Wenn von Creative Industries die Rede ist, meint das, dass die Kreativen, die gleichen strukturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen haben wie große Unternehmen. Und doch: da fehlt noch eine Menge.
Christina Steinbrecher - Foto by Slava Filippov
"In der Wachstumsphase" Der Begriff "Industrie" impliziert, dass die Kreativwirtschaft ebenso effizient ist, wie die klassische Industrie. Dass ihre Akteure Einzelpersonen und kleine Unternehmen sind, steht dabei nicht im Widerspruch dazu, von einer "Industrie" im weitesten Sinn zu sprechen. Adornos Begriff einer "Kulturindustrie" sollte als Synonym für Formen der Effizienzsteigerung und Rationalisierung stehen, aber auch für andere Systeme, mit denen heute die Verbreitung, Rezeption und Verwertung von Kunst gestärkt wird. Denn die Produktionsumstände in der Kunstindustrie hängen von zwei wesentlichen Faktoren ab: Globale Netzwerke und exponentielle Wachstumsraten in allen Tätigkeitsbereichen. Kunstmarkt und Ausstellungen werden für den Tourismus immer wichtiger, zeigen die Statistiken: 2010 fanden weltweit 154 Messen für moderne und zeitgenössische Kunst statt. Alleine die sechs Kunstmessen in Österreich kommen zusammen auf 87.500 Besucher. Die Biennalen, Triennalen und Kunstmessen 2010 haben über neun Millionen Menschen besucht. Diese Zahlen wirken sich nicht nur auf alle Zulieferindustrien, sondern auch auf Beschäftigungszahlen positiv aus. E-Commerce und Online-Auktionen verzeichneten einen durchschnittlichen Zuwachs von 5,2% in den letzten zehn Jahren. Dieses rasante Wachstum und der Bedarf an Information in noch unerschlossenen Märkten, stellen Prozesse des Kunstbetriebs und seine Akteure vor neue Herausforderungen. Möglichst umfangreiches Wissen um und Bewusstsein für eine adäquate Verwendung von Bildmaterial und Copyright muss erst entwickelt werden. Fragen, die auch auf dem zeitgleich stattfindenden Art Industry Forum im Zentrum stehen werden. Christina Steinbrecher, 29, ist Kuratorin und seit heuer mit Vita Zaman künstlerische Leiterin der Vienna Fair The New Contemporary, der größten österreichischen Messe für zeitgenössische Kunst. www.viennafair.com
Martin Pichlmair
"Einzelstücke, keine Serien" Persönlich schätze ich den Begriff "Creative Industries" nicht sehr. Einerseits erinnert er mich stark an Andy Warhol's "The Factory" – eine Anmaßung die in den 60ern offenbar politisch Sinn machte, heute aber nicht mehr erstrebenswert scheint. Andererseits gibt es genug industrielle Betriebe, die in hohem Maße kreativ sind. Der Kern meiner Kritik an dem Begriff ist jedoch eine andere. Industrie ist die serielle Fertigung von Produkten. Kreative fertigen Einzelstücke und betreiben Fertigung als Forschung. Selten geht es um existentielle Belange. Mode, Design, Architektur, Musik, Games –zivilisatorische Errungenschaften, die nicht unbedingt zum Überleben notwendig sind, selbiges jedoch erst lohnenswert machen. Faktoren, die dabei negativ auf die Creative Industries einwirken: Unsere Gesetzgebung ist sehr stark auf den Schutz großer, sprich finanzkräftiger, Betriebe ausgelegt, in Österreich, der EU und den USA. Die notwendigen gesetzlichen Anpassungen, die der Kreativwirtschaft mehr Sicherheit zu geben, sind zu zahlreich um sie hier vollständig aufzuzählen. Von