“Wenn ich heute noch einmal 17 oder 18 Jahre alt wäre, würde ich Musik aus Internet-Tauschbörsen downloaden“ – Vincent Clarke von Depeche Mode, Erasure oder Yazoo über Musikpiraterie, die Liebe zur Techno-Musik und sein Verhältnis zu dem als “schwierig“ geltenden ehemaligen Bandkollegen Martin L. Gore.
Vincent Clarke gilt als einer der einflussreichsten Musiker der 80er Jahre. Als Mitglied von Depeche Mode und Erasure war er ein stilprägender Wegbegleiter des melancholisch-elektrifizierten New Wave-Beats. Zusammen mit seinem ehemaligen Depeche Mode Bandkollegen Martin L. Gore veröffentlicht Clarke nun unter dem Insignien-Namen VCMG ein Minimal-Techno Album, das in mehrerlei Hinsicht überrascht. Es ist eine rein instrumentale, harte Dark-Techno Platte, die wirkt, als wäre sie gezielt an der potentiellen Retro-80er Target-Zielgruppe vorbei produziert worden. Und die andere Überraschung ist: sie klingt verdammt gut. Im Interview stand Vincent Clarke Rede und Antwort über seine Meinung zur Musikpiraterie, die Liebe zur Techno-Musik und sein Verhältnis zu dem als “schwierig“ geltenden ehemaligen Bandkollegen Martin L. Gore.
Wie kam es zur Kollaboration mit Martin Gore, und wie war es, wieder zusammen mit ihm an einem Album zu arbeiten?
Ich fing vor ungefähr einem Jahr damit an, an Songs für ein Minimal-Techno Projekt zu arbeiten. Nachdem ich vier Tracks im Alleingang fertiggestellt hatte, wollte ich in das Konzept auch Kooperationen mit anderen Musikern mit einfließen lassen – und da Martin Gore schon seit jeher ein genauso großes Interesse an elektronischer Musik zeigte wie ich, schien es irgendwie klar, ihn zu kontaktieren. Ich schrieb ihm eine e-mail und er antworte: “Ja klar, ich bin dabei!“ Seit unserer gemeinsamen Zeit in Depeche Mode waren wir uns nicht mehr sehr nahe. Natürlich habe ich ihn ab und an gesehen, aber es bestand kein regulärer Kontakt zwischen uns. “Ssss“ ist das erste Mal seit Dekaden, das wir wieder zusammen an einem substantiellem Werk gearbeitet haben.
Wie verlief eure Zusammenarbeit im Studio?
Das komplette Album entstand in physischer Abwesenheit von Martin. Martin war in Los Angeles, ich in Neuengland. Ich schickte ihm Tracks, er steuerte dem Sound etwas bei, schickte sie zu mir zurück, entwarf selber Tracks, und so ging das die ganze Zeit weiter. Wir haben das Album wie ein Gemälde bzw. Work-In-Progress-Bild produziert. Keiner von uns beiden wußte, was der andere mit den Tracks anfangen würde oder wie er sie weiterentwickeln würde. Real trafen wir uns erst wieder, nachdem die Arbeit an dem Album abgeschlossen war.
In deinen früheren Band-Projekten – Depeche Mode, Yazoo, Erasure – war Pop-Affinität ein essentieller Bestandteil der Musik. In welchem Kontext steht “Ssss“ als rein instrumentales Techno-Album dazu? Glaubst du, Fans deiner früheren Bands werden auch an VCMG gefallen finden?
Die ersten Reaktionen seitens der Fans waren positiv. Für manche Leute mag es ein Problem sein, das “Ssss“ keine “echten“ Songs mit Vocals beinhaltet, dass es ein reines Instrumental-Album ist. Es war uns von Beginn an klar, das wir die Platte nicht machen, um damit einen kommerziellen Erfolg zu erzielen. Wir wollten andere Sounds erforschen, und tief in diese Sounds eintauchen. Wir haben das Album gemacht, weil die Arbeit daran uns unheimlich viel Spaß bereitete, und weil es sich für uns wirklich gut anhörte. Ich hoffe, die Leute hören es sich an, und entscheiden für sich selbst, ob sie die Musik mögen.
Wann kamst du das erste mal mit Techno in Berührung? Und welche Rolle spielt dieses Genre deiner Meinung nach in der heutigen Club-Szene – ist es mittlerweile Retro, Techno zu machen?
Mein Interesse für Techno-Musik fing mit einem Remix für Plastikman an. Zu diesem Zeitpunkt wußte ich absolut nichts über Techno – ich habe mich ganz einfach nie damit beschäftigt. Dann erzählte mir jemand über die Beatport-Website und ich fing an, jede Menge Minimal und Techno zu hören – und ich war komplett fasziniert von dem Sound: was mich dabei interessierte, war vor allem die Art und Weise, wie die Künstler mit elektronischen Klängen umgingen und wie sie diese manipulierten. Und ja, ich glaube, Techno ist mittlerweile zu einem Retro-Ding geworden – aber es werden immer noch fantastische Sounds und coole Platten gemacht.
Eine Frage, die dir sicher viele Journalisten gestellt haben: Hast du dir schon einmal überlegt, zu Depeche Mode zurückzukehren?
Nein, das wird ganz sicher nicht passieren. Martin und ich sind komplett verschiedene Menschen, wir haben nicht viel gemeinsam. Mein Abschied von Depeche Mode war für immer. Wir sind nur für dieses Projekt wieder zusammengekommen. Es wird auch keine gemeinsame Tour geben – möglicherweise werden wir ein paar DJ-Sets zusammen machen, aber auch dazu gibt es keine konkreten Termine oder Pläne. Martin ist zur Zeit damit beschäftigt, an dem nächsten Depeche Mode Album zu arbeiten.
Was ist deine Meinung zur Musikpiraterie im Internet? Ist es für dich okay, wenn Fans deine Musik downloaden, ohne dafür zu zahlen?
Sagen wir es so: Ich kann die Motive dafür verstehen. Heute zahle ich natürlich für Musik. Als teenager habe ich aber auch Musikpiraterie betrieben – in dem ich Songs aus dem Radio mitschnitt oder mir LP‘s auf Kassette überspielte. Wenn ich heute noch einmal 17 oder 18 Jahre alt wäre, würde ich Musik aus Internet-Tauschbörsen downloaden.
Letzte Frage: Wenn du dir einen Song aussuchen könntest, den du hörst, wenn du diese Welt verlässt – welcher würde das sein?
Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann keinen Song. Sondern wahrscheinlich die ganze “Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd (lacht).
“Ssss“ von VCMG erscheint am 9. März 2012