch eher überschaubar, während sie in Japan, den USA und Mexiko immer stärker wächst. Wrestling, wie es heute verbreitet ist, gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Damals diente die Mischung aus Sport und Schauspiel hauptsächlich der Unterhaltung auf Jahrmärkten. Der erste Titel im amerikanischen Pro-Wrestling wurde im Jahr 1880 vergeben. Bis in die 30er Jahre wurde Wrestling immer populärer, erntete aber auch immer mehr Kritik. Mit der Begründung sie wären „brutal und erniedrigend“ wurden die Kämpfe etwa 1934 in Südafrika verboten. Ab den 50er Jahren wurde Wrestling auch im TV übertragen, wodurch ein breites Publikum auf den Sport aufmerksam wurde.
Das Kostüm entscheidet – auch im Ring
„Ich weiß es ist anstrengend“, meint Humungus grinsend, wenn beim Training einmal einer seiner Schüler nicht mehr kann. „Aber Anstrengung macht fesch.“ Dabei ist das, was unter Wrestlern als „fesch“ gilt, durchaus etwas gewöhnungsbedürftig. Das Kostüm, in dem die Teilnehmer den Ring betreten, ist fixer Bestandteil der Show. So zeigt sich Chabela etwa als aggressives Cowgirl, Skeletto, ganz seinem Namen getreu, als Knochengerüst und Zanoni, der Herausforderer aus dem Nachbarland, erscheint mit aufgemalter italienischer Nationalflagge im Gesicht. Trainer Humungus meint dazu zynisch: „Irgendwie ist Wrestling auch ein schwuler Kampfsport, sonst hätten wir nicht alle so komisches Gewand an.“
Im Keller geht das
Kostüm, Gebrüll und Schimpfworte – das alles gehört zum Wrestling dazu und das macht, wenn Publikum und Wrestler sich ehrlich sind, auch den absurden Reiz dieser Sportart aus. Ein bisschen fürchterlich soll es ja schon sein. Oder, wie Humungus sagen würde: „In der Kellersprache heißt es, sie sollen sich ins Hemd scheißen. Hier unten hat man noch die Möglichkeit, sonst darf man ja eh nicht mehr so reden.“
Mehr Infos über die Wrestling School Austria findet man hier, eine der Shows live erleben kann man beispielsweise am 19.3.2017 im Weberknecht – alle Infos zum Event gibt es hier.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.