Die FPÖ ging als Gewinnerin aus der Europawahl hervor. Es ist erschreckend, wie viel Zuspruch Konservativismus, eine diskriminierende Asyldebatte und ein fragwürdiges »Wir«-Gefühl in der österreichischen Gesellschaft finden. Wie kann das sein in einer Zeit, in der man sich allerorts gerne mit Progressivität und Diversität brüstet?
Vor einiger Zeit, bei einem abendlichen Spaziergang durch Wien, komme ich an einem der beschmierten Burschenschaftlerhäuser vorbei. Die Nacht ist warm, die Fenster sind offen. Was ertönt dort beim Vorbeigehen aus dem Haus? »L’amour toujours«, gesungen mit ebenjenem xenophoben Text, den ich wenige Tage später im berühmten Sylt-Video wiedererkennen werde. Ein Chor aus Männern, der seinen Hass auf die Straße schmettert und von einem Land zu träumen scheint, das ihnen die Freiheit dazu gibt. Ein Gefühl der Überraschung überkommt mich, vielleicht das Ergebnis von zu viel Naivität. Soll das nun dieser Rechtsruck in Europa sein, der seit Jahren vorausgesagt wird? Oder hat sich eigentlich nicht viel verändert an den Strukturen unseres Miteinanders, die ein rechtsextremes Gedankengut ins »moderne Zeitalter« weitergeführt haben?
Wieso FPÖ?
Die FPÖ holte jüngst bei den Europawahlen mehr als 25 Prozent. In weiteren Ländern zogen andere rechtspopulistische Parteien mit: Die deutsche AfD landete auf Platz zwei, der französische RN von Marine Le Pen erreichte mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Partei von Präsident Macron. Und das, obwohl – oder gerade weil – viele von ihnen EU-kritisch sind. Dieselbe Partei, bei der man vor gerade einmal fünf Jahren glaubte, sie hätte sich mit dem Ibiza-Skandal ins Aus geschossen, bekam also in Österreich die meisten Stimmen. Derselbe Mann, der zu Coronazeiten noch Pferdeentwurmungskuren als Heilmittel propagiert hat, ist nach wie vor ihr Vorsitzender. Die Frage liegt nahe: Wieso? Wer wählt eigentlich die FPÖ?
Anton Pelinka, Politikwissenschaftler und Jurist, beschreibt die FPÖ 2013 in seinem Text »Der Preis der Salonfähigkeit« nicht nur als rechtspopulistisch, sondern auch als rechtsextrem. Die Anfänge der Partei fasst er so zusammen: »1955 aus den Resten einer schon 1949 ins Leben gerufenen Übergangspartei (…) gegründet, war die FPÖ von Anfang an erkennbar, ja geradezu demonstrativ eine Gründung von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten.« Das sei eine bemerkenswerte Kontinuität im Vergleich zu anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa, wie beispielsweise der italienischen Lega Nord. Es ist die andauernde Erkenntnis, über die man nicht gerne spricht: Der Nationalsozialismus ist in Österreich weiterhin nicht genügend aufgearbeitet. Auch sei die FPÖ laut Pelinka in Milieukultur und Rekrutierungsbasis den »schlagenden Studentenverbindungen« nahe – also denen, die archaisch-verrohte Säbelduelle aufführen. Pelinka dazu: »In Österreich sorgt dieser historische Hintergrund für eine gewisse soziale Respektabilität des Rechtsextremismus. Traditionelle Eliten in Staat und Wirtschaft waren und sind von diesen Verbindungen unverhältnismäßig stark geprägt (…)«
Und so verwundert es nicht, dass sich die FPÖ besonders schwer damit tut, sich von antidemokratischen Gruppierungen wie der Identitären Bewegung abzugrenzen, oder dass Herbert Kickl kein Problem damit hat, sich »Volkskanzler« zu nennen – wie das 1933 ja auch schon ein anderer getan hat. Wer heute die FPÖ wählt, wählt eben nicht nur ihr aktuelles Wahlprogramm, sondern nimmt auch ihre Entstehungsgeschichte und ihre Parteifreund*innen in Kauf. Da mag es überraschen, dass die FPÖ ihre Stimmen nicht nur aus dezidiert rechten Kreisen bezieht, sondern ihre Wähler*innenschaft im Laufe der Zeit aus verschiedenen politischen Lagern aufgebaut hat.
