Unterstützung für queere Jugendliche – Drei Perspektiven von Wiener Jugendarbeiter*innen

In Zeiten multipler Krisen, politischer Rückschritte und zunehmender Hassverbrechen gegen queere Menschen ist queere Jugendarbeit eine unverzichtbare Unterstützung. Wir haben mit Sexualpädagog*in Candy Licious, Schulsozialarbeiterin Vera Huber und der Leitung des Queeren Jugendzentrums Wien über ihre Arbeit, Wünsche, Herausforderungen und Erfolge gesprochen.

© Karo Pernegger

Wenn uns die Pandemie eines gelehrt hat – neben korrekter Handhygiene und Bananenbrotrezepten –, dann die Notwendigkeit eines verstärkten Fokus auf das (psychische) Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen. Queere Jugendliche sehen sich dabei oft im Vergleich zu ihren nicht queeren Kolleg*innen vor besondere Herausforderungen gestellt. Doch inwiefern braucht es hier ein gesondertes Unterstützungsangebot? Was unterscheidet queere Jugendarbeit von nicht queerer Jugendarbeit?

»Grundsätzlich nichts«, meint Luca Flunger, eine*r der Leiter*innen des Queeren Jugendzentrums Wien. In der Arbeit mit den Jugendlichen würden dieselben Grundprinzipien gelten: immer niederschwellig, immer freiwillig, immer anonym. Luca hat Soziale Arbeit an der FH Wien studiert und mit einer Bachelorarbeit zum Thema queere Jugendarbeit abgeschlossen: »Das war zu einer Zeit, als es quasi keine queere Jugendarbeit gab oder sie zumindest nicht als solche benannt wurde.«

Jugendarbeit ist also Jugendarbeit, egal ob queer oder nicht. Einige Unterschiede gebe es aber doch, erzählt Candy Licious, Dragqueen und Sexualpädagog*in: So spiele bei queerer Jugendarbeit Storytelling häufig eine größere Rolle. Neben aktivistischer Arbeit und Drag-Kinderbuch-Lesungen hält Candy auch Workshops an Schulen, einerseits für die Aids Hilfe als Sexualpädagog*in und andererseits für den Verein Queerfacts. »Bei den Workshops für Queerfacts gebe ich auch meine Identität und Sexualität preis. Bei nicht queerer Jugendarbeit, wo die sexualpädagogische Jugendarbeit reinfällt, mache ich das nicht«, sagt Candy.

Candy Licious widmet sich der Jugendarbeit sowohl mit als auch ohne Drag. (Bild: Izzy Bizzy Spider Design)

Bei den sexualpädagogischen Workshops stehe der Körper und was mit ihm passiert im Mittelpunkt – die Grundlagen von Sexualität auf materieller Ebene also. »Da ist es prinzipiell egal, welches Geschlecht ich habe, weil der Fokus auch nicht auf dem Thema Queerness liegt. Aber im Endeffekt müsste eigentlich beides zusammen gemacht werden.« Dafür bräuchte man aber mehr Zeit, die bei den meisten regulären Workshops nicht gegeben sei. Allerdings gibt es seit Anfang April die Möglichkeit, über die Aids Hilfe einen dreistündigen Workshop mit Fokus auf Queerness, Antidiskriminierung und queere Jugendarbeit zu buchen.

Umfeld entscheidend

An einer spannenden Schnittstelle von queerer und nicht queerer Jugendarbeit sitzt Vera Huber. Für die Schulsozialarbeiterin sei der Weg in die queere Jugendarbeit vorgezeichnet gewesen: »Seit ich denken kann, hatte ich Jugendarbeit als Beruf in meinem Kopf.« Nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften in Südtirol arbeitete sie als Streetworkerin und in einem Jugendzentrum. Schließlich zog sie nach Wien, engagierte sich freiwillig bei der Queer Youth Vienna (QYVIE) und begann ihren Job als Schulsozialarbeiterin an einer eher traditionellen, konservativen Schule. In ihrem Job ist sie deshalb nicht explizit als queere Sozialarbeiterin angestellt, sondern eher, obwohl sie selbst queer ist: »Ich bin sehr selbstbewusst und habe zum Glück auch nie das Problem gehabt, mich selbst als queer zu outen und dann komische Reaktionen zu bekommen. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass die eigene Queerness ein Problem sein könnte – je nachdem, mit welchen Jugendlichen man in der Jugendarbeit zu tun hat.«