Copyright-Klagen zu Patent-Trollen, von Kollektivverträgen zur Meldung beim Marktamt sind wir den gleichen Regeln unterworfen wie internationale Konzerne. Das jedoch ohne deren Einfluss zu haben. Der innere Zwang, der die Motivation des kreativen Schaffens bildet, führt jedoch dazu, dass wir uns von solchen Lappalien nicht zurückhalten lassen. Martin Pichlmair, 35, ist ehemaliger Medienkünstler und Wissenschafter. Heute ist er Mitgründer der Independent-Games-Firma Broken Rules. www.brokenrul.es
Anita Moser
"Künstler ≠ Creatives" Die Arbeit der freien, zeitgenössischen Kunst- und Kulturszene ist weitgehend nicht den Creative Industries zuordenbar. Dass aber genau das immer wieder versucht wird, was sich auch in (inter-)nationalen Förderprogrammen niederschlägt, ist problematisch. Denn bis auf seltene Ausnahmen funktioniert diese Kreativität nicht nach herkömmlichen Marktlogiken, die mit Wirtschaftlichkeit, Nutzen, „sellability“ und oft auch mit Mehrheitsfähigkeit zu tun haben. Das ist einerseits gut: für die Gesellschaft, da so sichergestellt wird, dass es Verstörendes, Qu(e)eres, Singuläres, Nicht-Mainstream und Nicht-Marktfähiges gibt, das den Alltag bereichert, zum Innehalten und zur Auseinandersetzung herausfordert. Gerade die (prozessorientierten, kleinstrukturierten, emanzipatorischen) Arbeitsweisen der freien Kulturszene können auch Gegenmodelle zur neoliberalen Verwertungslogik darstellen. Andererseits schlecht: für die Kunst- und Kulturschaffenden, da deren Entlohnung dadurch weitgehend von Querfinanzierungen (über oft prekäre „Brotjobs“) und der staatlichen Förderpolitik abhängig ist. Diese wiederum funktioniert nach „eigenen“ (intransparenten) Gesetzen und ist häufig einem konservativen, der Repräsentation und Tradition verhafteten Kunst-/ Kulturbegriff geschuldet. Für mich stellt sich daher die Frage „Was fehlt diesen ‚Creatives‘ um ungehindert ihrer Arbeit nachgehen zu können?“ Zuallererst eine generelle Aufwertung des zeitgenössischen Kunst- und Kulturschaffens – durch Regierungspolitik, Medien etc. – und eine Erhöhung der entsprechenden Förderbudgets. Eine Förderpolitik, die primär und explizit die Arbeit der Kunst- und Kulturschaffenden unterstützt, samt dazu notwendiger Infrastruktur, und nicht etwa Wirtschafts- und Tourismusförderung auf Umwegen von Kunst und Kultur betreibt oder repräsentative (Staats-)Kulturbetriebe fördert. Ein Sozialversicherungssystem für KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen, das realitätsnah und für alle leistbar ist. Und selbstverständlich die Anerkennung von Kulturarbeit als Arbeit, das heißt: eine adäquate Bezahlung von Kunst- und Kulturschaffenden und verbindliche Standards der Entlohnung wie z.B. Honorarrichtlinien, die von Kulturverwaltung und -politik sowie von Kunst-/Kultureinrichtungen als Arbeit- und AuftraggeberInnen einzuhalten sind. Anita Moser, 45, ist Geschäftsführerin der TKI – Tiroler Kulturinitiativen/IG Kultur Tirol www.tki.at. Die TKI ist die Interessenvertretung der freien Kulturinitiativen Tirols mit über 100 Mitgliedern. Sie setzt sich für die kontinuierliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für autonome Kulturarbeit ein und ist Beratungs-, Vernetzungs-, Service- und Weiterbildungsstelle für Kulturschaffende in Tirol.