Für den kleinen Mann
Ein gern genannter Vorwand, warum die FPÖ Stimmen abkassiert, ist, dass sie Politik für die »einfachen Leute« mache und die (unausgesprochenen) Gedanken der Bevölkerung ernst nehme. Ironischerweise ist aber gerade die FPÖ eine jener Parteien, die häufig ziemlich gegensätzliche Politik verfolgen und etwa gegen einen EU-weiten Mindestlohn gestimmt haben. Doch diese Selbstdarstellung als Volksversteherin ist selbstgewählt, sie entspringt dem Populismus, der Leitstrategie rechter Parteien. Durch diese wird die Idee eines »Volks« idealisiert und verteidigt, Debatten werden polarisiert und einfache Lösungsvorschläge – die meistens keine sind – für komplexe Probleme geboten.
Was bei den zuvor genannten Wahlergebnissen jedoch nicht unbeachtet bleiben darf, ist die eigentlich größte Partei: die Nichtwähler*innen. Mit etwas mehr als 50 Prozent Wahlbeteiligung lag Österreich nur knapp über dem EU-Durchschnitt, jede zweite Person hat hierzulande bei den Europawahlen nicht mitabgestimmt. Nicht nur die Erfolge der rechten Parteien sind also bedenklich, die Wahlergebnisse weisen zudem eine große Lücke auf: Menschen, die kein Vertrauen in Wahlen setzen oder sich politisch nicht repräsentiert fühlen. Populismus kann genau in diesen Gewässern fischen.
So kamen laut einer Wählerstromanalyse von ORF/Foresight elf Prozent der diesjährigen FPÖ-Wähler*innen aus dem Lager der Nichtwähler*innen (bezogen auf die Wahl 2019). Weitere 25 Prozent von der ÖVP und fünf Prozent von der SPÖ. Laut Foresight-Wahlbefragung wird die FPÖ besonders von Arbeiter*innen gewählt. Viele der befragten Wähler*innen wollten mit der Europawahl auch ein innenpolitisches Zeichen setzen, Protest bekunden. Durch Coronapandemie, Angriffskrieg und Inflation ist unser Dasein von Unsicherheit und neuen Ängsten geprägt.
Paula Diehl schreibt für die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung über diesen zunehmenden Populismus: »Dies passiert, wenn die Demokratie in die Krise gerät und das Vertrauen der Bürger/-innen in die politischen Institutionen schwächer wird. Daher ist Populismus auch immer ein Symptom. Doch Populismus ist ein ambivalentes Phänomen. Er hat einen demokratischen Kern: das Prinzip der Volkssouveränität.«
Gefährliches »Wir«-Gefühl
Positiv betrachtet hat Populismus also die Möglichkeit, Debatten anzustoßen. Gerade beim Rechtspopulismus ist die Vorstellung davon, wer das »Volk« ist, das hier gegen eine Elite verteidigt werden soll, aber äußerst gefährlich: Es ist ein »Wir«-Gefühl, das festgelegt und gegen ein Konzept von den »Anderen« gerichtet wird – beispielsweise Minderheiten, Migrant*innen, die LGBTQIA*-Community oder »das Establishment«. Sie sollen für jegliches Problem herhalten, dem selbstproklamierten »Volkskörper« angeblich etwas wegnehmen. Nicht umsonst wirft die FPÖ gerne mit dem Begriff »Heimat« um sich.
Auch immer mehr weibliche Wählerinnen wenden sich der FPÖ zu – trotz sexistischem Frauenbild und peinlichem Werbevideo, das sie in die Rolle der Hausfrau und der Kindererziehung verweisen wollte. Doch selbstbezeichnete »Tradwifes« oder »Antifeministinnen« geben umgekehrt gerne vor, ihr Leben als traditionelle Hausfrauen in Gefahr zu sehen. Feministische Kritik an klassischen Geschlechterrollen sehen sie als Angriff auf ihre Lebensentwürfe und flüchten sich oft quasi zum Trotz in ultrakonservative Beziehungsstrukturen, in denen sie sich sozioökonomische Sicherheit erhoffen.
