Out of the Void – Was Theater machen, wenn sie sich einsam fühlen

Was bleibt übrig, wenn der Bühne das Publikum fehlt? Was machen Theaterschaffende, wenn der Vorhang nicht aufgeht? Und wie geht es jetzt weiter? Burgtheater-Regieassistent Tobias Jagdhuhn und Schauspielhaus-Hotel-Leiter Tomas Schweigen über durch die Pandemie veränderte Theaterformen.

© Schauspielhaus Wien — Ab Oktober wird das Schauspielhaus für fünf Monate lang zur Quasi-Herberge umfunktioniert.

Es hat einen Grund, warum die Bezeichnung für die Kunstform des Theaters synonym mit dem Begriff des Ortes, an dem sie stattfindet, verwendet wird. »Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations; once it does so, it becomes something other than performance«, so erklärt die New Yorker Performanceforscherin Peggy Phelan das Verhältnis darstellender Kunst zum Raum. Theater als Stätte, Inszenierung und flüchtige Erfahrung, wird gemacht. Es wird ein Raum für Begegnung geschaffen, der davon lebt, im Moment wahrgenommen zu werden, unmittelbar und auch unwiederbringlich. Abend für Abend anders. Durch die einzigartigen Spannungsfelder geschaffen, die nur von Angesicht zu Angesicht passieren können.

Die Definition dieses Vorgangs ist eine simple: »Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.« So fasst es Peter Brooke in »Der leere Raum« zusammen. Laut Erika Fischer-Lichte, ihres Zeichens Godmother of Theaterwissenschaften, geht es um das Drehmoment leiblicher Ko-Präsenz. Die zentrale Rolle kommt also keineswegs lediglich den Spieler*innen auf der Bühne zu, sondern auch der Melange von Menschen, die in der Dunkelheit sitzen. Sie werden als handelnde Mitspieler*innen begriffen, die physisch anwesend sind und deren Wahrnehmung Reaktion hervorbringt. Das ist, was Theater in Zeiten der digitalen Postmoderne auszeichnet. Etwas Echtes, vollumfassend Sinnliches.

Radikaler Umbau

Mit dieser ganzen Kunst-Romantik war es aber eben Lockdown-bedingt die letzten Monate nicht weit her. Große Häuser filmten ihre Inszenierungen ab (was auch vor der Pandmie regelmäßig gemacht wurde) und stellten sie für günstiges Geld oder gänzlich kostenlos online. Regisseur*innen, Schauspieler*innen und alle anderen Kunstschaffenden, die auf Publikum angewiesen sind, versuchten sich mit streambarem Abglanz ihrer Werke im Diskurs zu halten. Teilweise schien das zwar gut zu funktionieren, aber was bleibt davon übrig? Was macht eine Perfomance zu einer Performance, wenn die Begegnung rausgerechnet wird? Schafft es ein in die Passivität zurückgedrängtes Publikum noch, sich aus dieser wieder herauszuwinden? Die Weisen und Sehgewohnheiten der Binge-Streaming-Monate wieder aufzubrechen?

Burgtheater-Regieassistent Tobias Jagdhuhn inszenierte im ersten Pandemie-Sommer als Teil der filmischen Reihe »Wiener Stimmung« den Monolog »Chor der Tränen« der österreichischen Autorin Magdalena Schrefel. Was sich inhaltlich an ein Publikum wandte, wurde allerdings als Produktion lediglich intern reflektiert. »Oft war es die Feststellung, dass Theater als solches schwierig auf den Bildschirm zu bringen ist. Da fehlt etwas«, erzählt er. Auf die Frage, was es denn nun sei, das fehle, auch aus Perspektive der Inszenierenden, meint der 31-Jährige: »Dabei sein, wenn etwas passiert. Dieses Unmittelbare. Ich kann mich als Zuschauer nicht so einfach distanzieren.«

Eine filmische Sehgewohnheit berühre ihn im theatralen Kontext nicht so sehr, weil der Moment nicht miteinander geteilt werde. Die Sinne würden in der Situation eines Theaterbesuches ganz anders gefordert, so Jagdhuhn weiter. An anderen Häusern sei zwar schon bewiesen worden, dass streambare Formate funktionieren können, dazu brauche es aber theatrale und filmische Expertise gleichermaßen. Und nicht zuletzt ein Publikum, das bereit ist, aus der erzwungenen Passivität wieder in die Rolle der aktiven Teilhabe am Moment zurückzukehren.

