Einmal wie Hermann Maier sein

Ausländer sind keine Inländer. Ausländer bilden Parallelgesellschaften. Ausländer machen Rap-Musik, die böse klingt und Ghettos behauptet. Ein Bericht von österreichischen Grenzgängern (mit Migrationshintergrund), die mit Vorurteilen und gefühlten Grenzen aufräumen wollen.

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Am 15. Januar 2007 knallte es im 16. Wiener Gemeindebezirk. Es war ein Kopfschuss: „Das ist der Sound, Sound aus dem Westen / für alle Ausländer, die Wettcafés besetzen / meine Freunde schießen oft mit der Pumpgun / die meisten von ihnen kommen direkt aus dem Balkan / pass gut auf, wenn du in meinen Block musst / Ottakringerstraße, Klick-Klack Kopfschuss“. Zwei jugendliche MCs nutzten die Videoplattform YouTube als Fenster zur Außenwelt und verschafften sich Aufmerksamkeit. Der mediale Widerhall auf ihre bemüht martialischen Raps samt Schwarzweiß-Clip ließ nicht lange auf sich warten. Von ambitionierten Nachahmungstätern ganz zu schweigen. Jene, die den Drohgebärden Glauben schenkten, waren überrascht bis erschüttert. Der Rest, einschließlich der Künstler selbst, war höchst amüsiert. Verantwortlich für diese, danach so oft rezitierten Zeilen war Mevlut Khan (seit 2004 Mitglied der Rap-Crew Sua Kaan). Sein damaliger partner in crime und ebenfalls Mitwirkender bei dem zu viel versprechenden Track “Balkanaken“ war Platinum Tongue.

Den eingeschlagenen Weg Richtung Gangsta verfolgt dieser noch immer. Mit seiner Crew Bludzbrüder und anderen Entertainment-Ganoven wie Eternal Masters Of Ceremony (EMC), Totschlag oder dem Duo RapTerror treten sie das rechtmäßige Erbe einer ur-österreichischen Legende an. Das Zelebrieren von verbalisierter Gewalt, kruder Ghetto-Ästhetik und urbanen Überlebenskämpfen hat hierzulande nämlich Rap-Tradition. Mit Veröffentlichungen wie „Umstritten wie noch nie“ oder „Vorsicht ist geboten!“ waren die Untergrund-Poeten aus Wien zwischen 1993 und 1996 die Pioniere des Genres. Auch damals wurden Migrationshintergründe und Außenseiterperspektiven effektvoll thematisiert. Mediale Aufmerksamkeit war den reimenden Gaunern von einst ebenso sicher.

Diesseits von Hollywood

Gangsta-Attitüde mit österreichisch-migrantischem Rap und kriminellen Bedrohungen zusammenzubringen bleibt dennoch ein Trugschluss. Ein Trugschluss aber, der im ORF im „Club 2“ plötzlich ein Forum bekam, als Mevlut Khan und Ali S (Bludzbrüder) nach Bekanntwerden des oben genannten Clips zum Thema „Angst vor Ausländern“ eingeladen wurden. Oder einer, den die FPÖ Ottakring für verschärfende Bezirkspolitik instrumentalisierte. Oder einer, den Moderatorin Sylvia Saringer bei ATV Aktuell feststellen ließ, dass „eine Rap-Gang“ mit „Gewalt, Hass und Hetzerei“ ganz Österreich schockieren würde. Und zuvor: „Bis nach Hollywood schaffen es folgende Herren mit Sicherheit nicht.“ Die Ironie dabei: Ein Jahr später veröffentlicht der besagte Mevlut mit „Selam“ ein neues Video. Regie führte Umut Dag, der bei Peter Patzak und Michael Haneke studiert hat, Produktionsassistent bei „Die Fälscher“ (Stichwort: Hollywood!) war und sich mit Kurzfilmen selbst einen Namen gemacht hat. Auch die professionelle Video-Ästhetik von Sua Kaan ist ihm zu verdanken.

Jenseits der Straße

Inspiriert von Gruppen wie Wu-Tang Clan oder Cartel gründeten sich Sua Kaan bereits 1996. Im Januar 2010 veröffentlichten sie ihr lang erwartetes Debüt „Aus eigener Kraft“. 21 Tracks und knapp 80 Minuten spürbarer Geltungsdrang. Ihre eigenständige, hymnisch-pathetische Mischung aus Sozialstudien, Melodram und Battle-Rap stiegt zudem auf Platz 30 der österreichischen Albumcharts ein. Zum Vergleich: Texta (seit 1993) gelang 2007 mit ihrem sechsten Album „Paroli“ Platz 31. Es sei noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, ergänzt Produzent Gjana Khan, über all das, „was Sua Kaan nicht ist“. Gangsta-Romantik, Straßenpoesie oder Ausländer-Rap zum Beispiel. Gjana: „Wenn ich (den Begriff) Ausländer-Rap höre, dann denke ich: ur-schlechtes Deutsch, keine Grammatik, arbeitslos und kriminell. Das wird uns überhaupt nicht gerecht.“