In einem Interview mit der Wiener Zeitung beschreibt die Politologin Birgit Sauer, wie Herbert Kickl versuche, sich nach außen mit Sicherheit und Macht zu assoziieren, und damit Vertrauen erwecke: »Er verkörpert den braven Biedermann, den Mann, dem man vertrauen kann. Bei dem man keine Angst haben muss, dass er im Koksrausch Österreich verkaufen will oder im Alkoholrausch mit dem Auto gegen die Wand donnert.« Eine stabile Projektionsfläche also? Eine Ablenkung von Problemen?
Das Gewicht der Erzählung
In einer ORF-Umfrage gaben Anfang Juni 40 Prozent der befragten FPÖ-Wähler*innen die inhaltlichen Standpunkte der Partei als Grund für ihre Entscheidung an. Welche das sind? Migration und Asylpolitik, dann Krieg, Klima und Wirtschaft.
Ein Begriff, der im Wahlprogramm der FPÖ besonders hervorsticht, ist der der »Remigration«; gemeint ist die Deportation von Menschen. Das gleiche Wort wurde beim Treffen deutscher und österreichischer Rechtsextremer in einer Potsdamer Villa verwendet – Correctiv berichtete Anfang des Jahres darüber und löste eine Welle von Demonstrationen für Demokratie aus. Hauptsächlich planten die Beteiligten eine millionenfache Vertreibung von Menschen aus rassistischen Motiven. Die FPÖ verwendet den Begriff »Remigration« weiterhin – und gewinnt die Wahl. Ein Narrativ, das Angst erzeugt und zu Diskriminierungen führt.
Eindeutig behaftete Begriffe wie »Remigration« würden von vielen Medien unkritisch übernommen, kritisieren Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen, ein Netzwerk für diskriminierungsfreie Berichterstattung. Auch der Mediendienst Integration zeigt auf, wie in Deutschland die Berichterstattung zu Migration und Asyl in steigendem Maß negativ verläuft und Statistiken verzerrt werden: »In den Berichten, die die Herkunft nennen, werden Ausländer weit überproportional oft benannt: in Fernsehberichten in 83,9 Prozent und in Zeitungsberichten in 82 Prozent der Fälle, obwohl ihr tatsächlicher Anteil an Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik nur rund einem Drittel entspricht.«
Zudem sind rechtspopulistische Parteien gerade auf Social Media stark vertreten und heizen dort ein ohnehin schon konfrontatives Diskursklima weiter an. Die Accounts von FPÖ oder AfD mit erschreckenden Statements werden geklickt – ob ironisch oder aus Überzeugung –, der Algorithmus pusht. In Österreich haben übrigens 19 Prozent der unter 30-Jährigen FPÖ gewählt, ganz gegensätzlich zum ständigen Wokeness-Vorwurf durch ältere Generationen. Das auf den höheren Medienkonsum der Jungen zu schieben, dient allerdings auch als faule Ausrede, sich nicht genauer mit den Anliegen der Gen Z zu befassen.
Eva Sager schreibt im Profil: »Ein Klima-Aktivist in Innsbruck will etwas anderes von Politiker:innen hören als die Vorsitzende des Heimatverbands in Traun. Wir können jungen Menschen Inhalte und politische Diskussionen zutrauen.« Und nicht nur als junge Menschen sollten wir uns mehr denn je um einen demokratischen Diskurs bemühen, der sich abseits rechtspopulistischer Parolen führen lässt. Denn vereinfachte Lösungsvorschläge und Ablenkungsmanöver können keinesfalls für empathische Veränderungen sorgen und differenzierte Debatten anleiten.
Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen sind online zu finden und bieten dort unter anderem ein Glossar mit Formulierungshilfen sowie verschiedene Projekte zur Unterstützung diskriminierungsfreier Berichterstattung an.