"The Act Of Killing" sorgte in Indonesien und weltweit für Aufruhr. Die Nachfolgedoku wird das wieder tun. Wir haben den Regisseur Joshua Oppenheimer zum Interview getroffen.
In seinem neuen Film „The Look Of Silence“ schließt der US-Amerikaner Joshua Oppenheimer wieder nahtlos an das Thema seines Oscar-nominierten Meisterwerks „The Act Of Killing“ aus dem Jahr 2012 an: Den Genozid an den Kommunisten in Indonesien im Jahr 1965.
Dieses Mal steht das Schicksal von Adi Rukin und seiner Familie im Vordergrund. Adi konfrontiert die Täter von damals im direkten Gespräch mit deren längst vergangenen Gräueltaten, die tiefe Wunde in seiner Seele wie auch in der Seele seines Heimatlandes hinterließen.
The Gap traf den Regisseur des Films, Joshua Oppenheimer, zu einem Gespräch über Surrealismus, Vergangenheitsbewältigung und Werner Herzog.
Während einer Podiumsdiskussion mit Werner Herzog bei der diesjährigen Berlinale bezeichneten Sie „The Act of Killing“ und „The Look of Silence“ als Begleitwerke, beziehungsweise sogar als „Diptychon“. Wie ist das gemeint?
Joshua Oppenheimer: Es ist ein Paar, bestehend aus zwei Filmen. Sie können in jeglicher Reihung gesehen werden, stehen beieinander und komplettieren einander. Sie formen ein größeres Werk, das – wie ich hoffe – mehr als die Summe seiner Teile ist.
Beide Filme sind keine typischen Dokus. „The Act of Killing“ kann nur schwer in eine bekannte Form eingeordnet werden, während „The Look of Silence“ an eine Art Gedicht erinnert.
Ich sehe „The Look of Silence“ als eine Art Reihung sinnlicher Impressionen, die eine übergeordnete Stimmung kreieren. Der Film ist sehr durch seinen Rhythmus geprägt und hat wiedererkennbare Strophen. Die inhaltliche Dialektik besteht aus altem Filmmaterial und Adi Rukins Zusammentreffen mit den Tätern. Die Uncut-Version von „The Act of Killing“ wird oft unterbrochen durch abrupte Schnitte zu stillen Sequenzen, die einen Wechsel in der Perspektive nach sich ziehen: Von den Tätern zu den abwesenden Toten.
Was bewegte dich dazu „Stille“ als zentrales Konzept des Films zu wählen?
Man soll sich fühlen, als sei man versunken in diesen stillen Räumen und nachempfinden, wie es sein muss, dort ein Leben lang in Angst zu leben. Das Gedicht ist daher sinngemäß in Erinnerung an all das, was zerstört wurde, konzipiert. Es ist auch den Toten gewidmet, die nie wieder erweckt werden können.
Zudem ist es ein Gedicht für die Lebenden, die – Jahrzehnt für Jahrzehnt – durch Angst zerstört wurden. Die Unfähigkeit Traumata zu durchleben, genau wie die Unfähigkeit zu leiden, hat seinen Ursprung in Angst und Stille, die in diesem Fall an eine Art „Selbst-Zensur“ erinnert. Es ist die Wut und die Verbitterung, die sich unvermeidlich verschlimmert, wenn man unfähig zur Heilung ist. Wenn Adi, der Protagonist, die Stille bricht, kommt irgendwo Gerechtigkeit auf. Aber sie wird die Leben, die schon gebrochen sind, nie wieder komplett heilen. In all seiner Poesie leugnet der Film sämtliche hoffnungsvollen Gefühle, die dem Zuschauer erlauben würden loszulassen. Der Film lässt einen in etwas eintauchen, was bereits ruiniert und zerstört ist.
Präsentiert der Film daher eine Art zerstörte Erinnerung?
Er zeigt eher zerstörte Leben, vor allem weil die Angst immer noch tief in den Leuten sitzt. Denn wie ist es wohl, wenn man sein ganzes Leben in Angst leben muss? Der Film hält deswegen – genau wie „The Act of Killing“ – den Spiegel hoch um ein Gefühl zu beschreiben, was alle in Indonesien, ja was sogar jeder, kennt: Wie fühlt es sich an in voller Angst zu leben? Und der Film ist in dieser Hinsicht eine moralische Warnung, die Reaktionen hervorrufen mag. Deswegen darf der Film aber keineswegs als Kampagne gesehen werden.