Rudolf Greger
Die Creative Industry ist ein Faktum. Die Frage ist, wer weiß davon, wem ist es bewusst und was fange ich mit diesem Bewusstsein an. Viele jammern bloß: die Kreativen über Geringschätzung und Ausverkauf, die Kunden der Kreativen über vermeintlichen Mangel an Professionalität, Selbstüberschätzung und nicht nachvollziehbarer Preisfindung. Dazu gesellen sich die sich Vordrängenden, die Interessen der Kreativen zu vertreten gierenden staatlichen Institutionen, die in den Creative Industries eine noch auszuschöpfende Wählerschaft entdeckt haben (nach Tony Blair vor 15 Jahren) und diese mit einer unüberschaubaren Menge an Förderungen an den Staat binden wollen. Dabei ist es eine Frage der Selbsteinschätzung. Die Zeit der Kreativen, ihre Fähigkeit zu synthetisieren, ihre Ideen sind wertvolles Kapital. Das wurde in vielen Jahren aufgebaut. Die Tatsache des minimalen Maschinen- und Materialeinsatzes – letztlich genügen Papier und Bleistift*, um das Ergebnis der Überlegungen zugängig zu machen – und die Möglichkeit eigene Bedürfnisse einzuschränken, darf nicht dazu verleiten, die erbrachte Leistung (Kreativität, Inspiration, Innovation) gering zu bewerten, also sehr günstig bis gratis zu arbeiten/ einzukaufen. Der oft verspürte Marktdruck, der auch zum Nachgeben verführt, ist eine Projektion. Ohne Creative gäbe es schon lange keine Classic Industries mehr im Westen. International ist gut zu erkennen, wo die Innovation ihren Ausgangspunkt hat (vgl. Designed in California, Produced in China). Gute Arbeit rechtfertigt guten Preis. Insbesondere dann, wenn sie dringend benötigt wird, weil sie vom klassischen Unternehmer nicht erbracht werden kann (siehe Rechtsanwälte, Ärzte, sogar Unternehmensberater schaffen es). Die Creative Industry ist gut aufgestellt and ready. Nutzen wir das! * Adolf Loos schrieb einmal, »Eine gute Architektur, wie etwas zu bauen ist, kann geschrieben werden.« vgl. Essay »Adolf Loos über die Ethik des Architekten« Rudolf Greger ist mit Christoph Pauschitz Gründer von GP Designpartners gp.co.at. Als Service Designer und Industrial Designer ist er einer jener, der die Denkweise der Designer (aka Design Thinking) beherrscht. Seine Rolle ist es, als Sparringpartner der internen Experten die Sicht der Kunden einzubringen und mitzuhelfen, die intern optimierten Prozesse so zu gestalten, dass sie auch von den Kunden als großartig erlebt werden. »Jede Verbesserung ist willkommen und macht unser Leben schöner, einfacher, besser.« Für Rudolf Greger ist Design die Wandlung einer gegebenen Situation in die Gewünschte.
Klein, wendig und flexibel: Das sind die positiven Attribute, mit denen man die Unternehmen der Kreativwirtschaft belegen kann. In rund zwei Dritteln der heimischen Kreativbetriebe arbeitet überhaupt nur eine Person. Wendiger geht es wohl kaum. Und kreativ sind sie ja per definitionem; nicht nur, was ihre Kerngeschäft betrifft, sondern ganz generell. Ein starker und auch wachsender Industriezweig in der rauen See der Wirtschaft? Bis zu einem gewissen Grad ja. Die weniger positiven Zuschreibungen: selbstausbeuterisch, wenig kooperationsorientiert, immer im Konkurrenzkampf. Für größere Aufträge stellen sich gleich mehrere Kreative an, die sich nur zu oft mit ihren Preisen unterbieten und ist der Vertrag dann endlich abgeschlossen, ist meist die Zeit zu kurz, das Projekt auf den Boden zu bringen. Fabrikation, Kooperation, Serialisierung und Industrialisierung haben oft genug einen schlechten Ruf unter Kreativen. Der Begriff „Kreativwirtschaft“ meint aber oft genau das.
Die Positionen sind so unterschiedlich wie nur selten: viele Büros verlassen sich erst gar nicht auf die Politik und bewegen sich frei am Markt. Andere lobbyieren und versuchen in den Institutionen für bessere Bedingungen zu kämpfen. Manche Büros agieren sehr lokal, andere fast nur international. Manche arbeiten sehr individuell, andere mit Handwerkern, Konzernen, Anwälten, Konsumenten, öffentlichen Einrichtungen. Was sie machen, kann sich an jeden richten. Und ist deshalb so schwer zu fassen, zu fördern.
Die Schwierigkeiten liegen an den Schnittstellen zwischen größeren Unternehmen und den Kreativen, die nicht die Infrastruktur und die PS haben, wie eine Industrie zu agieren. Der holländische Politikwissenschaftler Jost Smiers meint in seinem Buch „No Copyright“ sogar, dass das Copyright in diesem Bereich viel verhindert, weil es eines erschwert, was bei Kreativen besonders wichtig ist: auf den Ideen anderer aufzubauen. Was fehlt also?