Dabei spielen sowohl das Umfeld in der Schule als auch der Background über die Eltern eine zentrale Rolle. Vera erzählt von zwei queeren Kindern an ihrer Schule: einem mit unterstützenden Eltern und gutem sozialem Netzwerk in der Klassengemeinschaft und einem ohne Rückendeckung durch die Eltern, keinem guten Verhältnis zu Mitschüler*innen und einem Verbot, irgendetwas außerhalb der Schule zu unternehmen, wie zum Beispiel die queere Jugendgruppe QYVIE zu besuchen. Das zweite Kind wechsle deshalb wohl bald die Schule, meint Vera.

Schulsozialarbeiterin Vera Huber findet, das Umfeld der Jugendlichen sei entscheidend. (Bild: Atila Vadoc)

Auch Candy erzählt, dass es bei den Workshops Kinder gebe, die zum Beispiel den Raum verlassen, sobald es um queere Themen geht, oder die schon mit 14 eine festgefahrene negative Meinung zu Queerness haben: »Das ist natürlich schade, aber ich weiß auch, dass sie nichts dafür können. Erziehung spielt da die größte Rolle und umso mehr freut es mich dann, dass ich trotzdem dort war und vielleicht eine Person in der Klasse erreicht habe, die sagen kann: ›Okay, ich bin nicht allein.‹«

Noah Damian Safranek, ebenfalls Teil des Leitungsteams des Queeren Jugendzentrums Wien, fasst es prägnant zusammen: »Queere Jugendliche sind – genau wie nicht queere Jugendliche – halt einfach Jugendliche.« Soll heißen, dass sie gleichermaßen mit der Vielzahl an Problemen und Entwicklungen des Erwachsenwerdens beschäftigt seien: Ablösungsprozesse von den Eltern, herausfinden, wo sie im Leben stehen, und entscheiden, was sie damit machen wollen. »Darüber hinaus hat ein Großteil queerer Jugendlicher leider auch Diskriminierungserfahrungen gemacht, die sie täglich bewältigen müssen. Das kann sehr anstrengend und belastend für die Jugendlichen werden und ist auch spürbar in der Arbeit mit ihnen.« Deswegen legt Noah Damian den Fokus gerne darauf, dass queere Jugendliche – wie alle anderen – Spaß und eine gute Zeit mit Freund*innen haben.

Großes Verbesserungspotenzial

Wenn das Wohlbefinden Jugendlicher so sehr mit deren Umfeld steht und fällt, was können dann Schulen und andere Bildungseinrichtungen, in denen Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit verbringen, tun, um LGBTQIA*-Jugendlichen gerecht zu werden und ein inklusiveres Umfeld für sie zu schaffen? Schule konsequent inklusiv zu gestalten, sei eine Riesenaufgabe, meint Luca. An diesem Ort kämen einfach eine Vielzahl an unterschiedlichen Menschen mit diversen Bedürfnissen, Ängsten und Vorerfahrungen zusammen: »Das fängt schon damit an, dass Lehrer*innen bedingungslose Allys sein müssten, was allein schon kompliziert ist, weil Lehrer*innen keine homogene Gruppe sind.«

Luca Flunger und Noah Damian Safranek sind Teil des Leitungsteams des Queeren Jugendzentrums Wien. (Bild: Marlene Fröhlich)

Außerdem hätten ja nicht nur LGBTQIA*-Personen keinen Safe Space in Schulen, sondern marginalisierte Personen generell. Ein wichtiger Schritt, betont Luca, sei die Vernetzung mit Schulsozialarbeiter*innen und Schulpsycholog*innen, »damit Jugendliche Zugang zu uns finden«.