Selbst das Wiener Stadtmagazin Das Biber, welches laut Eigendefinition „direkt aus der multiethnischen Community heraus“ berichtet, verortete Sua Kaan als Formation einer zweiten Generation türkischer und tunesischer Migranten erstmal als „Straßenrapper“ mit hartem Image. Gemeinsam mit anderen würden sie „gegen den etablierten Österreicher-Rap“ antreten. „Wir stellen keine Bedrohung dar, wir sind eine Bereicherung für die Szene“, entgegnet Gjana. Die Band selbst, wünscht sich statt Vorurteilen lieber einen differenzierten Blick auf ihr Schaffen, fernab von Sub-Szenen und Schubladisierungen, als selbstverständlicher Bestandteil einer österreichischen Szene. „Ich will der Hermann Maier des österreichischen Rap sein. Ich komm auch von der Baustelle“, kommentiert Mevlut scherzhaft die Situation.

„Sie kennen meine Sprache nicht!“

Wenn man ihn fragt, sagt Ramses, dass die Single „Fuck You“ von Schönheitsfehler sein erster wirklicher Kontakt mit HipHop war. Als der Nachwuchs-Rapper aus Brigittenau das erste Mal via YouTube von sich reden machte, warf er, gemeinsam mit seinem früheren Partner Repko, auch mit Kraftausdrücken um sich. Homophobe Verschärfungen wie „Lifeball-Schwuchtel“ führten ihn aber – ähnlich wie Mevlut – zum Club 2, wo er sich zum Thema „Wandert unsere Jugend nach rechts?“ verantworten durfte. Mit „Sie kennen meine Sprache nicht!“, erklärte er dort Missverständnisse. „Da prallt halt die Unterschicht auf die Mittel- und Oberschicht. Aber das muss nicht immer zum Eklat führen.“

Frühere Provokationen versucht er mit seiner Gruppe Absolut HIV heute zu vermeiden. Auch, weil medial ein falsches Bild von ihm entstanden sei: „Das erste, was mir im Club 2 gesagt wurde, war ‚Sie sind ja ein Gangsta-Rapper‘. Das bin ich nicht!“. Um ein anderes Österreich „weit weg vom Stephansdom“ zu zeigen, haben Absolut HIV heuer ihr neues Video „Willkommen in Österreich“ veröffentlicht: „Kein Job, keine Ziele, AMS – Schlange stehen / den Weg zum Erfolg kannst du hier nur langsam gehen“. Sie fordern ihren Platz ein: „Wir sind nicht böse, wir wollen nur ein Stück vom Kuchen“ (Fabio).

Gefühlte Grenzen

„Es gibt nur eine HipHop-Szene“, stellt MC Aqil von Sua Kaan klar. Ein massives Hindernis gäbe es trotzdem: „Es existiert eben diese Mauer zwischen Inländern und Ausländern.“ Die Erklärung: „Diese Grenze ist, so schade es auch klingt, Rassismus. Jeder sieht sie. Jeder weiß es. Viele reden nicht darüber, aber sie ist da.“ Diese Gegenkraft nutzt Sua Kaan als Ansporn: „Wir werden dieses Limit musikalisch brechen.“ An bewusste Ausgrenzungen oder das Entstehen einer migrantischen Parallelszene glaubt Daniel Shaked, Herausgeber des HipHop-Magazins The Message, jedoch nicht. Obwohl er es für bedenklich hält, „dass Sua Kaan nicht als gleichwertiger Teil der Szene gelten. Dabei sind sie gleichzeitig wie die anderen dazugekommen.“

Wahrnehmungsunterschiede lassen sich vielleicht anhand unterschiedlicher Lebensumstände erklären. Das problematisieren des eigenen Umfelds war schließlich immer schon ein zentrales Rap-Thema. Das ist bei Kamp nicht anders. Nur hat Kamp keinen Migrationshintergrund. Letztlich obliegt es also den kritischen Augen und Ohren des Publikums, (eigene) Grenzziehungen zu hinterfragen und stattdessen die Qualität der Musik für sich sprechen zu lassen. Diese haben Sua Kaan (und andere) jedenfalls schon mehrfach bewiesen. Der Rest sind Geschmacksfragen. Wer schließlich Hermann Maier nicht cool findet, kann auch einfach zu einem anderen Fanclub gehen.

Nähere Informationen zu den beiden Formationen Sua Kaan und Absolut HIV finden sich auf den jeweiligen Websites: www.sua-kaa

n.at bzw. www.absolut-hiv.at

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