Verena Altenberger verkörpert in David Clay Diaz’ neuem Film »Me, We« eine freiwillige Helferin, die auf Lesbos Geflüchtete retten möchte. Im The-Gap-Interview spricht sie über die Dreharbeiten, die noch immer in ihr nachhallen, darüber, ob ihre Rollen sie verändern, warum ihre Postings auf Social Media politischer geworden sind und wieso sie sich selten hilflos fühlt.
Sei es als Buhlschaft im »Jedermann«, in der kürzlich zu Ende gegangen Sitcom »Magda macht das schon« oder in David Clay Diaz’ aktuellem Film »Me, We« – Verena Altenbergers Schauspielkunst konnte beziehungsweise kann in letzter Zeit oft genossen werden. Davor war es vor allem ihre Rolle als drogenabhängige und liebevolle Mutter in Adrian Goigingers Spielfilmdebüt »Die beste aller Welten«, mit der sie Publikum wie Kritik von sich überzeugte. Weitere Projekte mit Adrian Goiginger folgten, wie auch Dreharbeiten mit David Schalko (»M – Eine Stadt sucht einen Mörder«). Seit 2019 ist sie zudem als Polizeioberkommissarin Elisabeth Eyckhoff in »Polizeiruf 110« zu sehen. Doch Verena Altenberger ist nicht nur als Schauspielerin aktiv, sie nutzt ihre Social-Media-Kanäle auch für politische Postings und macht auf Themen wie Feminismus und Menschenrechte aufmerksam.
In »Me, We« spielt sie nun Marie, eine junge Frau, die nach Lesbos kommt, um Geflüchteten zu helfen. David Clay Diaz porträtiert mit viel Fingerspitzengefühl sowie präziser Beobachtungsgabe unterschiedliche Menschen (neben Verena Altenberger sind u. a. Lukas Miko, Alexander Srtschin und Barbara Romaner zu sehen), die das Richtige tun wollen. »Me, We« ist ein Film über Hilfe und Hilflosigkeit – aber vor allem über Menschlichkeit.
Du meintest in einem Social-Media-Post, dass die Dreharbeiten zu »Me, We« die filmisch wichtigste Arbeit seit den Dreharbeiten zu »Die beste aller Welten« waren. Warum?
Verena Altenberger: Das hat verschiedene Gründe: Erstens liegt es an David Clay Diaz’ Regieführung. Er legt – genau wie Adrian Goiginger – sehr viel Wert auf Echtheit. Mein Anspruch ans Spiel ist immer: Ich will nicht spielen, ich will sein. Diese beiden Regisseure haben mir das ermöglicht – durch viele Proben, aber auch durchs Loslassen beim Dreh selbst. Sie beharren nicht auf Einstellungen oder Bildkompositionen, sondern sie sind beide sehr interessiert an den menschlichen Regungen, die passieren. Der Hauptgrund waren aber die Dreharbeiten auf Lesbos: Diese waren einfach arg. Sie haben einen extrem Nachhall in mir hinterlassen.
Grundsätzlich interessieren mich viele Themen: Ich drehe auch gerne einen guten Krimi oder eine schöne Liebesgeschichte, aber ich empfinde eine große Sehnsucht nach Themen, die etwas in meinem Leben und in der Gesellschaft verändern können.
Welchen Anreiz gab es für dich, die Rolle anzunehmen? Wie hast du dich auch im voraus darauf vorbereitet und wie würdest du Marie charakterisieren?
Abermals war es unter anderem die Regie, die mich überzeugt hat. Ich kannte Davids ersten Film »Agonie« und bereits damals habe ich mir gedacht: Wie macht man so etwas? Das kann doch nicht gespielt sein? Es war fast, als ob man eine Dokumentation sehen würde. Das hat mich gereizt. Das war der erste Grund. Der zweite Grund war die Tatsache, dass ich wusste, dass es zu seinem Regiekonzept gehört, professionelle Schauspieler*innen mit Laiendarsteller*innen zu kombinieren. Das fand ich einfach interessant, denn du kannst ja nicht einfach dem ägyptischen Fischer im Vorfeld das Drehbuch zeigen und ihn bitten, den Text zu lernen. Die Tatsache, dass wir auf Lesbos drehten, hat mich ebenso überzeugt. Zudem muss ich immer das Gefühl beim Lesen eines Drehbuchs haben, dass ich die Rolle emotional nachvollziehen kann. Das heißt nicht, dass ich die Erlebnisse der Figur selbst haben muss, aber ich will verstehen können, warum eine Figur so oder so handelt. Ich verstehe mich immer als Anwältin meiner Figuren.
