Was, wenn man Fotos macht, aber die Kamera nicht auf die Welt da draußen hält, sondern virtuelle Welten aus Videospielen in Bildern einfängt? Dann entsteht eine neue Kunstform.
Crytek
Mirrors Edge by J Taylor Gaming Photography
Mirrors Edge by J Taylor Gaming Photography 2
Skyrim by Virtual Geographic
Skyrim by Virtual Gepgraphic
Klare Linien, abstrakte Formen, originelle Blickwinkel: Fotografie ist im Zeitalter von Flickr und Handykameras allgegenwärtig. Wie überall kommt mit der Masse aber auch das Mittelmaß: Dass Fotografie mitunter eine hohe Kunst ist, geht in der aktuellen Flut der Bilder, die wir täglich konsumieren, fast etwas unter. Doch Fotografen, die ein Auge für Motive und Bildkomposition haben und das Bild als kreativen Ausdruck mit Anspruch an Ästhetik und Aussage sehen, finden überall Material – auch in den virtuellen Welten aktueller Videospiele. Open-World-Titel wie die »GTA«-Reihe oder »Skyrim« bieten quadratkilometergroße Spielplätze für die Fotosafari, Sandbox-Welten wie »Second Life« oder »Garry’s Mod« lassen sich frei umgestalten und Rennspiele wie die »Forza«-Reihe bieten praktischerweise standardmäßig eine Reihe von Screenshot-Optionen, die den Funktionen einer echten Kamera sehr nahe kommen.
Doch es geht auch ohne diesen Komfort: Josh Taylor (notrl.tumblr.com) etwa schwört auf unbearbeitete Screenshots, die per Zusatzprogramm wie »Fraps« oder durch die »Drucken«-Taste am PC-Keyboard erstellt werden, während James Pollock (virtualgeographic.tumblr.com) seine Bilder auch mal per Digitalkamera vom Fernsehbildschirm schießt oder durch Filter nachbearbeitet. Die Ergebnisse sind im besten Fall virtuelle Architekturfotografie, bei der zwar künstliche, von Gamedesignern gestaltete Objekte abgebildet werden, für die aber zugleich der subjektive Blickwinkel des jeweiligen Fotografen entscheidend ist.
Klar: Die Avantgarde der Medienkunst experimentiert schon seit über zehn Jahren mit Bildern aus Games, allerdings spielte da stets die Betonung der Medienhaftigkeit die Hauptrolle. Die aktuellen In-Game-Fotografen hingegen nutzen die virtuellen Welten selbstverständlich als regulären Bewegungs- und Lebensraum, in dem dann auch wie im echten Leben fotografiert wird. Die Maßstäbe, die sie an die Bilder aus der Welt hinter dem Bildschirm anlegen, sind deshalb auch jene der Fotografie und nur implizit jene der Medienkunst.
Geschmeichelte Industrie
Die Games-Branche fühlt sich geschmeichelt und gesteht den In-Game-Fotografen sogar abseits des ansonsten so strengen Copyrights kreativen Mehrwert zu: »Die Publisher und Entwickler behalten die Rechte an ihren Werken. Die Schöpfer von In-Game-Fotografien können aber ebenfalls Rechte an den von ihn erstellten Bildern haben, soweit diese eine eigene Gestaltungskraft und eine bestimmte Schöpfungshöhe aufweisen«, betont Martin Lorber, deutscher Pressesprecher des Branchenriesen Electronic Arts, die künstlerische Eigenleistung der jungen Nischenkunst.
Kommerziell verwertet aber ohnedies noch keiner der In-Game-Fotografen seine Schnappschüsse. Auf eigenen Blogs oder Flickr präsentieren sie ihre Bilder der Öffentlichkeit und sehen sie, wie Duncan Harris, britischer Games-Journalist und als Betreiber der Seite deadendthrills.com einer der Gründerväter der In-Game-Fotoszene, vor allem als Hommage an die aufwendig gestalteten Spielewelten. Für den Betrachter sind diese rechtlichen Hintergrundfragen aber egal: Gute Fotografie ist gute Fotografie -und die Grenze zwischen Realität und Virtuellem einmal mehr durchlässig.
Rainer Sigl schreibt in seinem Blog videogametourism.at regelmäßig unter anderem über neue, gelungene Beispiele der In-Game-Fotografie.