Wie das Meme zum Meme wurde

Sie kommen immer wieder wie ein Running Gag und sind heute ein Massenphänomen wie auch ein Geschäft. Memes verändern die Art, wie wir kommunizieren. Vor fünf Jahren gingen zwei der wichtigsten Beispiele ans Netz. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

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25 Jahre ist es her, seit der britische Sänger Rick Astley seinen größten Hit sang. »Never Gonna Give You Up« war in 25 Ländern Nummer Eins. Und im Normalfall wäre ein typisches Schicksal vorprogrammiert gewesen, eine Existenz auf 80s-Samplern und den Oldies-Sendern dieser Welt. Bis vor ziemlich genau fünf Jahren war das auch so. Doch dann kam es anders. Im Mai 2007 postete jemand auf 4chan.org einen Link für jene Besucher, die eigentlich den allerersten Trailer von »Grand Theft Auto IV« – heute ein absoluter Games-Klassiker – sehen wollten. Die nichtsahnenden User wurden stattdessen auf Rick Astleys Youtube-Video weitergeleitet. Das »Rickrolling« war geboren, und es verbreitete sich rasend schnell. Nur ein Jahr später sollen bereits mehr als 18 Millionen Menschen von Rick Astley überrascht worden sein. »Never Gonna Give You Up« wurde zum Internet-Phänomen – zum Meme.

I can has Meme?

Das Meme ist ein Kind des Internets. Ein Running Gag, ein Schmäh, der sich mal schnell, mal langsam verbreitet, lokal und global. Doch nicht jedes Video oder Bild ist gleich ein Meme, nur weil man es eine Woche lang auf jeder Pinwand, in der Inbox und in jeder Late Night Show sieht. Memes werden über das Internet bekannt und mehr oder weniger im Open Source-Verfahren vervielfacht, parodiert, kopiert und verwurstet. Und das ohne Aufforderung. Das macht ein Meme zum Meme. Man kann dabei kaum über Memes reden, ohne 4chan zu erwähnen. Auf 4chan sind über 50 Kanäle auf einer Website vereint. Diese Foren haben die unterschiedlichsten Themen, von Pokémon bis Kochen ist so ziemlich alles dabei. Das berühmt-berüchtigtste der Boards auf 4chan ist das /b/ Forum. Das themenlose Forum macht den Großteil des Verkehrs auf der Seite aus. Wäre das Internet eine Stadt, das /b/ Forum wäre der Stadtteil, vor dem dich deine Mutter warnt. Auf 4chan werden vor allem Bilder anonym ausgetauscht. Das Besondere daran: Bis auf Kinderpornografie wird fast nichts gelöscht, egal wie widerlich, rassistisch oder in manchen Fällen illegal es ist. 4chan und das /b/-Board wurden vor allem mit zwei Dingen bekannt: Zum einen hat es die Anonymous-Bewegung hervorgebracht – quasi die Leute hinter diesen komischen weißen Maske, die sich auch auf Demos für die Freiheit des Netzes einsetzen. Zum anderen haben dort eine Vielzahl von »Ur-Memes« ihren Ursprung.

Y U Tube?

4chan ist aber nicht für alle Memes verantwortlich. Was 4chan für das Bild-Meme, ist Youtube für das Video-Meme. Manchmal wird ein Meme aber auch über die Verbindungen zwischen mehreren Plattformen bekannt. Ohne Foren, Blogs und einer ganzen Menge Links wäre »Rickrolling« nicht zu dem geworden, was es heute ist. Und auch wenn Youtube heute nicht mehr wegzudenken ist, so hat es Video-Memes auch schon vorher gegeben. Eines der bekanntesten Beispiele ist das »Star Wars Kid«, bei dem ein bemitleidenswerter Teenager mit einem Stock den Bösewicht aus dem damals brandneuen Film »Star Wars: Episode 1« ungelenk nachahmt. Das Video verbreitete sich im Jahr 2003 über Internet-Tauschbörsen und später über verschiedene Blogs – zwei Jahre, bevor Youtube aus der Taufe gehoben wurde. Heute ist es so etwas wie die Urmutter eines Netz-Videos, das mit Hohn und bösem Humor arbeitet und für die Betroffenen gar nicht mal so lustig ist. Das Star Wars Kid musste in psychische Behandlung. Heute kann ein Dorftrottel über ein Meme zum Gespött des ganzen Planeten werden.

Geld, Ruhm und Zorn

Die Popularität der Memes rief zunehmend Unternehmen auf den Plan. 2006 kaufte der Condé Nast Verlag (/Vogue, GQ, Wired/) die Website reddit.com um kolportierte sieben Millionen Dollar. Auf Reddit werden Links von Usern hochgeladen und bewertet – quasi sekundengenaue Charts, die Auskunft darüber geben, was die Community gerade bewegt. Heute wird die Seite jeden Tag von mehr als einer Million Menschen besucht. Auch andere Unternehmen haben das Geschäftsmodell für sich entdeckt, bei dem die User selbst für die Inhalte sorgen, für Bilder, Videos, Kommentare und Links. Schon Youtube und Facebook sind mit fremden Inhalten groß geworden, warum also nicht auch mit Memes? Die digitale Ware wird von den Nutzern selbst erstellt. Die Websites sorgen nur noch für die Infrastruktur und die richtige Präsentation und verdienen an der Werbung. So macht das Cheezburgernetwork, zu dem die Seiten failblog.com, icanhazcheesburger.com und memebase.com gehören, jedes Jahr geschätzte vier Millionen Dollar Gewinn. Nicht jedem gefällt das. Ganz besonders, wenn zum Beispiel eine Website wie 9gag.com auf jedes neue Posting sein digitales Wasserzeichen schreibt und sich so zum Urheber ausruft. Damit wird ein sensibles Feld berührt: In einem Bereich, in dem der Content von einer anonymen Community in Open Source-Verfahren hergestellt wird und sich jeder mit Hilfe von Generatoren in Sekundenschnelle selbst ein Meme basteln kann, sind die Urheberrechtsfragen bislang weitgehend ungeklärt. Memes beruhen zum großen Teil auf viraler Verbreitung im rechtsfreien Raum, auf der schnellen Kopie, auf unklaren Urheberrechten.


