Vorschneller Totenschein

Michael Fleischhacker hat mit seinem Nachruf auf die Zeitung eine Chance vertan. Dabei wäre die Zukunft des Mediums ein dankbares Thema, das uns natürlich laufend beschäftigt.

Gegen diese bedenklichen Entwicklungen anzuschreiben und konkrete Zahlen und Gegenrezepte vorzustellen, wie die erfolgreiche Zeitung der Zukunft ausschauen könnte, darf sich der Zeitungsliebhaber von einem Brancheninsider wie Fleischhacker erwarten. Wenn ein ehemaliger Chefredakteur nicht mehr an sein Produkt glaubt, ist das als Signal für die ganze Branche traurig und fatal. In der entmaterialisierten Distribution liegen auch Chancen und Verdienstmöglichkeiten für Verlage und Medienhäuser. Ich kann mir heute beispielsweise am Sonntag in jedem beliebigen Tiroler Bergdorf die Presse kaufen. Früher gab es dort nur die Kronen Zeitung und die Tiroler Tageszeitung.

Krise der Blattmacher

Die Krise alleine mit ökonomischen Sparzwängen, Technikdeterminismus und Konjunkturdellen zu entschuldigen, übersieht, dass gute Zeitungsmacher keine Manager mit Renditevorgaben sind, sondern Überzeugungstäter wie Oscar Bronner oder Armin Thurnher. Die österreichischen Blattmacher von Format glaubten, mit ihrem Produkten Profil, Standard oder Falter neben dem Geldverdienen auch den Diskurs zu bereichern und dem mündigen Bürger bei seiner politischen Entscheidungsfindung ausgewogen und mit kritischer Distanz zu den Mächtigen zu begleiten. Solche solitären Macher und Überzeugungstäter sind im Zeitalter der betriebswirtschaftlichen Erbsenzähler selten geworden.

Die Krise der Zeitungen wird sich weiter konjukturell und strukturell beschleunigen. Werbeetats wie Kleinanzeigen (Wohnungen, Jobs) wandern ins Netz ab, weil sie dort besser aufgehoben sind. Heuer erschütterte der Konkurs der Kärntner Tageszeitung sowie die neuen Sparpläne bei Standard und Presse die interessierte Fachöffentlichkeit. Um das zu sehen, braucht man weder Betriebswirt noch Hellseher zu sein.

Das digitale Jammertal

Wie aber muss die Zeitung von morgen aussehen, um erfolgreich zu sein? Solche Überlegensfragen thematisiert das Buch nicht. Interessensungebundene Information, Vorselektion von Relevanz, kritische Themenauswahl wären hier einige schlagwortartige Ansätze. Auch muss die Branche endlich taugliche digitalen Bezahlinhalte einführen. Wie diese aussehen könnten, beschreiben die Kommunikationswissenschafter Andrea Schaffar und Christian Körber ausführlich in ihrer lesenswerten Artikel „Verschlafener Wandel. Medien und das digitale Jammertal.“ Es ist aus Konsumentensicht nicht einzusehen, warum der Leser für die Print-Ausgabe des Standard zahlen soll, solange die aktuellere und bessere Onlineversion gratis ist.

Auch medienpolitisch stehen einige Grundsatzentscheidungen an: Parasitäre Unternehmen wie Facebook oder Google sollten mit einer Algorithmensteuer belegt werden, die für den Erhalt der Medienvielfalt zweckgewidmet werden könnte. Soll die Medienbranche weiterhin ihre Funktion als vierte Gewalt ausüben und das auch demokratiepolitisch gewünscht sein, wird die Arbeit der vier großen digitalen Monopolisten und Oligopolisten politisch und kartellrechtlich neu zu regeln sein.

Schatz Leserblattbindung

Leider hat es Fleischhacker in seinem Buch, das mit zahlreichen spannenden und vergnüglich zu lesenden Anekdoten aus der Zeitungsgeschichte aufwartet, verabsäumt, die medienmorphologische Einzigartigkeit der Zeitung herauszuarbeiten. Wer über Schwächen und Stärken der Mediengattung nachlesen will, findet in Sören Kierkegaards Geheimen Tagebüchern in wenigen Sentenzen gehaltvolles.

Fleischhacker hat eine große Chance vertan. Er hätte als Kenner und scharfzüngiger Kommentator der heimischen Befindlichkeiten geschäftstaugliche Modelle und blattmacherische Strategien wie Kontextwissen und Komplexitätsreduktion entwerfen können, um die Zukunft der Zeitung aktiv zu bestimmen. Denn dass viele Leser ihre Stammzeitung als ein Gespräch unter Freunden betrachten, der ihnen lästige und zeitintensives Googeln erspart und somit eine lebensnotwendige Delegationsfunktion erfüllt, weiß der Vollblutjournalist Fleischhacker aus dem Studium der Leserbriefseiten. Was also Not täte, wäre ein Buch von ihm, wie er der angeknacksten Leser Blatt Bindung und der angeschlagenen Branche wieder neues Leben einzuhauchen gedenkt.

Zukunft der Zeitung

Diskussion, 19. Mai, 18:30, Springer Schlössl Festsaal, Tivoligasse 73, 1120 Wien

Am Podium: Prof. DDr. Matthias Karmasin (Universität Klagenfurt), Michael Fleischhacker (Journalist und Autor des Buches "Die Zeitung. Ein Nachruf"), Chefredakteur Armin Thurnher (Herausgeber Falter), Moderation: Chefredakteur Sebastian Loudon (Horizont)

www.ffi.at

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