Zu Marie kann ich noch Folgendes sagen – und ich bleibe da immer bei Äußerlichkeiten, da jeder Charakter ja zu komplex ist, um ihn mit drei oder vier Begriffen zu definieren: Marie ist eine junge Frau, die ihr Studium beendet hat und ihren Sommer auf Lesbos verbringt, um als freiwillige Helferin in einem Camp Geflüchteten zu helfen und später auf einem Schiff Menschen in Seenot zu retten. Sie scheitert jedoch – aus verschiedenen Gründen – bei ihrem Versuch zu helfen.
Wir können die Situation von Geflüchteten natürlich nicht wirklich nachvollziehen. Wie hast du dich auf dein Spiel vorbereitet?
Das Gute an »Me, We« ist, dass David gar nicht versucht, die Situation von Geflüchteten und deren Flucht nachvollziehbar zu machen. Er hat die Situation quasi umgedreht, und plötzlich sind wir vor der Kamera. Das ist das Einzige, das möglich ist: So eine Geschichte aus uns heraus zu erzählen. Ich kann in dieser Form nicht einen Menschen auf der Flucht spielen, das hat mit mir nichts zu tun, aber ich kann jemanden, der gerne diesen Menschen helfen will, spielen – denn da kann ich mich wiederfinden. Für mich war dann der wichtigste Punkt: viel Vorbereitung, viele Proben, viele Besprechungen, Speedboat-Training in Berlin. Am ersten Tag auf Lesbos wusste ich aber: Ich kann alles wegschmeißen. Ich habe Moria gesehen und ich habe verstanden, dass ich keinen Funken Ahnung von diesem unermesslichen Leid habe. Und von dieser Form von Hoffnungslosigkeit, die dort geradezu gezüchtet wird.
Das Thema Migration wird im Film auf unterschiedliche Weisen behandelt. Die vier Hauptfiguren handeln alle aus dem Motiv heraus, auf der richtigen Seite zu stehen. Sie wollen alle auf ihre Weise gute Menschen sein. Habt ihr im Team eure Rollen viel diskutiert?
Es waren wirklich quasi vier verschiedene Filme beziehungsweise Handlungsstränge, die dann zu einem Film wurden. Gerade bei meiner Figur war es so: Es gibt diesen einen Tag, da sieht man Marie in dem Flüchtlingsheim, aber sonst waren meine Geschichte und auch ich als Darstellerin sehr isoliert. Es gibt eine Stelle im Film, da versucht sie auf eigene Faust, Menschen aus Seenot zu retten. So etwas ist im echten Leben ja nicht wie bei »Baywatch«. Das haben wir von den freiwilligen Helfer*innen vor Ort auch gelernt, nämlich wie man das Meer abscannt, auf welche Geräusche man achten muss, auf welche Lichtreflexionen. Im Vorfeld dachte ich mir: Warum fährt Marie da raus ins Meer, nur weil sie eine Lichtreflexion gesehen hat? Das konnte ich nicht gleich verstehen, daher meinte ich noch zu David: Wir müssen da eine andere Szene einbauen, in der sie zum Beispiel ein Schockerlebnis hat, damit ihre Handlung als eine Art Übersprungshandlung verständlich wird. Bei den Vorbereitungen in Wien und Berlin konnte ich mit dieser Szene also nicht viel anfangen, ich fand sie übertrieben. Aber dann waren wir vor Ort und du bist auf dieser Insel und du siehst, wie jeden Morgen Menschen den Strand nach Leichen absuchen und gleichzeitig liegen – zum Glück für die Insel und für die Einheimischen – Tourist*innen am Strand. Und du checkst: Das ist überhaupt nicht unrealistisch. Wenn ich an der Donau entlangspaziere und sehe, wie jemand ertrinkt, dann springe ich doch auch hinein und versuche diesen Menschen zu retten. Dieser Aufenthalt hat alles verändert – im Spiel und auch vieles in meinem Leben.
