Fumito Ueda zwingt mit gezielter Reduktion zum Mitfühlen. Mit den – gerade wiederveröffentlichten – »Ico« und »Shadow Of The Colossus« schuf er zwei Musterbeispiele zum Thema Spieltiefe.
Klar würde jeder Bub, egal ob vor oder nach dem Stimmbruch, gerne einmal ein Mädchen aus der Gefangenschaft des Bösen retten. Kann er auch. Nicht erst seit »Super Mario« und »Prince Of Persia« lässt sich das virtuell bewerkstelligen. Nur trifft das Gefühl bei Untergang Bowsers (Marios Widersacher) nur bedingt die Erwartungen aus eben diesem Bubentraum. Dabei versuchen Spiele schon sehr lange – also seit kurz nach dem ersten Ballwechsel in »Pong« – möglichst emotionale Geschichten zu erzählen: Teils höchst komplex, teils grundstupide. Und da wie dort blieb die Handlung fast ausnahmslos Nebensache; ein willkommenes Füllelement für kurze Videosequenzen und die Verpackungsrückseite.
Viel zitierte Klassiker
Und dann purzelte 2001 ein unbekannter Junge mit Hörnern aus einem Gefäß, in das er gesperrt worden war; in einem Schloss, das er nicht kannte. Sein Name war nur dem Spieltitel zu entnehmen: »Ico«. Wer das Mädchen war, das er kurz darauf aus einem Käfig befreite, blieb noch Stunden unklar. Die Kritiker waren begeistert, doch die zahlende Masse schien am reduzierten Gameplay und der unklar märchenhaften Geschichte keinen Gefallen zu finden. Der erhoffte finanzielle Erfolg blieb aus und trotzdem wurden »Ico« und der 2006 erschienene Nachfolger desselben Teams, »Shadow Of The Colossus«, zu viel zitierten Klassikern. Die Geschichte von »Ico« wiederholte sich: Obwohl von manchen als bestes PS2-Spiel überhaupt ausgezeichnet, wurde auch dieser Titel kein Kassenerfolg. Diesen Herbst erschien eine überarbeitete Neuauflage der beiden Titel für die PS3 – als Vorbereitung auf den angekündigten dritten Titel des Entwicklerteams um Fumito Ueda: »The Last Guardian«.
Sorge um Yorda
Wenn Ico – das Mädchen Yorda ungestüm hinter sich her zerrend – zwischen den Mauern des Schlosses den Weg nach draußen sucht, passiert genau das, was andere Spiele nicht schaffen: Die Emotionalität der Handlung überträgt sich auf den Spieler. Und wenn die geisterhaften schwarzen Wesen versuchen, das Mädchen mit sich in den Abgrund zu reißen, dann steigt der Stress – und das nicht nur aus Angst, beim letzten Safepoint neu starten zu müssen, sondern auch aus Sorge um Yorda. Auch in »Shadow Of The Colossus« wird ein ziemlich Unbekannter gesteuert. Diesmal ein junger Mann namens Wanda, der ein totes Mädchen in einen Tempel bringt, in der Hoffnung es von einem magischen Wesen wiedererwecken zu lassen. Als Gegenleistung muss er 16 Kolosse töten, die das sonst leere Land bevölkern. Doch schon die ersten der majestätischen Riesen erwecken nicht den Eindruck, ihren Tod verdient zu haben. Und mit jeder melancholischen Siegesszene eines langsam in sich zusammenfallenden Giganten mehren sich die Zweifel, hier im Auftrag des Guten zu handeln.
Eine fremde Welt
Beide Spiele machen ihre Handlung zum zentralen Element des Spielerlebnisses – und das vor allem durch Reduktion. Es gibt nicht wirklich etwas zu sammeln, keine Sidequests und keine Charakterstufen. Es gibt keine Einführung und ein Gutteil der Handlung bleibt im Unklaren. Also stolpert der Spieler, ganz so wie sein Avatar, durch eine fremde Welt und stößt auf zu wenig Gewohntes, um auf stereotype Abläufe vertrauen zu können. Ständig wird gegrübelt, ob die eigenen Aktionen nun gut und richtig sind und die Narration mit all ihren Leerstellen und Emotionen setzt sich im Kopf des Spielers fest. Damit allein ist die vorhandene Spieltiefe aber noch nicht erklärt. Chefentwickler Ueda beweist ein eindrucksvolles Händchen für wertvolle Details, die nicht nach technischen Höchstleistungen verlangen: Wie der Knopf, der in »Ico« gedrückt bleiben muss, um die Hand des Mädchens zu halten. Oder die Art und Weise, wie Yorda unsicher hinter dem Jungen her stolpert. Oder der ungestüme Galopp von Wandas Pferd, das selbst in wilden Kämpfen immer wieder heranprescht. Derlei Einzelheiten und zwei herausragende Soundtracks helfen den eindrucksvollen Bildern, die Virtualität für Augenblicke vergessen zu machen – Momente, die den entscheidenden Unterschied machen.
i>»IcoShadow Of The Colossus« (Sony) sind bereits als Classics HD gemeinsam für PS3 erschienen.