Ohne Einbindung der Schulleitungen könne halt wenig passieren: »So eine Veränderung muss immer von oben nach unten geschehen«, erklärt Candy. Idealerweise hieße es von Seiten der Direktion, sie würden eine Fahne aufhängen, Workshops buchen und Themenschwerpunkte setzen wollen – und das nicht nur einmalig, sondern Jahr für Jahr. An ganz oberster Stelle steht natürlich die Politik. Diese müsste mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, Themen entsprechend in den Lehrplänen verankern und etwa Schulbücher konsequent um ein drittes Geschlecht erweitern.

Trotzdem: »Man bewirkt bei Jugendlichen schon irrsinnig viel, wenn Sachen einfach irgendwo hängen, ohne dass man sie zwingt, etwas zu lesen. Wenn die Information einfach einmal im Gebäude ist«, legt Candy nach. Vera sieht das ähnlich: Gerade, wenn eine Vertrauensperson in der Schule selbst nicht queer sei, könnten Poster oder Infobroschüren im Büro den Unterschied machen und ein kleiner Schritt sein, um queeren Jugendlichen ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Ein Ort für queere Jugendliche

Doch selbst falls Schulen die Wende hin zu inklusiven Schutzräumen schaffen, sind sie nie gänzlich von der Außenwelt abgeschottet. Medien wie Tiktok können einen enormen Einfluss auf das Schulklima haben: »Je nachdem, was einem der Algorithmus vorschlägt, kann das entweder super cool sein und man bekommt informative, aufklärende Beiträge ausgespielt. Oder es rutscht in eine ganz andere Richtung, mit negativen, problematischen Inhalten und Hassvideos«, erzählt Vera. Das kann zu Fehlinformationen führen, die es richtigzustellen gilt.

Candy nennt hier zum Beispiel die rechtliche Situation von sexueller Mündigkeit, die sich von Land zu Land stark unterscheidet. Darum sei außerschulisches Angebot auch so wichtig, sagt Noah Damian – um den Umgang mit Medien zu lernen und zu üben, über Informationen, die die Jugendlichen aus dem Internet haben zu reflektieren, über Mythen und Trends zu reden und aufzuklären. Das sei auch Teil ihres Bildungsauftrags, fügt Luca hinzu. Aber auch für Unterstützung in schwierigen Situationen seien Jugendgruppen und -zentren wichtig, weil so etwas »ein zusätzlicher Ort ist, der Unterstützung bietet, wenn zum Beispiel Themen aufkommen, mit denen sich die Jugendlichen alleine fühlen«, so Noah Damian.

Ein solcher Ort deckt zudem einen Bedarf an erwachsenen Bezugs- und Ansprechpersonen abseits von familiären und akademischen Abhängigkeiten ab. Denn Schule und Elternhaus sind häufig mit Leistungsdruck und gestellten Erwartungen verbunden – Schüler*innen werden von Lehrer*innen benotet, was unweigerlich ein Machtgefälle erzeugt, und Kinder sind materiell meist komplett auf ihre Eltern angewiesen. Außerdem sind Queerness und Queer Liberation intrinsisch politisch. Gerade im derzeitigen Klima werden queere Identitäten beständig missrepräsentiert, für Wahlkampfkampagnen zweckentfremdet und es werden Versuche gestartet, LGBTQIA*-Rechte einzuschränken. Deshalb ist es für queere – sowie für anderweitig marginalisierte – Jugendliche mit Diskriminierungserfahrung wichtig, einen Raum zu haben, in dem sie sich mit Peers, die gerade das Gleiche durchmachen wie sie, und mit Jugendarbeiter*innen, die früher auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben, austauschen können. Um voneinander zu lernen, um ihre eigene Community zu finden, um sich möglicherweise politisch zu organisieren und zu engagieren, um einen konsumfreien Ort zu haben, an dem sie einfach sein können, und um einen Ausblick auf eine positive Zukunft für sich selbst zu bekommen, den sie sonst in dieser Form nicht hätten.

Das Queere Jugendzentrum Wien eröffnet im Juli 2024. Näheres dazu unter www.q-wir.at. Die Jugendgruppe Queer Youth Vienna trifft sich jeden Donnerstag von 17:30 bis 22 Uhr
im Gugg. Auf Instagram ist sie unter @queer-youthvienna zu finden. Informationen über Candy Licious und ihre kommenden Veran­staltungen unter www.candylicious.pink.

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