Ich bin auch weiterhin mit vielen, die vor Ort sind oder waren, noch in Kontakt. Wir haben eine Signal-Gruppe, da kommunizieren wir, und es wird nach Einsätzen Geld gesammelt. Ich habe das Gefühl, dass die Dreharbeiten sehr nachhallen. Wenn ich darüber rede, komme ich meist ins Stocken, weil ich manchmal verdächtige Züge von Marie an mir erkenne. Ich frage mich dann: Will ich helfen, um zu helfen, oder auch, weil es für mich sinnstiftend ist? In diesem Zusammenhang haben wir letztens ein tolles Zitat gehört, es ist von Muhammad Ali: »Es ist ein Missverständnis, wenn man meint, allen Menschen helfen zu können, aber fatal wäre es, wenn man es gar nicht versucht.«
Menschen tun Dinge aus unterschiedlichen Gründen, selten aus nur einer singulären und reinen Motivation heraus, aber wenn das Ergebnis ist, dass Menschen helfen, dann soll uns Schlimmeres passieren.
Was ist dir noch vom Dreh in Erinnerung geblieben?
Mein Learning des Films war auch Folgendes: Menschen, die gegen Flucht und Migration argumentieren, benutzen oft den Begriff der sogenannten »Pull-Faktoren«. Also, dass mehr Leute kommen, wenn wir etwa die Sozialhilfe erhöhen oder Seenotrettung ermöglichen. Aber es gibt in dem Film eine Szene, in der die freiwilligen Helfer*innen Seerettung proben. Die echte Camp-Leiterin hat zu uns gesagt: »Don’t forget: They panic when they arrive.« Und ich habe dann eine dumme Frage gestellt, einfach weil ich so naiv und so überfordert war von diesen ganzen Zuständen dort. Also meinte ich: »It’s a really stupid question, but why do they panic when they arrive?« Ich meine, die Menschen sind doch jetzt angekommen, oder? Dann sagte sie zu mir, dass ich mich mal nur zwei Minuten in dieses Boot knien soll. Das ist ein Gummiboot, die schauen alle ähnlich aus, in der Mitte verstärkt mit Holzplanken. Es sind ca. 50 bis 150 Leute im Boot, sie müssen knien. Ich bin dann zwei Minuten gekniet und es ist wie eine Foltermethode: Du sitzt mit deinen Schienbeinen auf diesen Holzdingern und jede noch so kleine Welle geht in deinen ganzen Körper über. Du kannst nicht einmal dein Gewicht verlagern, denn wenn du auch nur kurz dein anderes Bein belastest, dann bedeutet das vielleicht, dass ein anderer Mensch aus dem Boot fliegt. Du bist zwischen fünf und 50 Stunden auf dem offenen Meer, es sind eventuell Menschen in diesem Boot, die nicht einmal schwimmen können. Rund um dich sind Frauen, Schwangere, Babys. Manche sterben sogar neben dir.
Dann kommst du irgendwo an und in diesem Moment spürst du deine Beine nicht mehr. Das heißt, du kannst auch noch im einen Meter tiefen Wasser ertrinken. Du hast Todesangst und in dein Land kannst du nicht mehr zurück. Du bist einer großen Gefahr ausgesetzt. Und diese große Traumatisierung begleitet dich. Dann kommst du in ein Lager, sitzt dort im Gatsch unter Plastikplanen. Es gibt ein Dixie-Klo für 500 Leute. Frauen gehen nachts im Zelt aufs Klo und nicht nach draußen aufs Dixie-Klo, weil es eben einfach fucking gefährlich ist. Es sterben Leute. Es gibt Krankheiten. Du wartest dann acht Monate auf deinen Termin beim Amt und bekommst dort einen Stempel. Dieser bedeutet: Du kannst in eineinhalb Jahren abermals einen Termin beantragen. Niemand auf der Welt macht das, weil es bei uns 100 Euro mehr Sozialhilfe gibt. »Pull-Faktoren« sind einfach eine fucking Lüge.
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