Ihr filmischer Ansatz ist höchst interessant, da die dargestellten Situationen sehr stilisiert werden, besonders in „The Act of Killing“. Kann man diese Dramatisierungen, die auch surrealistisch anmuten, mit dem dokumentarischen Dogma vereinbaren?
Die Bedeutung von Surrealismus ist, dass einer der fundamentalsten Aspekte der menschlichen Erfahrungswelt, nämlich der Traum, beziehungsweise die Fantasie, erforscht wird. Ich bin sicher, dass wenn wir nicht träumten oder fantasierten, wir nicht mehr menschlich wären. Träumen ist ein essentieller Teil von dem, was das Menschsein ausmacht. Mehr noch: es ist essentiell in unserem Universum, weil wir einander erst durch geteilte Fantasien verständlich werden.
Deswegen ist Surrealismus nicht unterscheidbar von Realismus – es ist eher ein frischer und neuer Ansatz an das Konzept Realismus. Surrealismus zeigt, wie Fantasien unsere Welt bedingen und wie die Welt, durch diese Fantasien handelt.
Mir ist klar, dass der Filme keine Studie ist, wiederum hab ich auch nicht bewusst darauf gezielt einen surrealistischen Film zu machen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass „The Look of Silence“ genauso surreal ist wie „The Act of Killing“, aber auf eine komplett andere Weise.
Werner Herzog nannte die Form, in der „The Act of Killing“ daherkommt, eine neue Form des Surrealismus im Kino. Deswegen bin ich gar nicht sicher, ob ein Non-Fiction-Film unbedingt die bessere Form sein soll, um die wahre Wirkung der Fantasie in unserer Welt zu visualisieren. Und das ist der Unterschied zum „surrealistischen“ Film: In meinen Filmen werden die Fantasien in der Welt dargestellt, während beispielsweise in Filmen von Spielfilm-Regisseuren, Träume gefiltert oder reflektiert gezeigt werden.
Als „The Look of Silence“ letztes Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig seine Weltpremiere feierte, war noch ein anderer Film im Wettbewerb, der sich ebenfalls einem Genozid widmete: Nämlich Fatih Akins „The Cut“. Darin geht es um den Genozid an den Armeniern im Jahr 1915, der in der Türkei oft verschwiegen wird, jedoch den Gründungsmythos der Nation Türkei ausmacht. Akin, einst Nationalheld, wurde daraufhin in der Türkei stark angefeindet.
Wir dürfen Indonesien, genau wie die Türkei, nicht als eine absolute Einheit sehen. Wenn wir das machen würden, würde die Situation hoffnungslos erscheinen. Es gibt auch viele Leute in der Türkei, die bewundern, was Fatih Akin mit „The Cut“ geschaffen hat. Wenn wir in der Zukunft diese Leute und ihr Potential, Teil des Systems ihres Landes zu sein, nicht wahrnehmen, wirken die politischen Machthaber noch machtvoller. Aber deren Erhalt der Macht wird wacklig, wenn das Volk sich versammelt und diese Macht bekämpft.
Wie sind die positiven Reaktionen auf „The Look of Silence“ in Indonesien, wo er bereits letztes Jahr in die Kinos kam, zu beurteilen? Löste der Film einen Wandel im Denken aus?
„The Look of Silence“ wurde wärmstens aufgenommen und sogar von vielen indonesischen Medien zum Film des Jahres erklärt. Auch deshalb würde ich sehr gerne zurückkehren, aber ich kann es einfach nicht, weil es einige wenige Leute gibt, deren Macht auf einem enormen politischen und ökonomischen Reichtum beruht. Dieser Reichtum hängt wiederum mit der offiziellen Landesgeschichte zusammen, die den Genozid als etwas Heroisches feiert. Wenn sich diese Geschichte ändern sollte, würde erkennbar werden, was deren Reichtum und deren Macht wirklich ist: Nämlich die Beute einer riesigen Plünderung.
Weiter zu Störungen bei der Vorführung von "The Act Of Killing" und den Produzenten Werner Herzog.