Als junger Regisseur blickt er jedoch auch nach entbehrlichen Monaten optimistisch in die Zukunft der Bühnen: »Was ich zu spüren glaube, ist eine unglaubliche Sehnsucht auf beiden Seiten nach einer Beziehung zu einem Theater, zu einem Spiel.« Dass nach einer solchen Krise nicht wieder alles wird, wie es vorher war, vermutet er trotz alledem. Künstlerisch wolle er sich daher in Zukunft weg von einem Geniuskult bewegen. Es müssten Möglichkeiten eröffnet werden, mehr zu kommunizieren und vermehrt kollektiv zu arbeiten.

Künstlerischer Begegnungsort

Die Sehnsucht nach Beziehung und kollektivem Arbeiten ist auch etwas, dass sich am Schauspielhaus Wien manifestiert. Wo einst geschlossener Bühnenraum war, entsteht ab Oktober für fünf Monate das nicht nur in seiner Schreibart unterschiedene Schauspielhaus. Aus dem Raum wird ein neuer künstlerischer Begegnungsort, eine Herberge, ein Hotel. Genauer gesagt: kein Hotel. Irgendetwas dazwischen.

Das Publikum ist eingeladen, an Arbeitsprozessen und Performances, Workshops, Konzerten, diversen Veranstaltungen teilzunehmen und mit Künstler*innen in Kontakt und Austausch zu kommen. Letzteres Bedürfnis ist dort nun so groß, dass man sich sogar über das Wochenende einmieten kann. Regisseur und künstlerischer Leiter Tomas Schweigen erzählt: »Nach der langen Zeit der Theaterschließungen ist eine große Sehnsucht entstanden, besondere und neue Formen von Begegnungen zu schaffen. Daraus entstand die Idee zu einem großen Gemeinschaftsprojekt mit unserem kompletten Team, gemeinsam mit vielen eingeladenen Künstler*innen, Performer*innen, Musiker*innen, Institutionen und unserem Publikum. Das Schauspielhaus wird (innen)architektonisch radikal verändert und das gesamte Gebäude anders bespielt.«

Das Schauspielhaus Hotel als Modell © Schauspielhaus Wien

Während der Theaterschließungen sei regelmäßig – durchaus auch mit Bedauern – gefragt worden, was denn gerade mit der freien Zeit anfangen werde. Dass in dieser Zeit zum Teil mehr gearbeitet wurde als zuvor, stieß meist auf große Verwunderung bis Unverständnis, heißt es aus der Wiener Bühne. Dieses Feedback habe dann deutlich vor Augen geführt, dass der größte Teil der täglichen Arbeit für Außenstehende unsichtbar sei. Die Aufführung, die Präsentation eines künstlerischen »Ergebnisses« ist in der Regel der einzige öffentliche Anteil eines vielschichtigen Prozesses, eines mindestens monatelangen und komplexen Weges, den viele Beteiligte miteinander gehen. Daraus sei die Idee entstanden, diese Prozesse zu öffnen, Teilhabe daran zu ermöglichen und damit Begegnung und Austausch zu intensivieren.

Das Schauspielhaus Hotel ist ab Oktober von Mittwoch bis Sonntag jeweils ab 16 Uhr geöffnet, an Wochenenden ist es möglich, in einem der Hotelzimmer zu übernachten.

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