Und dennoch versucht nicht nur das Big Business sein Geld mit Memes zu machen, sondern auch seine Protagonisten. Dabei müssen sie schnell und geschickt sein, denn das Internet ist eine flatterhafte Geliebte. Das Meme Scumbag Steve wurde etwa Anfang 2011 bekannt. Im Interview entpuppte sich der Nichtsnutz auf dem Bild als ein 21-jähriger Student namens Blake Boston, ein netter junger Mann, der zur Abendschule geht, um eines Tages für seine Freundin und ein Baby sorgen zu können. Doch dann beging Blake Boston einen schweren Fehler, als er versuchte, mit einem Song ein bisschen Geld aus seiner unerwarteten Berühmtheit zu machen. Das Wohlwollen löste sich quasi im selben Moment in Luft auf und Blake Boston wurde zum verbalen Abschuss frei gegeben. Ähnlich erging es dem Wiener Rapper Money Boy mit seinem Song »Dreh Den Swag Auf«. Spätestens nach seinem Deal mit Sony und einem Werbespot für die Saftmarke Rauch wurde er zum Prügelknaben. Das ist eine der grundlegenden Gefahren, wenn man versucht, Geldscheine aus seinen 15 Minuten Ruhm herauszupressen.

Vom Cheezburger zur Politik

Das Muster, nachdem Memes entwickelt und verbreitet werden, ist im Grunde so alt wie das Katzenbild von vorletzter Woche. Eine eingeschworene Gemeinschaft entwickelt oder entdeckt ein Meme, feiert dieses für eine Weile, ist vorne dran, hat es gleich schon gewusst, irgendwann erreicht es den Mainstream und wird schließlich für den nächsten heißen Scheiß fallen gelassen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Lolcats. Lange Zeit wirkte es so, als würde das Internet nur noch aus Katzen bestehen. Irgendwann ebbte der Hype dennoch ab, heute ist eine Lolcat fast schon wieder ein Zitat aus den guten alten Internet-Tagen. Mittlerweile folgt auf den Aufstieg eines Memes der Fall immer rascher. Anfang April 2012 tauchte auf Reddit das Bild eines Marathonläufers, dem die Anstrengungen gar nichts auszumachen schienen, unter dem Titel »Ridiculously Photogenic Guy« auf. Nur Stunden später gab es unzählige Variationen davon, der unsinnig fototaugliche Typ namens Zeddie Little wurde ausfindig gemacht und bei der meistgesehenen Frühstücksfernsehsendung der USA zum Interview eingeladen. Drei Wochen später scheint ihn das Netz vergessen zu haben.

Die Möglichkeiten, blitzschnell reagieren zu können, verändert unsere Kommunikationsstruktur. Wurden Ereignisse in den Nachrichten früher erst Tage später in Glossen oder Karikaturen behandelt, passiert dies heute in Stunden, teilweise Minuten. Als im Jänner die Costa Concordia sank, überfluteten Memes mit dem feigen Kapitän Francesco Schettino das Internet. Die Memes sind zur Karikatur 2.0 geworden. Und auch politischer Aktivismus findet zunehmend subtil Einzug in die Memes. Ron Paul, republikanischer Politiker in den USA, erfreute sich im Netz enormer Popularität, was sicher mit seiner generell liberalen Haltung zu Sexualität und der Legalisierung von Marihuana zu tun haben dürfte. Es tauchte ein Ron Paul-Meme auf, das ihn in durchwegs positivem Licht zeichnete. Währenddessen fanden sich Erzkonservative wie Rick Santorum oder Fox News-Moderator Bill O’Reilly in Spott-Memes wieder. Diese Form der digitalen Unterstützung unterscheidet sich noch einmal stark von der Kampagne des Obama-Wahlkampfs 2008, die letztlich starke Züge einer klassischen Kampagne mit neuen Kanälen trug.

Die Zukunft des Meme

Mit Ausnahme der Cartoon Serie »South Park«, die sich in zwei Folgen relativ früh mit dem Phänomen beschäftigte, hat die Meme-Kultur erst in letzter Zeit begonnen, den Sprung aus der Internet- und Nerdkultur hin zum Massenphänomen zu machen. Allein Planking hat es bis in alle Nachrichtensendungen dieser Welt geschafft. Eine weitere Rolle spielt zudem das neue Facebook-Design, das Fotos heute viel prominenter und häufiger anzeigt – und das selbst dann, wenn die Person, die das Bild hochgeladen hat, nur indirekt befreundet ist. Die individuelle Filterblase im Internet verschwindet dadurch zwar nicht, sie wird aber deutlich größer. Mittlerweile reichen oft ein oder zwei Facebook-Freunde, die sich auskennen, um die wichtigsten, neuesten, heißesten Memes mitzubekommen. Bis Ausdrücke wie »Forever Alone«, »Cool Story, Bro« und »U Mad?« oder die diversen Rage-Comics in den Duden aufgenommen werden, ist es nur noch eine Frage von Monaten. Das Meme kommt im Mainstream an, ist fester Teil unseres Newsfeed, unserer Sprache, unseres Alltags und unserer Kultur. Eines Tages wird mein Kind mich fragen »I Can Has dein Auto?« und ich werden antworten »Y U No Take Feet?«.

Me Gusta? – Sechs beispielhafte Memes hier.

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